Die Freude am Sonntag im ‹Certo›, wo die Wahlfeier der SP stattfand, war gross. Die SP hat über zwei Prozent Wähleranteil zugelegt und zwei Sitze dazu gewonnen. Zudem hatte Daniel Jositsch bereits im ersten Wahlgang das absolute Mehr erreicht. Ein Ergebnis, das praktisch niemand vorausgesehen hatte. Die SP war also die Wahlsiegerin im Kanton Zürich.
Im Rest der Schweiz ist die Bilanz für die SP eher durchzogen. Sie verlor fünf Sitze, gewann zwei Sitze (in Zürich) hinzu. Drei der fünf Sitzverluste waren nicht unerwartet. Vor vier Jahren profitierte die SP vom Proporzglück, vier Jahre später gingen die Sitze trotz stabilem Wähleranteil verloren. Besonders schmerzlich und unerwartet war die Abwahl von Andy Tschümperlin im Kanton Schwyz. Die SP muss jetzt einen neuen Fraktionspräsidenten oder eine neue Fraktionspräsidentin suchen.
Die SP ist nicht nur in Zürich die Gewinnerin, sondern auch in Basel. Die SP legte dort 4,2 Prozent zu. Davon profitierten die Grünen. Sie schicken mit der Basta-Vertreterin Sibel Arslan wieder eine Nationalrätin nach Bern. Auch in der Stadt Bern legte die SP kräftig zu.
Ganz anders beispielsweise im Kanton Aargau. Die SVP legte dort vier Prozent zu, die SP verlor zwei Prozent und einen Sitz. Oder wie bereits erwähnt im Kanton Schwyz. Dort ist die SP nicht mehr im Nationalrat vertreten. Auch im Regierungsrat hat es seit 2012 keinen Vertreter oder keine Vertreterin der SP mehr.
Viel war von einem Rechtsrutsch bei den Wahlen die Rede. In Tat und Wahrheit ist der Rechtsrutsch schon lange im Gang, wie Michael Hermann in seiner Kolumne im ‹Tages-Anzeiger› schreibt: «Zäh und scheinbar unaufhaltsam wie ein durchfeuchteter Hang im grasigen Voralpenland rutscht die Schweizer Politiklandschaft seit 20 Jahren zentimeterweise Richtung rechts. (…) Von Polarisierung war die Rede. Und polarisiert wird bis heute. Doch was die Wählerstärke betrifft, wächst seit Beginn des neuen Jahrhunderts nur noch einer der beiden Pole – und zwar der rechte.» Hermann zeichnete das Bild von einer «Verschwyzerung der Schweiz». Der Kanton Schwyz als konservativster und neoliberalster Kanton als Sinnbild für die Globalisierungsgewinnerin Schweiz, in der sich alle Bewohnerinnen und Bewohner im Villenviertel wähnen. Und ängstlich darauf bedacht sind, dass niemand ihnen den Wohlstand wegnehmen kann.
Die Städte Basel, Bern und Zürich sind das Gegenbild zur verschwyzerten Schweiz. War es früher der Röstigraben, der die Schweiz entzweite, ist es nun der Stadt-Land-Graben, der immer tiefer wird. Der zeigt sich sogar innerhalb der SP. Während viele Genossinnen und Genossen ausserhalb der Stadt Zürich die Stadt als rot-grünes Erfolgsmodell sehen (und vielleicht auch die eine oder andere Forderung sogar übertrieben finden), sind einige Genossinnen und Genossen in der Stadt der Ansicht, die Stadtregierung sei viel zu wenig links. Die Städte werden linker, das Land rechter. Und der Graben wird sich noch vertiefen.
Wie überwindet man diesen Graben? Mit einer Politik für die Agglomeration? Die SP Schweiz hat die Agglomeration zu einem ihrer Projekte gemacht. Was damit geschehen ist, ist mir mindestens unklar (ich gehöre allerdings auch nicht zur Zielgruppe). Mit verschiedenen Kampagnen, wie dies ja auch teilweise in der Deutsch- und Westschweiz der Fall ist? Müssen die StädterInnen aufs Land und umgekehrt, damit wir mehr voneinander lernen können? Ich weiss es nicht.
