Gedanken zur Woche: Auch Frauen wissen etwas

233/331

Erschienen im P.S.

Der Frauenanteil in der ‹Arena› war schon häufig ein Thema. Eine Auswertung der SP der letzten 17 Sendungen bestätigt das Bild: 61 Männern standen 20 Frauen gegenüber. Das beschäftigt auch die Redaktionen der Diskussionssendungen. Karin Frei, Redaktionsleiterin des ‹Clubs›, begründet den Frauenmangel auf srginsider.ch wie folgt: «Ich stelle seit mehr als zehn Jahren Diskussionsrunden zusammen und bin immer bemüht, Frauen mit dabei zu haben. Leider ist es aber oft so, dass diese sich nicht kurzfristig finden lassen oder von sich aus einen Mann voranschicken. Frauen haben die Tendenz, viel von sich selbst zu verlangen, sie wollen supergut und sicher in ihrer Thematik sein.» Ähnlich begründet es die ehemalige ‹Arena›-Redaktionsleiterin Marianne Gilgen: «Es ist auch mir immer ein Anliegen, Frauen in der ‹Arena› angemessen vertreten zu haben. Es ist jedoch so, dass die ‹Arena› auch immer ein Spiegel der Politlandschaft und der Realität in den Entscheidungsgremien ist. (…) Dazu kommt, dass Frauen uns viel öfter einen Korb erteilen. (…) Frauen sind zu bescheiden (oder ängstlich) und weisen uns an einen Kollegen weiter, der qualifizierter sei als sie.» Also kurz gesagt: Erstens gibt es weniger Frauen, und zweitens sagen sie häufiger ab.

Das gleiche Bild gilt insgesamt für die Berichterstattung in den Medien: Eine Auswertung des Global Media Monitoring Projects zeigte 2015 für die Schweiz folgendes Bild: 75 Prozent der in den Nachrichten erwähnten Personen sind Männer. Bei Wirtschaftsthemen, Politik und Staatsführung sowie als Expertinnen oder Kommentatorinnen werden Frauen unterdurchschnittlich zitiert und erwähnt. Auch hier ist die Erklärung oftmals dieselbe: Es gibt zum einen weniger Expertinnen und zum anderen sagen sie häufiger ab, wenn man sie für eine Stellungsnahme oder ein Interview anfragt.

Das ist beileibe kein Schweizer Phänomen. In den Vereinigten Staaten hat eine Gruppe von Politologinnen darauf reagiert, dass sie weniger als ihre männlichen Kollegen zitiert werden und mit «womenalsoknowstuff.com» eine Datenbank mit Expertinnen aufgebaut. In der Schweiz haben Journalistinnen die Datenbank medienfrauen.ch lanciert. Sie wollen dem Vorurteil entgegen wirken, man habe für Podien keine Frauen gefunden.

Das Problem an der Geschichte: Wenn man vor der eigenen Türe kehrt, hat es auch eine Menge Staub. Die Journalistin Adrienne
LaFrance wertete ihre eigenen Artikel aus und stellte fest, dass in ihren Artikeln nur ein Viertel der zitierten Personen Frauen waren. Sie nahm sich daraufhin vor, sich besser zu achten. Als sie ein Jahr später wieder ihre Artikel auswertete, war der Anteil von Frauen von 25 Prozent auf 23 Prozent gesunken. Ich kann mich an eine Reihe von Podien erinnern, die ich mitorganisiert habe. Und am Schluss das Problem auftauchte: Wir brauchen noch eine Frau. Nur um dann das rein männliche Podium mit einer Moderatorin anzureichern. Die 1.Mai-Beilage des P.S. von letzter Woche war überaus männerlastig. Zwar hat eine angefragte Autorin ihren Beitrag trotz Zusage nicht eingereicht. Die Quote wäre aber auch so kein Ruhmesblatt gewesen. Alle, die schon Leute für Wahlen angefragt haben, können davon berichten, dass es schwieriger ist, Frauen von einer Kandidatur zu überzeugen. Dass kann frustrierend sein, wenn man nicht zu denen gehört, die eh glauben, der Platz der Frauen sei am Herd.

