Grundrechte und Inserate

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Erschienen im P.S.

Mir – und vielen anderen wohl auch – ist am Sonntag ein grosser Stein vom Herzen gefallen. Die deutliche Ablehnung der Durchsetzungsinitiative war so nicht voraussehbar gewesen. Noch im Dezember war ich überzeugt, dass diese Vorlage angenommen wird. Die Wirtschaftsverbände wollten kein Geld sprechen, auch bei den Parteien war wenig Engagement zu spüren. Dann plötzlich gab es, von verschiedenen Seiten, aus der Politik, von den Menschenrechtsorganisationen, von RichterInnen und RechtsprofessorInnen und von zahlreichen BürgerInnen ein riesiges Engagement. Der von Peter Studer und 200 ErstunterzeichnerInnen lancierte ‹Dringende Aufruf› brach alle Spendenrekorde. Und so war es plötzlich möglich, eine sichtbare Nein-Kampagne zu führen. Ganz ohne Geld der Parteien und Verbände. Sondern mit kleinen Einzelspenden. Ich habe noch nie eine Abstimmung erlebt, die so total mobilisierte. Alle Gespräche drehten sich nur um eine Sache. Menschen, die sich sonst nicht sonderlich für Politik interessieren, trieben ihre Familie und Freunde an die Urnen.

Das ist erstaunlich und erfreulich zugleich. Als Campaignerin und als Politikerin habe ich bei den meisten Wahlen und Abstimmungen eher das Gegenteil erlebt. Man selbst war total im Kampagnenfieber, konnte an nichts anderes denken und von nichts anderem sprechen und merkte schliesslich, dass es den meisten Menschen ganz anders ging. Sie interessieren sich meist viel mehr für ganz anderes: Ihre Familie, ihren Beruf, was im Kino läuft oder anderes. Jedenfalls nur am Rande für Politik.  Bei diesem Abstimmungskampf war es ganz anders. Da hatte ich zuweilen das Bedürfnis, mal über was anderes zu reden. Keine ‹Arena› zu schauen. Erfreulich ist es, weil diese Abstimmung eigentlich so lief, wie wir in einem fernen Idealbild es uns eigentlich vorstellen. Dass nämlich die Bürgerinnen und Bürger den Abstimmungskampf bestreiten.

Viel wird jetzt zudem darüber spekuliert, ob dieses Engagement auch erhalten bleibt und bei nächsten, ähnlich gelagerten Abstimmungen wieder spielt. Das ist schwierig zu sagen. Informelle Organisationen, die zu einem bestimmten Zweck gegründet wurden, lösen sich oft danach auf oder können nicht an vergangene Erfolge anknüpfen. Wer sich vorher nur situativ für Politik interessiert hat, wird es auch jetzt vermutlich nicht mehr tun. Das ist auch nicht weiter schlimm, sondern liegt ein wenig in der Natur der Sache.  Es geht eben nicht um einen Gegensatz zwischen etablierter Politik und zivilgesellschaftlichem Engagement. Es braucht im Idealfall immer beides. Die Politik, die sich auch um Themen kümmert, die vielleicht etwas weniger Interesse und Emotionen auslösen, und ein zivilgesellschaftliches Engagement, das auch Kreise ansprechen kann, die mit klassischer Politik wenig anfangen können. Es wäre natürlich schön gewesen, man hätte dieses Engagement schon früher gehabt. Zum Beispiel bei der Abstimmung um die Masseneinwanderungsinitiative oder bei der Ausschaffungsinitiative. Aber besser spät als nie. Die noch offene Frage: Lässt sich das wiederholen? Schliesslich stehen weitere Abstimmungen an: die Asylgesetzrevision und die Selbstbestimmungsinitiative der SVP. Die Operation Libero hat angekündigt, weiterzumachen. Beim ‹Dringenden Aufruf› ist es noch offen, was nicht ausschliesst, dass es neue, andere Aufrufe geben wird. Man darf dabei nicht vergessen, dass die SVP nicht regelmässig Abstimmungen gewinnt – sie ist mit Niederlagen gross geworden. Und dass es jeweils einen grossen Effort braucht, zu gewinnen. Aber immerhin zeigt das Abstimmungswochenende, dass es möglich ist. Das wäre auch ein Fingerzeig an die neuen Präsidien von FDP und CVP. Es ist nicht nötig, in vorauseilendem Gehorsam der SVP entgegen zu kommen. Es reicht ein dezidierter und geschlossener Einsatz dagegen.

