Gedanken zur Woche: Preis der Demokratie

280/331

Erschienen im P.S.

Die ‹Sonntagszeitung› hat herausgefunden, dass Demokratie etwas kostet. Und zwar kräftig. Sie nahm am Sonntag die NationalrätInnen mit den meisten Vorstössen ins Visier und rechnete nach, wieviel Kosten sie mit diesen auslösen würden. Zumal die meisten Vorstösse sowieso nicht mehrheitsfähig sind. Nun ist es tatsächlich so, dass Demokratie – und vor allem auch Parlamente – nicht die effizienteste Organisationsform darstellen. Gewiss wäre ein aufgeklärter Tyrann (also einer, der alles allein entscheidet, aber die Staatskasse nicht durch Korruption belastet) viel schneller und günstiger als so ein Parlament. Parlamente haben sowieso keinen guten Ruf. Jede Schulklasse, die den Zürcher Gemeinderat besucht, ist entsetzt. Es wird zu viel geredet und geschwatzt, zu wenig zugehört, die Ratsmitglieder schauen lieber in den Computer oder in den ‹Blick› als anständig zu arbeiten, heisst es dann.

Die von der ‹Sonntagszeitung› verwendete Statistik ist auch methodisch etwas zweifelhaft. Sie rechnete aus, welche Partei die beste Erfolgsbilanz hat, was überwiesene Vorstösse angeht. In der Rechnung sind aber Interpellationen und Anfragen ebenfalls enthalten –Vorstösse also, die gar nicht überwiesen werden können. Aber Methodik ist hier nicht relevant. Die eigentliche Frage ist: Wie viel darf Demokratie kosten?

Der Kanton Aargau hat die Praxis, dass in der Beantwortung von Vorstössen aufgeführt wird, welche Kosten diese auslösen. Im Berner Stadtparlament wollte ein CVP-Parlamentarier, dass Politik-Neulinge zu einem Politik-Kurs bei der Stadtverwaltung verpflichtet würden. Die Idee dahinter: Mehr politische Bildung soll zu weniger Vorstössen führen. Das wirkt allerdings eher wie genau einer dieser Vorstösse, der im Vorstoss gemeint ist. Einen, den man hätte bleiben lassen sollen, wenn man ernsthaft das Ziel hätte, die Verwaltung vor sinnlosen Vorstössen zu entlasten. Es erinnert mich daran, wie die FDP alle vier Jahre per Initiative die Bürokratie bekämpfen will, die sie selber geschaffen hat. Immerhin stellt die FDP eine recht stolze Zahl an Exekutiv-Mitgliedern auf allen föderalen Stufen, in der Regel von satten politischen Mehrheiten im Parlament flankiert – und auch in der Verwaltung sind FDP-Mitglieder wahrlich nicht untervertreten.

Ob ein Vorstoss sinnvoll ist oder nicht, ist eine politische Beurteilung. Bei der die Kosten-Nutzen-Frage automatisch politisch gefärbt wird. Dass beispielsweise SVP und SP im nationalen Parlament mehr Vorstösse machen als FDP und CVP und dass die auch weniger erfolgreich sind, liegt in der Natur der Sache und der Mehrheiten. Wer gefühlt oder tatsächlich in der Opposition ist, hat auch mehr zu kritisieren und braucht daher mehr parlamentarische Instrumente.

Grundsätzlich ist das Schweizer Milizsystem, die Schweizer Demokratie relativ günstig. Sowohl in der Lokalpolitik wie auch in der kantonalen Politik leisten Menschen für wenig Geld einen Dienst an der Gesellschaft, für den sie auf anderes verzichten – sei es beruflich oder familiär. Das Milizsystem wird in den Parlamenten generell hoch gehalten und heiliggesprochen. Doch die Ressentiments und Vorurteile gegenüber PolitikerInnen sind in der Schweiz auch nicht anders als in allen anderen Ländern. PolitikerInnen haben auch in der Schweiz keinen guten Ruf und sind in der Beliebtheitsskala noch unter Gebrauchtwagenhändlern und Zuhältern einzuordnen. «Denen da oben» geht es nur um Macht und Geld, meinen auch hierzulande ziemlich viele. Selbst wenn sich Macht und Geld etwa in einem Zürcher Gemeinderat oder Kantonsrat doch in engen Grenzen halten. Die Ironie an der Geschichte ist, dass ich schon sehr vielen – politisch nicht total uninformierten – Leuten begegnet bin, die dachten, ein Amt im Zürcher Gemeinderat sei ein Vollmandat. Und die dann sehr erstaunt reagieren, wenn man ihnen erklärt, wie viel man da real verdient. Dabei ist der Zürcher Gemeinderat im Vergleich zu anderen Kommunalparlamenten gut bezahlt.

