Mindestens fürchte ich das in meiner clack-Kolumne.
In der letzten Zeit beobachte ich eine Entwicklung an mir, die mir missfällt und gegen die ich mich ein wenig sträube: Ich werde immer konservativer. Nicht politisch. Nein, ich beginne mich manchmal zu fragen, ob es nicht früher besser war.
Zum Beispiel als man miteinander reden konnte, ohne dass jeder zwanghaft auf sein Handy blinzelt. Als die SVP noch die viertgrösste Partei war. Als man noch glaubte, dass Freiheit, Demokratie und (soziale) Marktwirtschaft das Ende der Geschichte seien. Als Buben und Mädchen die gleichen Kleider trugen und nicht schon als Babys in eine Rosa-Blau-Dichotomie gezwungen wurden. Als man noch Wein zum Mittag essen trank und bedenkenlos rotes Fleisch ass. Als George Lucas noch mit Raumschiffmodellen und nicht mit Computeranimationen arbeitete. Die Frage, die sich hier aufdrängt: Ist das eine Alterscheinung oder wird die Welt tatsächlich schlechter?
Die menschliche Erinnerung ist trügerisch. Und sie neigt dazu schönzufärben. Die schlechten Ereignisse werden verdrängt, die guten überhöht. Eine Art seelischer Selbstschutzmechanismus. Denn das Leben wäre kaum aushaltbar, wenn jeder Schmerz, jede Demütigung und jede Verletzung nicht in der Erinnerung leicht verblassen würde.
Gleichzeitig ist die Welt – unsere Gesellschaft – in einigen Bereichen ganz objektiv schlechter geworden. Die Einkommensschere öffnet sich – in der Schweiz weniger als anderswo. Die Vermögen sind bald wieder so ungleich verteilt wie im 19. Jahrhundert – in der Schweiz viel deutlicher als anderswo. Der Ökonom Thomas Picketty geht dieser Entwicklung in seinem Beststeller «Kapital im 21. Jahrhundert» nach und stellt die Frage, ob die Phase relativer Gleichheit nach dem 2. Weltkrieg zur historischen Anomalie wird. Ein kurzes und vergangenes goldenes Zeitalter. Der Verteilkampf wird härter – vor allem gegen unten. Die Mittelschicht will sich gegen die Armen abgrenzen und die Armen gegen die noch Ärmeren.
Nur ist der nostalgische Blick zurück kein besonders guter Ratgeber. Für die Jungen ist es frustrierend, weil man sich auf eine Welt bezieht, die sie nicht kennen. Und es ist auch eine Welt, die man nicht wieder herstellen kann oder will. Die 1960er Jahre beispielsweise waren vielleicht ökonomisch gleicher, aber gesellschaftlich nicht. Niemand will ernsthaft eine Zeit zurück, in der Frauen ihre Männer um Erlaubnis bitten mussten, um ein Bankkonto zu eröffnen und nicht abstimmen durften oder Schwule und Lesben von der Polizei verfolgt wurden. Und natürlich fuhren wir alle ohne Kindersitze und ohne angegurtet zu sein im Auto mit – es kann aber niemand ernsthaft bestreiten, dass es eine gute Sache ist, wenn weniger Kinder in Autounfällen sterben.
Gleichzeitig nerven mich gewisse Bekannte, die reflexartig – vermutlich aus Angst konservativ zu werden – jede neue Entwicklung und jede neue Technologie gut finden. Nicht alles was neu ist, ist gut, nicht alles was früher war, war besser. Im Idealfall lernen wir aus der Geschichte und orientieren uns Richtung morgen. Denn die bessere Welt ist in der Zukunft und nicht in der Vergangenheit zu finden.