Das andere Problem an der Geschichte: Die Lösung ist nicht so einfach. Denn das Problem hat mehrere Ursachen. Die Medien mögen einerseits schon bekannte Gesichter, und sie mögen anderseits auch Personen, die knackige Aussagen machen. Wenn sie also einen Politikwissenschaftler oder eine Politikwissenschaftlerin suchen, dann werden sie wohl auf die bekannten Namen zurückgreifen: Andreas Ladner, Claude Longchamp oder Michael Hermann. Vielleicht kommt ihnen höchstens noch Regula Stämpfli in den Sinn. Das gleiche gilt für Ökonomen, Wirtschaftsführer, Politiker oder andere Experten. Man fragt die, die man schon kennt. Häufig hat es schlicht zu wenige Frauen in Podien und Artikeln, weil man sie einfach nicht anfragt. Und man fragt sie nicht an, weil man sie nicht kennt.

Zum zweiten: Es ist tatsächlich häufig so, dass sich Frauen weniger zutrauen und eine Anfrage ablehnen, wenn es nicht genau ihrem Fachgebiet entspricht. Was aber schlicht auch daran liegt, dass ihnen weniger zugetraut wird. Die «Barbara Lee Family Foundation» hat in einer WählerInnenbefragung festgestellt, dass die WählerInnen bei einem männlichen Kandidaten davon ausgehen, dass er qualifiziert sei. Frauen hingegen müssen beweisen, dass sie qualifiziert sind. Zusätzlich wollen WählerInnen, dass Kandidatinnen nicht nur qualifiziert, sondern auch sympathisch sind. Bei Männern ist das weniger wichtig. Was gut ankommt: Wenn Frauen nicht auf ihre Meriten hinweisen, sondern die Teamarbeit in den Vordergrund stellen. Was WählerInnen nicht mögen: Wenn die Kandidatinnen «laut» oder «schrill» sind. All diese Befunde sich nicht neu, und sie gelten auch nicht nur für amerikanische Politikerinnen. Ähnliche Befunde zeigen sich auch bei Lohnverhandlungen. Oft wird gesagt, Frauen würden weniger verdienen, weil sie zu wenig aggressiv verhandeln. Gleichzeitig kommen Frauen, die aggressiv verhandeln, bei ihren Chefs schlecht an. Frau kann also einfach nicht gewinnen. Ausser sie sagt ab.

Die linke englische Zeitung ‹The Guardian› hat eine Auswertung ihrer LeserInnenkommentare durchgeführt. Und festgestellt, dass unter den zehn JournalistInnen, die die meisten negativen und herabsetzenden Kommentare erhalten haben, acht Frauen und zwei Männer sind. Die beiden Männer sind schwarz, einer ist schwul. Jede und jeder, der öffentlich auftritt, insbesondere bei kontroversen Themen, ist sich gewöhnt, böse Briefe, Mails und Beleidigungen via Social Media zu erhalten. Für Politikerinnen und Politiker von links und rechts gehört das dazu. Und auch wenn viele dieser beleidigenden Mails oder Nachrichten lachhaft sind, so hinterlassen sie dennoch Spuren, wie Jessica Valenti, die die unrühmliche Guardian-Liste anführt, schreibt: «Stellen Sie sich vor, Sie gehen zur Arbeit und müssen jeden Tag an hundert Personen vorbei gehen, die Ihnen sagen, dass Sie dumm sind, hässlich sind und dass es eine Frechheit sei, dass jemand, der so blöd ist, noch Geld erhält. Es macht keinen Spass, so zur Arbeit zu gehen.»

Die ganze Problematik rund um die Doppelbelastung habe ich erst gar nicht ausgeführt. Was ist also die Lösung? Es sind letztlich kleine Schritte: Dass man auch unbekannten Frauen eine Chance gibt. Dass man sich kundig macht, ob es nicht Frauen gibt, die man bisher übersehen hat. Dass man nicht schnell aufgibt, nur weil man ein oder zwei Absagen erhalten hat. Dass man Frauen fragt, ob sie andere Frauen empfehlen könnten. Und vor allem: Dass man aufhört, den Mann als Mass und die Frau als Abweichung davon zu betrachten. Haben also Frauen wirklich zu wenig Selbstvertrauen, oder haben gewisse Männer zu viel? Das ist alles eine Frage der Perspektive. Wir müssen uns immer wieder selber an der Nase nehmen und schauen, ob wir leben, was wir theoretisch predigen. Das ist anstrengend und mühsam. Aber das ist politscher Wandel immer.