JournalistInnen und PolitikerInnen haben ein spezielles Verhältnis, geprägt von grosser Nähe, aber auch dem Bedürfnis nach Distanz. Gewisse JournalistInnen bestehen in der Beziehung mit PolitikerInnen auf dem «Sie», um eben diese Distanz zu gewährleisten, um zu viel Nähe und Kumpanei zu jenen, über die sie denn auch kritisch berichten sollen, zu vermeiden. Die Distanzierung ist allerdings oft auch ein wenig künstlich, gerade in einer Ferienlageratmosphäre wie einer Session, in einem kleinen Land, wo sich eh schon jeder kennt.
«Zürich ist eine WG», pflegt SP-Nationalrätin Jacqueline Badran zu sagen, und die Schweiz ist in dieser Allegorie ein Dorf, ein Quartier gar. Und vermutlich hat fast jede/r im gleichen Alter daher über ein paar Ecken herum miteinander studiert, Militärdienst geleistet oder zusammen in einer WG gewohnt. Und so ist es – genauso wie bei Politikern und Politikerinnen aus verschiedenen Lagern – halt manchmal nicht ganz so distanziert, es entstehen Freundschaften, zuweilen sogar Liebesbeziehungen.
Und selbst in einem grossen Land wie den USA gibt es diese Wechselwirkung aus Kumpanei und Kontrolle zwischen Politik und Medien, gerade bei den JournalistInnen und dem Weissen Haus. Das White House Correspondents Dinner ist ein typischer Ausdruck dieses Dilemmas. An diesem Dinner kommen PolitikerInnen und JournalistInnen zu einem glamourösen und gemütlichen Dinner zusammen. In der Prä-Trump-Ära kam auch jeweils der Präsident und hielt eine launige Rede, in der er sich selbst auf die Schippe nahm. Trump hat bis anhin noch nicht teilgenommen. Ebenso Tradition ist der Auftritt eines Komikers oder einer Komikerin, der mit einem so genannten «Roast» sich über die Anwesenden im Saal lustig macht. Diese launigen Reden gibt es auch hierzulande, am Sechseläuten schiints – ich war noch nie dabei – aber auch an politischen Anlässen. Ich habe selbst schon ebensolche gehalten, ich bin keine besonders begabte Rednerin, aber dieses Genre ist mir immer gelegen. Die Kunst dabei ist, Witze zu machen, über die auch die Opfer der Pointen lachen können. So hätte das auch am White House Correspondents Dinner sein sollen, so wäre die Tradition. Aber dieses Jahr ist es anscheinend schief gelaufen. Komikerin Michelle Wolf hielt eine Rede, die teilweise lustig, teilweise ernst und teilweise auch schlicht gemein war. Die Anwesenden mochten nicht recht lachen. Wolf sei zu weit gegangen, ihre Witze seien verletzend gewesen. Insbesondere die Pressesprecherin des Weissen Hauses Sarah Huckabee Sanders sei schlecht behandelt worden. Trump regte sich via Twitter auf, eine ganze Reihe von renommierten JournalistInnen ebenfalls. Die Organisatoren des Anlasses sahen sich gezwungen, sich zu entschuldigen. Derweil eilen andere JournalistInnen und KomikerkollegInnen Wolf zu Hilfe.
