Und täglich grüsst das Murmeltier

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Meine 1. Mai-Rede, gehalten in Chur.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste

Sie kennen sicher den Film „Und täglich grüsst das Murmeltier“. In dem Film ist der Hauptdarsteller Bill Murray in einer Zeitschlaufe gefangen und muss daher den gleichen Tag wieder und wieder erleben. So kommt es mir manchmal vor, wenn es um die Lohngleichheit geht. Seit Jahren – Nein Jahrzehnten – die immer gleiche Debatte. Das ist ermüdend, es nervt.

Immerhin lassen sich die Gegner immer wieder neue Gründe einfallen, warum es jetzt doch keine Lohngleichheit brauche. Die Frauen würden zu schlecht verhandeln oder sie sind weniger ehrgeizig oder sie sind halt weniger qualifiziert. Sprich: Sie sind halt ein wenig schlechter als Männer und darum verdienen sie auch nicht den gleichen Lohn.

Oder: Es gibt gar keine Lohnungleichheit. Man negiert einfach, dass es überhaupt ein Problem gibt.  Beim Klimawandel versucht man diese Taktik schliesslich auch. Oder man nennt eine Lohnanalyse – ein harmloses Instrument – ein Bürokratiemonster. Und warnt vor der Lohnpolizei, die die Betriebe heimsuchen kommt. Ich dachte ja immer, Polizei sei für Bürgerliche etwas Positives. Aber offenbar nicht.

Die etwas geschickteren Gegner und Gegnerinnen argumentieren, es gäbe die Lohnungleichheit zwischen Frau und Mann nicht generell, sondern es seien primär Mütter betroffen. Dazu gibt es tatsächlich einige Studien, die sagen, dass Mütter im Beruf regelrecht bestraft werden, sei es beim Lohn, bei der Weiterbildung oder beim beruflichen Fortkommen. Bei Männern hingegen ist kein Unterschied feststellbar, ob sie Väter sind oder nicht. Die Gegner sagen deshalb, es braucht keine Massnahmen gegen Lohnungleichheit, sondern eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Das klingt ja sogar ein wenig vernünftig – bis man dann auch den Tatbeweis sehen will. Wenn man beispielsweise einen Vaterschaftsurlaub verlangt, dann geht das natürlich nicht. die Welt bzw. die Wirtschaft würde sogleich untergehen. Absenzen wegen dem Militär sind selbstverständlich eine ganz andere Geschichte.  Die Wirtschaft würde selbstverständlich auch kollabieren bei mehr Teilzeitstellen oder mehr finanziellen Engagement für die Kinderbetreuung. Nein, die Arbeitgeber haben da ganz andere Ideen. Zum Beispiel fand der Arbeitgeberverband, dass es viel besser für die Vereinbarkeit wäre, wenn die Eltern die Absenzen wegen ihrer kranken Kinder besser im Voraus planen würden. Die Rechten in Bern finden, es wäre doch sehr viel familienfreundlicher, wenn man die Arbeitszeiten so flexibilisiert, dass man auch noch in der Nacht und am Sonntag arbeitet. Und natürlich Steuersenkungen, das geht schliesslich immer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, es ist ermüdend und es nervt, wenn man immer und immer wieder für die gleichen Dinge kämpfen muss. Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Aber von den Frauen wird immer Geduld erwartet. Es gibt immer etwas, das gerade wichtiger ist, das dringender ist. Und es gibt immer einen Grund, Frauenanliegen abzulehnen.

Ich wurde 1974 geboren. Drei Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts. 1981 – ich war acht – wurde die Gleichstellung – und auch der Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit – in der Verfassung verankert. 1988 kam endlich das neue Eherecht, der Ehemann war fortan nicht mehr das Familienoberhaupt, das seiner Frau das Arbeiten verbieten konnte. 1990 – ich war 16 – durften endlich auch die Frauen in Appenzell Innerhoden abstimmen. 1991 beteiligten sich eine halb Million Frauen am Frauenstreik. 1992 wurde es strafbar, seine Ehefrau zu vergewaltigen. 1993 wurde Christiane Brunner nicht als Bundesrätin gewählt, weil man ihr in einem anonymen Brief Nacktfotos andichtete – Fake News in Wahlkämpfen sind also keine neue Erfindung. 1996 trat das Gleichstellungsgesetz in Kraft, das Diskriminierung in Arbeitsverhältnissen verbietet. 2002 – ich war 28 und wurde in diesem Jahr in den Gemeinderat der Stadt Zürich gewählt, als Quotenfrau übrigens – wurde in der Schweiz den Frauen der legale Schwangerschaftsabbruch erlaubt. Zwei Jahre später wurde die Mutterschaftsversicherung eingeführt. Immerhin seit 1945 ein Verfassungsauftrag – nur so von wegen Verfassungsbruch, lieber Herr Amstutz, liebe SVP.

Jetzt bin ich über vierzig und wir reden immer noch über Lohngleichheit. Das muss jetzt ein Ende haben. Punkt. Schluss.

Ja, es macht mich wütend, wenn ich auf diese historischen Daten zurückschaue. Wenn ich sehe, wie schwer sich die Schweiz schon mit den minimalsten Fortschritten tut, wie langsam der Prozess ist. Es ist ermüdend und es nervt, es ist manchmal schier zum Verzweifeln.

Aber gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen,  macht es mich auch stolz und hoffnungsfroh, wenn ich sehe, wieviel in den letzten vierzig Jahren erreicht wurde. Ich stehe hier auf den Schultern von Riesinnen, die diese Erfolge vor mir erkämpft haben. Den Frauenstimmrechtsaktivistinnen, die das Frauenstimmrecht erkämpft haben. Den  Uhrenarbeiterinnen, die den Frauenstreik ausgelöst haben und den Gewerkschafterinnen, die diesen eindrücklichen Streik organisiert haben. Den Parlamentarierinnen, die sich für gesetzliche Verbesserungen stark machten. Den Frauen, die mit ihrer skandalösen Nichtwahl in den Bundesrat anderen Frauen den Weg in den Bundesrat geebnet haben.

Und ich stehe hier in Freude, ob junger Frauen und Männer, die beispielsweise zu tausenden letztes Jahr am Womens March demonstrierten, die mit Hashtag- und anderem Aktivismus den Kampf weiterführen. Ich habe als Sekretärin der SP Kanton Zürich zu Beginn dieses Jahrtausends die SP Frauen Zürich mangels Interesse und mangels Nachwuchs auflösen müssen. Heute wollen junge Frauen die Sektion wieder neu gründen.

Sozialer Fortschritt, liebe Genossinnen und Genossen, Kolleginnen und Kollegen wird einem nie geschenkt. Weder den Männer noch den Frauen. Er muss immer erkämpft und dann auch verteidigt werden. Das macht ihr, das machen wir 364 Tage im Jahr. Wir verteidigen soziale Errungenschaften gegen die Dauerattacken der Bürgerlichen, die Sozialhilfe aufs Minimum kürzen und das Rentenalter erhöhen wollen. Und wir kämpfen für weitere Fortschritte, für bessere Vereinbarkeit, für Lohngleichheit, für mehr Mitsprache, für gute Arbeitsbedingungen und anständige Löhne. 364 Tage im Jahr kämpfen wir. Aber an einem Tag, am 1. Mai aber können wir uns auch mal feiern. Uns freuen über das, was wir erreicht haben. Wir können noch mehr erreichen, wenn wir gemeinsam weiter kämpfen.

Ich wünsche allen ein schönes 1. Mai-Fest!