Scherben

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Nach der Abstimmung zur USR III und dem Ja zur Energiestrategie hatte man sich als Linke ein wenig ans Gewinnen gewöhnt. Der letzte Sonntag war deshalb ein ziemlicher Dämpfer. Umso mehr, weil wir eine Vorlage verloren haben, die wir hätten gewinnen können und sollen. 52,7 Prozent sagten Nein zur Altersvorsorge 2020, bei der Finanzierung durch die Mehrwertsteuer war es noch knapper: Aber auch sie scheiterte 50,05 Prozent – es hätte allerdings auch wegen dem Ständemehr nicht gereicht.  

 

Die Altersreform 2020 hatte eigentlich alle Zutaten für einen gutschweizerischen Kompromiss. Alle Seiten haben etwas gegeben, relativ wenige hätten unter dem Strich etwas verloren. Laut Nachwahlbefragung von Tamedia waren es die Jungen und die Frauen, die den Ausschlag gegeben haben. Sie lehnten die Vorlagen mehrheitlich ab. Ebenso wurden die Vorlagen auf dem Land klar verloren, in den Städten angenommen. Insbesondere Menschen mit einem tiefen Einkommen und AnhängerInnen der SVP lehnten die Reformvorlagen deutlich ab. Das überrascht, da die Reform wegen der Erhöhung der AHV und der besseren Versicherung von tiefen Einkommen bei der beruflichen Vorsorge vor allem den kleinen Einkommen zugutegekommen wäre. Nicht wenige hatten geglaubt, dass bei den SVP-WählerInnen heimliche Sympathien für die Vorlage vorhanden wären. Das Abtauchen der SVP in der ganzen Wahlkampagne hatte diese Vermutungen noch genährt. Jetzt zeigt sich in der Nachwahlbefragung ein ganz anderes Bild: Bei den FDP-WählerInnen hatten die Vorlagen weit mehr Zustimmung als bei der SVP. Was sind die Gründe für die Niederlage? Vermutlich waren sie vielfältig – wie die Koalition der ReformgegnerInnen. Die Ablehnung der Reform durch die Frauen lässt vermuten, dass die Erhöhung des Frauenrentenalters eine entscheidende Rolle gespielt hat. Bei den Jungen ist die Kampagne der bürgerlichen ReformgegnerInnen offensichtlich aufgegangen. Diese haben das Argument, die Reform sei ungerecht gegenüber den Jungen, ins Zentrum gestellt. Sicher eine Rolle gespielt haben die 70 Franken AHV-Zuschlag. Offensichtlich glaubten die Leute die Behauptung der ReformgegnerInnen, dass die 70 Franken die Finanzlage der AHV verschlechtern würde. Immerhin: Die Vorlage ist nur knapp gescheitert. Damit erging es ihr besser als allen anderen Rentenreform-Vorschlägen der vergangenen zwanzig Jahre. Ob es jetzt einer nächsten Vorlage besser ergehen wird, wage ich trotzdem ein wenig zu bezweifeln. Ich bin bis anhin davon ausgegangen, dass eine Rentenaltererhöhung für Frauen mehrheitsfähig ist – nach dem letzten Sonntag erscheint mir das nicht so sicher. Das nur an die Adresse der Bürgerlichen, die davon ausgehen, dass die Erhöhung des Frauenrentenalters gänzlich unbestritten sei. Eher mehrheitsfähig erscheint mir auf den ersten Blick eine Zusatzfinanzierung der AHV. Sowohl FDP wie auch linke GegnerInnen glauben, dass sie die Abstimmung gewonnen haben. In der Waadt und in Genf war das linke Nein sicher entscheidend. In den ländlicheren Kantonen der Deutschschweiz spielte das linke Nein wohl kaum eine Rolle. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass dies vermutlich die letzte Reform gewesen ist, die relativ schmerzfrei – teilweise sogar mit Verbesserungen – für die meisten gewesen wäre. Und dass jede andere Reform Verschlechterungen mit sich bringen wird. Das mag das Ziel einiger GegnerInnen aus dem rechten Lager gewesen sein, was die Linke damit gewinnen will, ist mir immer noch unklar. Sie hat damit dem Ziel, die AHV zu erhöhen, und damit Menschen mit einem kleinen Einkommen eine reale Rentenverbesserung zu ermöglichen, einen Bärendienst erwiesen. Dass eine Volkspension oder andere Vorschläge beim Volk mehrheitsfähiger sind, wage ich erstmal zu bezweifeln.

