Lieber heimelig als unheimlich

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Hier eine Replik zum Blog von Michael Lütscher im Westnetz:

Früher war bekanntlich alles besser. Und unsere Erinnerung lässt die Dinge in rosigerem Licht erscheinen, als sie wirklich waren. Der Job war doch nicht so öde, der Chef nicht ganz so doof, die Mitschüler nicht so fies und warum die Beziehung damals in die Brüche gegangen ist, ist Jahre später auch nicht mehr so klar.

So erinnere ich mich gerne an meine erste Wohnung in Zürich, im Kreis 5, 1995, als die Mieten noch günstig(er) waren und die Junkies noch echt krank aussahen. Ich fand es damals echt und ganz unironisch heimelig im Kreis 5. Und das finde ich auch heute noch, obwohl ich mittlerweile in Wipkingen lebe.

Klar: In den letzten Jahren haben sich das Langstrassengebiet und auch der Kreis 5 massiv verändert.  Zürich West ist nur ein Teil davon. Vom einstigen Schmuddel- und Sorgenkind der 1990er Jahre ist die Langstrasse zur Ausgehmeile geworden, wo das Milieu längst nur noch Dekoration ist. Und der Kreis 5 wurde zum bevorzugten Wohnquartier derer, die eigentlich Kreativität und Stadtleben wollen, aber denen es dann im Zweifelsfall auch schnell einmal ein bisschen zu laut und bunt ist.

Die Stadt hat sich verändert. Und nicht nur zum Guten. Aber manchmal scheint mir die Nostalgie der Anti-Gentrifizierer (wie Hämmerli es in seinem Kommentar erwähnt) verdächtig stark verwandt mit der Nostalgie jener, die sie kritisieren. So wie man sich lustig machen kann darüber, dass Rolf Vieli eine Sehnsucht nach der Zeit hat, in der im Kino Roland noch Western liefen, so kann man auch die diffuse Sehnsucht nach den 1990er Jahren hinterfragen, wo Zürich noch wie Berlin war: arm aber sexy.

Dabei gehört Veränderung zum Wesen einer Stadt. Die Quartiere verändern sich, die einen steigen auf und die anderen ab. Das ist nicht immer gut so, aber das gehört dazu. Heimelig ist immer auch subjektiv. Auch bei mir gehört ein bisschen Dreck dazu, wenn es heimelig sein soll. Und auch mir geht der perfekte Züri-Finish manchmal auf die Nerven. Doch was ich heimelig finde, findet ein anderer unheimlich. Heimelig is where the heart is.

Man soll die Aufwertungsdiskussion kritisch führen. Tatsächlich gibt es unerwünschte Begleiterscheinungen. Zum Beispiel die verkehrsberuhigte Weststrasse, wo die bisherigen Bewohner oft die neue Ruhe und Beschaulichkeit nicht mehr erleben können (auch ich musste wegziehen, weil der Vermieter merkt, dass man mit etwas Renovation viel mehr Miete kassieren konnte).

Aber die Alternative ist nicht  verlottern lassen und nichts tun. Im Sinne von: Hört auf zu jammern über den Verkehr, liebe Rosengartenstrassen-BewohnerInnen, sonst geht nur eure Miete rauf! Das erschiene mir dann doch sehr defätistisch und hilflos. Und letztlich zynisch. Auch wer arm ist, hat ein Recht, nicht nur Schadstoffe einzuatmen.

Um gleich nochmal den Vergleich mit Berlin zu ziehen: Selbst dort ist mittlerweile Gentrifizierung ein Problem. Neben vielen anderen: Die Stadt ist nämlich weiterhin ziemlich pleite.

Die Gentrifizierung, beziehungsweise die Explosion der Mietpreise liegt nicht an der Platzgestaltung und der Verkehrsberuhigung, die die Stadt macht – sondern vor allem daran, dass sich der Immobilienmarkt massiv verändert hat. Immobilien sind nicht mehr in erster Linie eine sichere und konservative Anlage, sondern Spekulation und Renditeobjekt.

Michael Lütscher will die baumlosen Parkplatzschluchten unter Denkmalschutz stellen und erinnert daran, dass die SP einst für jeden Arbeiter ein Auto wollte. Aber die Stadt macht die Verkehrsberuhigungsmassnahmen nicht, um die Leute zu plagen, sondern erfüllt nur den Auftrag der Stimmbevölkerung (2000-Watt-Gesellschaft, Städteininitiative). Klar war die SP mal für Atomkraftwerke und Autobahnen. Aber Nostalgie sollte nicht dazu führen, dass man nicht auch klüger werden kann.

Für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar: Das Angebot einer Stadt, seien es gute Schulen, Kinderbetreuung, öffentlicher Verkehr, gemeinnützige Wohnungen aber auch Grünflächen und Plätze können nicht nur wenigen, sondern müssen allen zu gute kommen.

Die SP macht weder im Stadt- noch im Gemeinderat immer alles richtig. Sie ist nicht frei von Fehler und von falschen Einschätzungen. Die Frage ist nur: Würde es mit einer bürgerlichen Politik besser? Es würde kaum weniger aufgewertet. Denn gute Steuerzahler werden von allen umworben. Es würde einfach nichts mehr für die schlechten gemacht. Obwohl sie, als Studentinnen, Gewerbler, Kulturschaffende,  als Zürcher Senioren oder als ausländische Familie das Gesicht unserer Stadt genauso prägen und sie heimelig machen.