Eine schwache Nummer

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Vielleicht ist es nötig, zuerst das Offensichtliche klarzustellen: Ich bin grundsätzlich dagegen, dass Veranstaltungen mit unliebsamen Meinungen verhindert werden. Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind in einer demokratischen, offenen Gesellschaft ein hohes Gut, das nicht schmerzfrei zu haben ist. Dennoch ist das ganze Theater rund um ein Podium im Theaterhaus Gessnerallee ärgerlich.

 

Was ist genau geschehen? Das Theaterhaus Gessnerallee kündigte eine Veranstaltung unter dem Titel «Die neue Avantgarde» an. Dabei sollten unter der Leitung von Christoph Kriese, Teil des Kollektivs ‹Neue Dringlichkeit›, AfD-Vordenker Marc Jongen, No-Billag-Initiant Oliver Kessler, Kunstwissenschaftler Jörg Scheller und
Laura Zimmermann von der ‹Operation Libero› darüber diskutieren, ob die Renaissance des Rechtsnationalen eine Avantgarde-Bewegung sei und wie dem Rückzug in ideologische Filterblasen beizukommen ist. Die Veranstaltungsankündigung führte zu einer kleinen Randnotiz in der WOZ von Kaspar Surber, der sich über die Zusammensetzung der Runde ärgerte: «Die Anfrage der WOZ bei der Gessnerallee, ob es sich bei dieser Plattform für reaktionäre Positionen um eine Eigenveranstaltung handelt beziehungsweise ob auch noch erkennbar linke Positionen eingeladen würden, blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet.» Die Gessnerallee antwortete mit folgendem Statement: «Die Veranstaltung ist (…) ein Experiment mit der Fragestellung, inwieweit der Dialog zwischen linken und rechten und zwischen konservativen und progressiven Positionen möglich ist. Wir sind uns dessen bewusst, dass das Podium nicht ausgewogen besetzt und nicht für alle Positionen repräsentativ ist. Umso mehr freuen wir uns über eine rege Beteiligung aller und weiterer Haltungen und Meinungen – vor allem im Publikum.»

 

Es meldeten sich weitere KritikerInnen. Eine Reihe von Kulturschaffenden forderte in einem offenen Brief auf, AfD-Mann Jongen keine Bühne zu bieten. Die Gessnerallee reagierte mit einem Treffen mit KritikerInnen am 25. Februar, wo man sich auf eine weitere Veranstaltung geeinigt hatte. Nun provozierte diese Kritik wiederum eine Reihe von Kritik. In der ‹Zeit› schreibt Anne Hähnig: «Es ist keine Frage, ob man mit der AfD sprechen soll. Man muss!» Lucien Scherrer kritisiert in der NZZ: «Der Vorfall spricht Bände über das Toleranz- und Demokratieverständnis, das in manchen Filterblasen herrscht.» Ähnlich sieht es auch Michèle Binswanger im ‹Tages-Anzeiger›: «Sie glauben sich moralisch im Recht zu solch undemokratischem Verhalten, weil die Gegner schliesslich auf die Aushöhlung demokratischer Institutionen zielen.»

 

Am Dienstag teilte das Theaterhaus Gessnerallee mit, dass sowohl Podium wie auch die geplante Veranstaltung mit KritikerInnen der Veranstaltung abgesagt werden. In der Hitze der Debatte seien «Diffamierungen, persönliche Beleidigungen und Erpressung» leider nicht gescheut worden. Die Angriffe und Drohungen seien nicht entschärft worden, sondern heftiger geworden: «Die Veranstaltung stellt mittlerweile ein Sicherheitsrisiko für die Podiumsteilnehmer_innen, unsere Mitarbeiter_innen und unser Publikum dar. Das Podium kann nach der derzeitigen Einschätzung nur unter erhöhtem Sicherheitsaufwand, durch das Engagement einer Sicherheitsfirma und je nach Lagebeurteilung der Stadtpolizei mit deren Präsenz im Aussenraum der Gessnerallee stattfinden.» Unter diesen Bedingungen seien sie nicht mehr bereit gewesen, die Veranstaltung durchzuführen.