Die restlichen Abstimmungen verliefen für mich ebenso nicht ganz erwartet. Die anderen drei Abstimmungen verliefen im Schatten der Durchsetzungsinitiative, was ihnen teilweise geschadet und teilweise genützt hat. Die Juso konnte mit der Spekulationsstopp-Initiative einen Achtungserfolg erzielen, den ihnen wenige zugetraut hatten. Zumal das Thema in der öffentlichen Diskussion fast nicht stattfand. Die Ehe-Initiative der CVP wurde ganz knapp abgelehnt. Vermutlich profitierten hier die Gegner von einer grossen Mobilisierung von linken und liberalen Kreisen. Schwieriger hatte es die Vorlage um die zweite Röhre. Ihren GegnerInnen gelang es – leider – nicht, genügend Zweifel über die vorliegende Lösung zu wecken, obwohl es da doch einige offensichtliche Kritikpunkte gegeben hat. Dabei ist vermutlich die Gotthardröhre eher ein Opfer der grossen Mobilisierung geworden, weil hier die Fronten anders verliefen. Für die Alpeninitiative ist das eine bittere Niederlage, zumal sie in ihren Stammlanden wie dem Kanton Uri nicht punkten konnte.

Zuletzt in eigener Sache: Wir hatten eine Reihe von sehr aufgebrachten Reaktionen auf die beiden in der letzten Nummer publizierten SVP-Inserate. Viele LeserInnen konnten nicht verstehen, warum wir diese Inserate abgedruckt haben. Ich kann den Ärger nachvollziehen. Wir haben uns aber dennoch entschlossen, die Inserate entgegen zu nehmen. Dies aus folgenden Gründen:

Zuerst ganz banal: Wir sind eine Zeitung. Wir leben nicht von Luft und Liebe, sondern von Abonnementen und Inseraten – wie jede andere Zeitung auch. Und wie jede andere Zeitung müssen wir Löhne zahlen, die Druckerei, die Post, Miete und Steuern. Wir haben daher in Bezug auf Inserate die gleichen Grundsätze wie alle anderen Zeitungen auch. Inserate und redaktioneller Teil sind klar getrennt. Der Massstab für Inserate gibt das Gesetz vor. Die Inserate entsprechen nicht unserer Meinung, aber sie sind nicht ungesetzlich. Die ‹TagesWoche› und die ‹Schaffhauser AZ› haben aus den gleichen Gründen Inserate der SVP entgegengenommen. Wir gehen auch davon aus, dass unsere LeserInnen zwischen Inseraten und der Haltung der Redaktion, die klar gegen die Durchsetzungsinitiative positioniert war, unterscheiden können. Wir haben die Inserate  nicht aktiv gesucht, wir hätten durchaus inhaltlich gerne andere Inserate gesehen – die lagen nun aber mal nicht vor.

Zum zweiten geht es auch ein wenig ums Prinzip. Unsere Inseratetarife sind nicht so hoch, dass wir damit reich werden. Ich hätte mir eine grosse Menge Ärger erspart, wenn ich die Inserate abgelehnt hätte. Aber: Wir hatten gerade eine Abstimmung, in der es um Grund- und Menschenrechte ging. Und darum, dass diese auch für Leute gilt, die einem vielleicht nicht sympathisch sind.  Das gilt auch für die Meinungsfreiheit in der Demokratie. Unter Gleichgesinnten ist es gratis, für die Meinungsfreiheit einzutreten. Das Prinzip ist frei nach Voltaire erst etwas wert, wenn es weh tut. Wenn uns diese Prinzipien wichtig sind, müssen wir auch danach leben.

Zuletzt möchte ich noch dies zu bedenken geben:  Der ‹Dringende Aufruf› hat Inserate gegen die Durchsetzungsinitiative in der ‹Weltwoche› geschaltet. Nehmen wir einmal an, die ‹Weltwoche› hätte diese abgelehnt, mit der Begründung, man könne dies den eigenen LeserInnen nicht zumuten. Es hätte wohl einen Aufschrei gegeben. Das Komitee ‹Dringender Aufruf› hätte der ‹Weltwoche› Zensur vorgeworfen, vermutlich hätte es eine Geschichte in den Medien gegeben. Diesen Gefallen wollte ich der SVP nicht machen. Es war eine klassische Lose-Lose-Situation für das P.S. Aber immerhin nicht für die Schweiz.

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