 

Für die SP ist diese Niederlage – man kann es nicht schönreden – eine bittere. Es ist grundsätzlich unbefriedigend, wenn man in einem politischen Kernthema höchstens verhindern, aber nicht mehrheitsfähig gestalten kann. Hier wird man sich Gedanken machen müssen, wie wir diese Gestaltungsmacht wieder zurückholen können. Meine Prognose: Es wird noch einmal eine Reform scheitern, bevor dies gelingt.

 

Auch die SPD hatte am Sonntag keine Freude. Mit 20,5 Prozent Wähleranteil hat sie ein historisch schlechtes Wahlergebnis eingefangen. Parteivorsitzender Martin Schulz machte in der anschliessenden Elefantenrunde im Fernsehen eine denkbar schlechte Falle. Jene Angriffslustigkeit, die ihm im Kanzlerduell gefehlt hat, kam jetzt im unpassenden Moment doch noch zu Tage und hinterliess den Eindruck eines trötzelnden Verlierers. Dass sich die SPD unter seiner Führung wieder aufrappeln kann, wage ich mal zu bezweifeln. Auch die CDU erlitt schwere Verluste, insbesondere auch wegen dem schlechten Ergebnis der CSU. Dennoch ist sie trotz Verlust von 8,6 Prozent der Wählerstimmen mit 32,9 Prozent mit Abstand stärkste Partei. Merkel bleibt wohl also Kanzlerin. Dazu braucht sie aber Koalitionspartner. Die SPD hat schon abgewunken. Es bleibt nur noch Jamaika (also schwarz-gelb-grün). Für FDP und Grüne ist das eine schwierige Entscheidung. Wie FDP und SPD aus leidvoller Erfahrung lernen mussten, kann eine Koalition mit Merkel elektoral schwer schädlich wirken.

 

Viel wurde geschrieben über den Erfolg der AfD. Sie zieht mit 12,6 Prozent der Stimmen neu in den Bundestag ein, zeigte aber schon am ersten Tag die üblichen Wehen von Protestparteien: Die Parteivorsitzende Frauke Petry trat unter Getöse aus der Fraktion aus. Die AfD könnte also durchaus das gleiche Schicksal wie andere Rechtsaussenparteien erleben: Nämlich, dass sie in vier Jahren wieder sang- und klanglos aus dem Bundestag verschwindet.

 

Etwas lächerlich ist das Entsetzen einiger SchweizerInnen über den Erfolg der AfD: Immerhin hat hierzulande eine politisch ähnlich gelagerte Partei mit 30 Prozent deutlich mehr Wähleranteil. Die grosse Koalition wurde – gerade im Osten – trotz guter Wirtschaftslage und sinkender Arbeitslosigkeit massiv abgestraft. Es war die Flüchtlingsfrage, stupid. Aus unserer Schweizer Erfahrung heraus würde ich den Deutschen raten, im Umgang mit der AfD einen Gang runter zu schalten. Nur eine Minderheit der AfD-Wähler ist rechtsextrem, die meisten wehren sich gegen eine Veränderung, die sie als bedrohlich empfinden. Das könnte sich durchaus auch irgendwann wieder legen, wenn die Leute merken, dass die Veränderungen doch nicht so schlimm sind. Das bedingt aber, dass man nicht zulässt, dass die AfD mit ihren Themen nonstop die politische Agenda besetzt. Das haben wir allerdings in der Schweiz auch nie wirklich hingekriegt.