Es erfüllt mich auch darum mit einer gewissen Wehmut, dass ich jetzt bald aus dem Zürcher Gemeinderat zurücktreten werde (auch wenn ich mich natürlich sehr auf das neue Amt freue). Aber wir haben als Linke in der Stadt im Vergleich zur kantonalen und nationalen Politik einmalig viel Handlungsspielraum, den wir vielleicht nicht immer voll ausnützen. Aber wenn wir an unsere in der Gemeindeordnung verankerten Ziele 2000-Watt-Gesellschaft, ein Drittel gemeinnütziger Wohnungsbau, Städteinitiative und Recht auf einen Kinderbetreuungsplatz denken, dann haben wir uns ehrgeizige Ziele formuliert und gegeben, von denen andere Gemeinden nur träumen können. Die Städte sind Laboratorien links-grüner Politik.
Der Wahlsieg der SVP ist vermutlich auf die Flüchtlingsthematik zurückzuführen. Das beelendet mehrfach. Die Hoffnung auf einen Stimmungsumschwung angesichts des offensichtlichen Elends in der Krisenregion Syrien hat sich zerschlagen. Es sind jetzt zwar ‹echte› Flüchtlinge – in einer Definition der SVP, die sie mindestens einmal hatte –, aber man will sie trotzdem nicht aufnehmen. Und: Die Flüchtlinge haben die Schweiz gar noch nicht im grossen Stil erreicht. Wie geht dann die Schweiz damit um, wenn die Flüchtlinge aus Syrien wirklich in grosser Zahl in die Schweiz kommen?
Der Nationalrat wird in den kommenden vier Jahren rechter sein als zuvor. SVP und FDP haben de facto eine absolute Mehrheit. Der Ständerat hingegen hat sich nicht so gross verändert, obwohl dort noch einige Wahlgänge ausstehen. Das könnte auch dazu führen, dass es eine Blockade zwischen beiden Räten gibt. Auf jeden Fall wird der parteipolitische Druck auf den Ständerat zunehmen. Allerdings ist auch nicht anzunehmen, dass sich FDP und SVP in allen Fragen einig sind. Die FDP wird in den kommenden vier Jahren eine wichtige Rolle spielen (müssen). In welchen Fragen sie mit wem zusammenarbeitet, ist dabei noch offen.
Viel wird derzeit über die Bundesratswahlen spekuliert. Für Eveline Widmer-Schlumpf wird es vermutlich eng. Im Vordergrund steht eine mitunter eher aberwitzige mathematische Auslegung der Zauberformel. Ohne dabei die Grundsatzfrage zu stellen: Ist eine Formel, die 1959 erfunden wurde, für alle Ewigkeiten in Stein gemeisselt? Ist sie in der heutigen Zeit überhaupt noch sinnvoll? Der Sinn der Zauberformel lag darin, die wesentlichen Kräfte einzubinden, auf dass sie im Parlament und ausserhalb des Parlaments die Entscheide des Bundesrats besser mittragen. Diese Einbindung funktioniert nur noch beschränkt. Keine Partei, die im Bundesrat vertreten ist, hat das Gefühl, sie müsse alle Vorlagen des Bundesrats (auch nicht eines eigenen) mittragen oder unverändert verabschieden. Das würde sich auch nicht verändern, wenn die SVP einen Sitz mehr im Bundesrat hätte.
Es ist allerdings der SVP auch nicht zu verübeln, dass sie angesichts ihrer Grösse den Anspruch auf zwei Sitze erhebt. Dabei kann man – abgesehen davon, dass man nicht amtierende Bundesrätinnen, die ihren Job gut machen, abwählen sollte – höchstens ins Feld führen, dass FDP und SVP zusammen nicht vier Sitze haben sollten. Dann wäre allerdings eher die Frage, ob nicht die FDP zugunsten der SVP einen Sitz abtreten sollte. Nicht vergessen darf man, dass Eveline Widmer-Schlumpf als Vertreterin der SVP gewählt wurde. Niemand hat die SVP gezwungen, sie aus der Partei auszuschliessen. Es ist zudem gar noch nicht sicher, ob Eveline Widmer-Schlumpf überhaupt noch einmal antritt. Das gilt es einmal abzuwarten und auch, was die SVP für Kandidaten (es sind nur Männer im Gespräch) bringt. Würde sich Peter Spuhler doch noch für ein Bundesratsamt interessieren, ist er vermutlich so gut wie gewählt. Ob er und die SVP aneinander Freude haben werden, ist dann eine andere Frage, gehört aber zum Jobprofil.