 

Die interessierte Beobachterin und Zeitungsleserin kratzt sich am Kopf. Die ganze Debatte schien mir immer mit Anlauf am Ziel vorbeizugehen: Die Frage, ob man mit Rechtspopulisten diskutieren soll, ist hierzulande doch schon lange beantwortet. Die Alternative für Deutschland spricht in Deutschland in den aktuellen Umfragen rund zehn bis elf Prozent der WählerInnen an. Das ist viel für Deutschland, das sich aus historischen Gründen lange immun gegenüber Rechtsnationalisten glaubte. Aber es ist im internationalen Vergleich doch eher bescheiden. Die SVP hat in der Schweiz einen Wähleranteil von rund 30 Prozent. Landauf, landab finden Podien mit der SVP statt, in Theaterhäusern und im Bären-Säli, und keiner fragt sich je, ob man das darf oder soll.

 

Nun ist die AfD nicht die SVP und umgekehrt, schon klar. Aber die AfD hat schon mehrfach die SVP als Vorbild bezeichnet. Warum also hat man den Schüler eingeladen und nicht die Lehrer? Die Amateure und nicht die Profis? Vielleicht, weil man meinte, der Sloterdijk-Schüler Jongen gäbe intellektuell mehr her als die SVP-Vordenker Mörgeli, Zanetti oder Köppel? Vielleicht aber liegt es schlicht daran, dass mit der AfD ein Nazi-Gruseln mitspielt, dass sich viel besser verkaufen und bewirtschaften lässt. Und uns gleichzeitig erlaubt, zu meinen, das hätte nichts mit uns zu tun. Auch die zweite Frage, warum auf dem Podium eine linke Position fehlt, bleibt offen. Führt die Diskussion unter selbst deklarierten Liberalen damit nicht lediglich zu einer Spielart des beliebten Wettbewerbs, «Wer hat den Liberalsten», statt zum angekündigten Dialog zwischen «links und rechts, konservativ und progressiv»?

 

Bei jeder ‹Arena› wird von links, rechts und der Mitte die Zusammensetzung und Themensetzung der Sendung kritisiert. Die Mitte findet sich zu wenig vertreten, die Linke kritisiert ein Agenda-Setting von rechts und die Rechte findet sowieso das «Staatsfernsehen» habe es auf sie abgesehen. Aber kein Mensch käme auf die Idee, wegen dieser Kritik sei die Demokratie oder die Meinungsfreiheit gefährdet. Warum sollte das hier anders sein? Eine Diskussion über die Diskussion – obwohl sie sich teilweise in eine Mackerdebatte über eine Mackerdebatte verwandelte – ist bei einem solchen Anlass doch mitgedacht.

 

Die Absage der Veranstaltung in der Gessnerallee ist eine schwache Nummer. Sie erlaubt es, dass sich Marc Jongen als Opfer eines vermeintlichen breiten Linkstotalitarismus inszenieren kann. Und sie ist gleichzeitig ein Kniefall gegenüber denjenigen, die offenbar die Veranstaltung verhindern wollten. Wenn man so eine Veranstaltung machen will, dann soll man sie auch durchziehen. Auch wenn der Preis ist, dass man halt die Securitas anstellen muss. Man fragt sich schliesslich: Was genau hat sich die Gessnerallee überhaupt überlegt? Ging sie davon aus, dass ein solches ‹Experiment› keine unvorhergesehenen Folgen entwickeln könnte? Und dass die Einladung von Jongen nicht auf Widerspruch stossen würde? Wenn das so wäre, dann wären die Veranstalter in der Gessnerallee wohl diejenigen, die am meisten in einer Filterblase gefangen sind.