Der Philosoph Peter Boghossian und der Mathematiker James Lindsay leisteten sich einen Scherz. Sie schrieben zusammen ein Papier mit dem Titel «The conceptual Penis» (der konzeptuelle Penis), das in der Zeitschrift Cogent Social Science veröffentlicht wurde. Der Penis sei kein Organ, sondern ein soziales Konstrukt, das isomorphisch zu einer performativen toxischen Maskulinität führe. Hä? Genau: Der Inhalt des Artikels ist natürlich kompletter Unsinn. Und das war auch der Sinn der ganzen Geschichte. Die beiden wollen mit ihrem Aufsatz beweisen, dass die Gender Studies unwissenschaftlich sind und getrieben vom Männerhass.
Diese Form von akademischen Scherzen ist nicht neu: Der Physiker Alan Sokol hat 1996 in der Zeitschrift Social Text ein Papier namens «Transgressing the Boundaries: Towards a hermeneutics of Quantum Gravity» (Die Grenzen überschreiten: Zu einer Hermeneutik der Quantengravitation» publiziert, in dem er den postmodernen Theoriejargon der Sozial- und Geisteswissenschaften parodierte. Der Sokol-Scherz war gelungen, etliche ärgerten sich darüber. Aber es gab auch Selbstkritik am tatsächlich mitunter unverständlichen Jargon in der Theorie.
Das Problem des Scherzes mit dem «konzeptionellen Penis»: Er ist nicht gelungen. Die beiden Autoren wollten nämlich das Papier ursprünglich in der Zeitschrift NORMA, einer internationalen sozialwissenschaftlichen Zeitschrift für Männerforschung veröffentlichen. Diese lehnten die Publikation allerdings ab, weil sie den Text für unsinnig hielten. In den Textbausteinen der Absage gaben sie den Hinweis auf die Zeitschrift Cogent Social Science, die man doch für eine Veröffentlichung anfragen könne. Das Problem: Es handelt sich dabei um eine Zeitschrift, bei der AutorInnen für die Veröffentlichung zahlen. Cogent Social Science ist auch nicht auf Gender Studies spezialisiert. Damit haben die beiden Scherzkekse lediglich zwei Dinge bewiesen: Erstens gibt es offenbar Zeitschriften, die gegen Geld jeden Mist publizieren. Und zweitens: Sie finden Gender Studies doof.
Auch andere Wissenschaftsbereiche sind schon auf solche Scherze hereingefallen. Eine Konferenz über Kernphysik akzeptierte ein Papier, das grösstenteils aus Blindtext bestand. Ein paar MIT-Studenten erfanden einen Algorithmus, der wissenschaftliche Artikel kreierte. Über 120 dieser Artikel wurden publiziert. Der Wissenschaftsbetrieb ist nicht unfehlbar, der Publikationsdruck hoch. Kein Mensch käme aber auf die Idee, dass die Physik deswegen als Wissenschaftsfeld diskreditiert ist.
Demgegenüber sind die Gender Studies seit Jahren unter Dauerbeschuss. Hierzulande hat sich die NZZ darauf eingeschossen. Grundtenor: Gender Studies sind unwissenschaftlich und ideologisch. Sie würden offensichtliche Geschlechterdifferenzen verneinen und hätten als Pseudowissenschaft einen übergebührlichen Status, wie Birgit Schmid im Artikel «Die Gender-Lobby» ausführte. Nun kann man es durchaus schmeichelhaft sehen, dass man einer Wissenschaft mit gerade schweizweit viereinhalb Lehrstühlen einen derartigen Einfluss auf Gesellschaft und Politik zutraut. Man fragt sich aber dennoch, warum gerade dieses kleine Fach eine derart grosse Abwehr auslöst.
Ein Teil der Kritik ist damit zu erklären, dass die Sozial- und Geisteswissenschaften den Naturwissenschaften gegenüber sowieso an Prestige verloren haben (einzige Ausnahme: die Ökonomie). Nur die Naturwissenschaften gelten als etwas ‹rechtes›, Sozial- und Geisteswissenschaften eher als Beschäftigungstherapie für ewige Studenten und höhere Töchter.
Zum zweiten geht es natürlich wie so oft um Macht. Nämlich die der Männer: Je naturgegebener oder naturgesetzlicher diese Vormacht ist, desto weniger kann sie überwunden werden. Natürlich ist nicht jeder Kritiker der Gender Studies ein Sexist. Ob aber am Stammtisch oder im Feuilleton: Der Kern der Differenz ist die Differenz. Die zwischen den Geschlechtern.
Reto U. Schneider schrieb dazu einen Artikel mit dem Titel «Warum Männer töten» im neusten NZZ Folio. Hauptaussage: Die Gender Studies negierten biologische Geschlechterdifferenzen und würden die Erkenntnisse der Evolutionspsychologie nicht berücksichtigen. Das sei schlicht unwissenschaftlich. Das ist eine durchaus legitime Kritik. Das Problem ist aber – wie dies die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach in einem relativ ausführlichen Online-Streitgespräch mit Reto U. Schneider darlegte –, warum gilt diese Kritik nur für die Gender Studies? Warum nicht für die Politikwissenschaften? Oder die Soziologie? Oder gar für die Ökonomie? Man könnte all diesen Sozialwissenschaften mit Fug und Recht das gleiche vorwerfen: Nur tut das keiner.
Und warum fordert Reto U. Schneider keine Gegenseitigkeit? Nämlich, dass die Evolutionspsychologie die Erkenntnisse der Sozialwissenschaften ebenfalls besser berücksichtigt? Gerade die Evolutionspsychologie ist nämlich wissenschaftlich nicht unbestritten – im Gegenteil. Und diese Kritik kommt beileibe nicht nur aus der Gender-Studies-Ecke. Das Problem ist, dass vieles der Evolutionpsychologie theoretisch zwar interessant, empirisch aber nur schwierig beweisbar ist. Das liegt ein wenig in der Natur der Sache: Wir können nun mal nicht wissen, wie genau unsere VorfahrInnen vor Millionen von Jahren lebten. Auch unsere Gene und deren Einflüsse sind noch lange nicht vollständig erforscht und erklärt.
Und so ist das Leben des Höhlenmenschen häufig ein Spiegel der gerade aktuellen Gesellschaftsverhältnisse – die Essayistin Rebecca Solnit schreibt ironisch vom «5 Millionen-Jahre alten Vorort». Dabei bezieht sie sich auf die Werke der Evolutionspsychologie aus den 1950er-Jahren, wo das Bild vom Mann als Jäger und Hauptversorger verbreitet war. Der Mann erlegte das Mammut und brachte es der am Herd kauernden Frau zurück. Anthropologische Untersuchungen von Jäger-Sammler-Gesellschaften kamen dann aber zu ganz anderen Schlüssen.
Nahrungsmittelsuche ist in solchen Gesellschaften oft viel egalitärer und gemeinschaftlicher organisiert. Weder ist die Jagd reine Männersache noch die ausschliessliche Ressource für Nahrungsmittel. Das Sammeln von Früchten und Wurzeln, das Jagen von kleinen Tieren ist dazu genauso wichtig. Wir wissen natürlich auch nicht, ob heutige Jäger-Sammler-Gesellschaften gleich funktionieren wie die vor Millionen Jahren. Aber es scheint klar, dass heutige Vorstellungen, Einstellungen und Vorurteile Wissenschaft auch prägen. Und so bleibt die Vermutung, dass die Kritik an den Gender Studies genau das sind, was man den Gender Studies vorwirft: Pure Ideologie.