Allerdings haben Parlamente durchaus die Tendenz, sich mit Gusto selber lahmzulegen. Natürlich kommt Parlament von «parlare», wie der Zürcher SVP-Fraktionschef Mauro Tuena gefühlt jeden zweiten Mittwoch dem Rat verkündet. Das heisst aber noch nicht, dass jede Rede nötig wäre. Das berühmte Bonmot von Karl Valentin, «alles wurde schon gesagt, nur noch nicht von allen», kommt einem in den Sinn, wenn sich beispielsweise in einer Budgetdebatte wieder einmal 37 Rednerinnen und Redner (vor allem Redner) zum Hafenkran melden. Und genauso sinnlos ist es, wenn man zu jedem Artikel, den man in der Zeitung gelesen hat, einen Vorstoss macht. Die Traktandenliste des Gemeinderats war früher so lang, dass man dann halt erst vier Jahre später über einen Polizeieinsatz beim 1. Mai diskutierte.

Das Problem an der ganzen Geschichte ist, dass die Anreize so ziemlich kreuzfalsch sind. Die gleichen Journalistinnen und Journalisten, die sich über parlamentarische Leerläufe beklagen, machen Parlamentarierratings, in denen eine grosse Anzahl Vorstösse vorteilhaft sind. Und eine der ersten Fragen, die ein Journalist einer Politikerin zu einem viel diskutierten Thema stellt, ist: Machen Sie dazu einen Vorstoss? Es sind auch die Parteibasis und die Wählerinnen und Wähler, die denken, ein Politiker, der kaum Vorstösse macht, sei faul oder eine Politikerin, die sich nicht zu jeder Debatte meldet, sei eine Hinterbänklerin. So bleibt lediglich die Selbstregulierung, die zuweilen auch gelingt. Wir haben im Zürcher Gemeinderat nach einer Parforce-Leistung verschiedener RatspräsidentInnen unterschiedlicher Parteicouleur die Traktandenliste kräftig abgebaut und diskutieren Vorstösse jetzt ziemlich zeitnah. Dafür klemmt es jetzt woanders: In den Kommissionen.

Den entsetzten Schulklassen, die es skandalös finden, wie schlecht man sich im Zürcher Rathaus benimmt, erklärt man jeweils, dass die politische Arbeit in den Fraktionen und in den Kommissionen stattfindet. Das hat sich der Zürcher Gemeinderat im Moment zu sehr zu Herzen genommen. Verschiedene Geschäfte, die früher relativ schlank und schnell beraten wurden, stecken heute monatelang in den Kommissionen fest, obwohl diese immer häufiger tagen. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier nehmen es genau und wollen viel wissen. Seitenlange Fragenkataloge werden eingereicht. Die tauchen nicht in der Vorstossstatistik auf, beschäftigen die Verwaltung aber dennoch. Die Fragen bringen durchaus Interessantes zu Tage, sind aber oft nur mässig ausschlaggebend für die Entscheidungsfindung über ein Geschäft.

Es scheint eher ein gewisses Grundmisstrauen gegenüber der Verwaltung zu herrschen: Haben sie es wirklich richtig geplant, richtig gerechnet oder alles richtig aufgegleist? Hätte man nicht besser andere Bäume gepflanzt an dieser Allee, könnte man nicht besser verhandeln mit dem Kanton, muss man jetzt den einen Parkplatz wirklich aufheben oder eben gerade nicht? Das alles ist nicht irrelevant, verlängert aber die Beratung immens. Und letztlich müssten ParlamentarierInnen doch grundsätzlich politisch entscheiden, ob sie ein Projekt sinnvoll finden oder nicht. Und der Verwaltung gegenüber genug Vertrauen zu haben, dass sie ein Projekt auch umsetzen können. Gewiss ist auch die Verwaltung nicht frei von Fehlern. Und selbstverständlich soll man der Verwaltung kritisch auf die Finger schauen. Aber nicht zu jedem Preis.