Ich verzichte hier, die Rede wiederzugeben, zumal ein Grossteil der Witze auf Deutsch nicht funktioniert. Interessierte können sie auf Youtube nachschauen. Warum sie so viel Empörung verursacht, war mir auf den ersten Blick nicht ganz klar. Es gab ein paar schlüpfrige Witze über Trump und Pornodarstellerinnen – aber das war ja zu erwarten. Huckabee Sanders und Kellyanne Conway kamen insbesondere wegen ihrer Lügen ins Visier. Sarah Huckabee Sanders würde Fakten verbrennen und aus deren Asche sich ihre perfekten Smoky Eyes schminken, meinte Michelle Wolf. KritikerInnen finden, sie habe sich damit über Sanders Aussehen mokiert. Aber dass PolitikerInnen und damit auch deren SprecherInnen lügen, ist der älteste Witz der Welt. Vielleicht tüpfte sie die Anwesenden mehr mit etwas anderem. «Ihr habt eine Trump-Obsession. Hattet ihr mal was mit ihm?», fragte sie die Anwesenden. «Ihr tut alle so, als ob ihr ihn hasst, aber ich glaube, in Wahrheit liebt ihr ihn. Niemand hier will zugeben, dass Trump euch geholfen hat. Trump konnte keine Steaks, keinen Wodka, kein Wasser, kein College, keine Krawatten, nicht mal seinen Sohn Eric verkaufen. Aber euch hat er allen geholfen. Er hat euch geholfen, eure Zeitungen und Bücher zu verkaufen, euer Fernsehen. Ihr habt geholfen, dieses Monster zu schaffen und jetzt profitiert ihr von ihm.»
Der Elefant im Raum war denn auch der Abwesende. Der richtige Umgang mit ihm, dem Präsidenten, der so anders ist als seine Vorgänger, haben die meisten noch nicht gefunden. Weder seine politischen Gegner noch die Medien. Denn Trump ist kein normaler Präsident. Und genau das hat ihn zum Präsidenten gemacht. Trump pfeift auf die übliche Höflichkeit und Umgangsformen. Eine seiner besonderen Begabungen ist die treffsichere Beleidigung seiner politischen Gegner: Crooked Hillary, Lying Ted, Little Marco oder Low Energy Jeb. Mit der Wahrheit nimmt er es hingegen nicht so genau. Trotzdem – oder vielmehr wegen ersterem – halten ihn seine Fans für ehrlich und authentisch. Er ist ehrlich, weil er sich nicht verstellt, den Leuten nicht den Schmus bringt, sich nicht von falscher Höflichkeit oder politischer Korrektheit hindern lässt. Das funktioniert auch bei Blocher sehr ähnlich. Dass er die Öffentlichkeit belügt – wie beispielsweise bei der BAZ, sowohl bei der Übernahme wie auch beim Verkauf – stört seine AnhängerInnen nicht. Im Gegenteil, das zeigt seine Schläue. Er ist ein Lügner ja, aber er ist unser Lügner.
Trump ist kein konventioneller Präsident und wird es auch nicht mehr werden. Für die Medien eine Herausforderung genauso wie für KomikerInnen. Beide profitieren von Trump, auch wenn sie behaupten, ihn nicht zu mögen. Und beide wissen nicht, wie sie auf ihn reagieren sollen: Mit Komik, mit Ernst, mit Demaskierung, mit Normalisierung, mit Skandalisierung. Wie der Junge, der zu oft Wolf schrie, nützt sich auch das Hyperventilieren rund um Trump immer mehr ab. «Wir sind Blochermüde» hiess es schon in den 1990ern. Und Trumpmüde sind wir alle sowieso.
Zivilisation beruht auf Affektkontrolle, meinte einst der Soziologe Norbert Elias. Das Erhöhen der Scham- und Hemmschwellen, die Rationalisierung und die Tabuisierung sind nicht schlecht, sie sind die Voraussetzung für einen zivilisierten Umgang miteinander. Wir schlagen uns nicht mehr, sondern beleidigen uns über die sozialen Medien. Ist ein Fortschritt. Und noch fortschrittlicher wäre es, wenn wir uns höflich und auf hohem Niveau beleidigen täten. So gesehen ist die Kumpanei und mangelnde Distanz zwischen JournalistInnen und PolitikerInnen auch kein Problem. Denn auch Rollenbewusstsein sollte in einer zivilisierten Welt möglich sein. Vielleicht wird es dereinst auch wieder möglich sein. Es wäre zu hoffen.
Min Li Marti