Medienschwindsucht

209/331

Auch stramm bürgerliche und liberale Unterneh­merInnen rufen gerne nach dem Staat, wenn es ihrer Branche schlecht geht. Ich will das nicht verurteilen. Leute zu entlassen, Konkurs zu machen ist nicht lustig. Über dem P.S. Verlag hängt schliesslich auch immer das Damokles­schwert der Pleite. Ich könnte gut ohne, denn wie schon Brecht sagte: «Was hilft da Freiheit, es ist nicht bequem. Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm.»

Die Medienbranche wehrt sich allerdings heroisch dagegen, dass ihr geholfen wird. Dabei hätte sie durchaus Grund dazu: Wie die Studie des Instituts für Technologie-Folgen-Abschätzung TA-Swiss, die am Dienstag erschienen ist, aufzeigt, ist die Auflage der Schweizer Printmedien zwischen 1995 und 2015 von 4,26 Millionen auf 3,11 Millionen gefallen. Im gleichen Zeitraum ist der Nettowerbeumsatz um fast 60 Prozent eingebrochen. Tendenz: Rapide sinkend. 2016 sei ein «grauenhaftes Jahr» gewesen auf dem Werbemarkt, klagt Pietro Supino, Verleger des ‹Tages-Anzeigers› an der Dreikönigs-Tagung des Verlegerverbands, und es gäbe keine Anzeichen, dass 2017 ein besseres Jahr werde.
Nur fünf Prozent der Tamedia-Abos sind digital. Und die Print-Abonnenent­Innen sind überaltert. «Wir sind in der Senioren-Unterhaltung tätig», klagt einer der Protagonisten in Guy Krnetas Theaterstück ‹In Formation›, das im Moment am Zürcher Schauspielhaus gespielt wird. Das Stück ist ein unterhaltsamer Schwanengesang auf die Medien. «Print is dead», skandiert einer der Schauspieler im Verlauf des Stücks.

Dabei sind Medien wichtig für die Demokratie. Gerade in einer direkten Demokratie mit der Vielzahl von komplexen Vorlagen, für die oft kein Geld vorhanden ist. Wie beispielsweise über die Einbürgerung der dritten Generation. Die Politik wie auch die StimmbürgerInnen sind daher auf die Medien angewiesen, wenn sie die Argumente dafür und dagegen kennen wollen. Zur Demokratie gehört auch die Medienvielfalt. Sie ist schon heute ziemlich eingeschränkt. NZZ, Ringier und Tamedia kontrollieren 80 Prozent des Pressemarkts. In der Westschweiz vereinigt Tamedia alleine rund zwei Drittel der Gesamt­auflage auf sich. In vielen Regionen dominieren Monopole wie beispielsweise die AZ Medien im Aargau. Aus diesem Grund schlägt die Studie der TA-Swiss – genauso wie bereits die Eidgenössische Medienkommission – vor, die Presseförderung auszubauen. Heute gibt es im Bereich Print eine indirekte Presseförderung, die die Posttarife verbilligt und zudem einen reduzierten Mehrwertssteuersatz. Bei Radio und Fernsehen gibt es eine direkte Förderung: Aber nicht über den Staat, sondern über die Fernsehgebühren, von denen ein Teil auch lokalen Fernseh- und Radiostationen zugutekommen (Splitting). Die Reaktion in praktisch allen Medien und von JournalistInnen von links bis rechts war einhellig ablehnend: Staatsmedien, nein danke!

Ich habe sogar ein gewisses Verständnis für die Skepsis. Die indirekte Förderung ist einfach und unbürokratisch. Dass eine Stiftung oder ein Bundesamt nachher beurteilen soll, ob man ihren Qualitätsansprüchen genügen würde, löst auch bei mir ein Unbehagen aus. Hier schlägt die TA-Swiss denn auch vor, dass organisatorische und nicht inhaltliche Kriterien zum Einsatz kommen sollten, wie beispielsweise die Grösse der Redaktion.
Die Verleger wissen zwar um die Finanzierungskrise der Medien. Die Lösung sehen sie vor allem im Rupfen der SRG. Obwohl auch dies die verlorenen Werbegelder nicht zurückbringen wird. Denn die sind schon lange auf Plattformen wie Google oder Facebook abgewandert, die davon profitieren, dass andere ihren Inhalt produzieren und darauf veröffentlichen.

Auch die Verleger investieren die Werbeeinnahmen, die sie aus den eigenen Online-Rubriken generieren, nicht in den Journalismus. Hatte früher der Stellenanzeiger den ‹Tages-Anzeiger› finanziert, finanziert heute Jobwinner oder Homegate den Konzerngewinn.
«Die Verlage sind zu Internethandelshäusern geworden», meint Constantin Seibt, einer der Initianten des ‹Projekts R›, einem neuen Online-Medienprojekt, gegenüber dem Deutschland-Radio. Seibt setzt für die Finanzierung seines Mediums auf die LeserInnen: «Wir legen unsere Zukunft und die unserer Familien in die Hände der LeserInnen».

Haben Sie noch ein Zeitungsabo? Vielleicht sogar zwei? Wir haben in unserem Haushalt zehn, davon drei digital. Die Abos haben aber wenig damit zu tun, ob ich die jeweiligen Produkte wirklich gut finde. Eines der meines Erachtens besten Online-Angebote – nämlich der Guardian – konsumiere ich gratis. Hätte es da eine Paywall, wäre es wohl Abo Nummer elf geworden. Die deutsche TAZ hat bei einer Million Online-LeserInnen gerade mal 8000 zahlende DigitalabonnentInnen. Das freiwillige Bezahlmodell scheint also nicht zu fruchten – nicht mal bei mir.

Wie sollen aber Medien künftig finanziert werden? Wenn LeserInnen und Werbung ausfallen, bleiben nur noch reiche MäzenInnen, meist mit politischer Agenda. Oder der Staat. Sonst gibt es bald keine Zeitungen mehr. Wäre das überhaupt schlimm? Der Stummfilm wurde ja auch mal durch den Tonfilm abgelöst. Das heutige System stützt allerdings die alten Strukturen. So lange es Förderung nur für Postverbilligung gibt, so lange nur Print-Abos hauptsächlich Geld einbringen, bleibt nur das langsame Sterben, die Schwindsucht. Immer weniger JournalistInnen machen ein immer dünneres Blatt für immer weniger, immer ältere AbonnentInnen. Daneben dürfen ein paar junge JournalistInnen mit neuen Formaten wie Datenjournalismus oder Storytelling experimentieren. Diese Erfahrung können sie dann in den PR-Agenturen oder Kommunikationsstellen, zu denen sie später wechseln, gut gebrauchen. Der Wandel lässt sich nicht aufhalten. Darum müsste aber die Medienförderung unabhängig vom Träger sein, ob Print, Online oder Rundfunk. Und: Vielleicht ist die Zukunft des Journalismus tatsächlich in den sozialen Medien. Aber dann sollen auch sie sich auf journalistische Grundsätze wie Transparenz, Wahrhaftigkeit und Wahrung der Menschenwürde verpflichten.

So oder so: Wenn niemand mehr lesen mag und keiner dafür bezahlen will, dann haben die Medien keine Zukunft. Darum bezahlen Sie ihr Zeitungsabo – am besten eines vom P.S. Die Medien rettet sonst keiner. Das müssen wir schon selber tun.