Tatsachen und Meinungen

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Der Begriff Fake-News kam nach den amerikanischen Wahlen 2016 auf. Damit waren krude Falschmeldungen gemeint, die im Internet und den sozialen Medien kursierten, wie beispielsweise, dass Hillary Clinton im Keller einer Pizzeria in Washington D.C. einen Kinderpornoring betreibe. Den gab es natürlich nicht, das musste auch jener Mann feststellen, der mit Waffen die Pizzeria stürmen wollte, um die armen Kinder zu befreien. Zum Glück wurde niemand dabei verletzt. Mittlerweile sind Fake-News zu einem Kampfbegriff geworden, der allerlei meint, nur nicht jenes, was es ursprünglich war, nämlich gezielte und bewusste Falschmeldungen. Angefeuert von Präsident Trump, der einen untrüglichen Instinkt für solche Sachen hat, wurde Fake-News von den Rechten usurpiert, um gegen journalistische Fehler oder unliebsame Meinungen Stimmung zu machen.

 

Im Huckepack: die Fakten. Früher waren Fakten Fakten, richtig oder falsch, heute sind sie auch bloss noch Meinungen. Oder eben ‹alternative Fakten› wie Trumps brillante Spindoktorin Kellyanne Conway Lügen benannte. Und weil alles auch in die Schweiz schwappt, was über dem grossen Teich Wellen schlägt, ist das auch bei uns angekommen. So fordert ein ehemaliger NZZ-Journalist, der von links-aussen mittlerweile schon im ziemlich trüb-rechten Wasser fischt, auf Twitter, dass es neben dem Arena-Faktencheck des ‹Tages-Anzeigers› auch noch einen Faktencheck der ‹Weltwoche› geben soll.

 

Besonders ins Visier von Trump ist ironischerweise der Fernsehsender CNN geraten, der sich stets – im Gegensatz zu den Nachrichtensendern Fox zur Rechten und MSNBC zur Linken – ausserordentlich darum bemüht, alle Meinungen abzubilden und eine neutrale Haltung einzunehmen. Ebenfalls ironisch scheint, dass die Rechte eine vulgärpostmoderne Position vertritt, nämlich, dass alles – auch Fakten – letztlich die Frage der politischen Einstellung sei. Trumps CNN ist seit den 1970er-Jahren hierzulande die böse linke SRG. Deren linke Ideologie ist sogar schuld daran, dass das ‹Echo der Zeit› SVP-Nationalrat Claudio Zanetti nicht als Redaktor anstellen wollte.

 

Vielleicht ist es diese Dauerkritik, die die neue SRG-Direktorin Nathalie Wappler dazu bewogen hat, in einem Interview mit der NZZ am Sonntag die Abkehr vom Meinungsjournalismus zu fordern: «Und wir müssen ein Programm machen, das informiert, aber nicht polarisiert. Wir müssen keinen Meinungsjournalismus machen.» Wappler deutscht im gleichen Interview aus, was damit gemeint ist: «Es ist der einfachste Weg, einen Experten zu suchen, der die eigene These bestätigt. Daher muss die erste journalistische Tugend sein: Ich habe eine These und suche jetzt erst einmal alles, was gegen sie spricht.»
Diese Absage vom Meinungsjournalismus hat für einiges Aufsehen gesorgt. SVP-Medienpolitiker wie Gregor Rutz oder Natalie Rickli zeigten sich erfreut. Intern habe das Interview aber für Verunsicherung gesorgt, wie die ‹Medienwoche› berichtete. JournalistInnen hätten sich an ihre Vorgesetzten gewandt, wie diese Aussage zu verstehen sei. Radiochefredaktorin Lisbeth Born beruhigte sie laut ‹Medienwoche› mit einer internen Notiz: «An unseren bisherigen Grundsätzen ändert sich nichts.» Das mag sein. Es ist aber ein weiteres Beispiel für das politisch und kommunikativ ungeschickte Verhalten der SRG-Führung. Seit der NoBillag-Abstimmung, die mit deutlichem Mehr gewonnen wurde, verhält sich die SRG-Führung so defensiv, als hätte sie eine empfindliche Niederlage kassiert. Der einzige Ort, wo sie es nicht tat – bei der Verlegung des Radiostudios – wäre jener gewesen, wo ein wenig Rücksichtsnahme auf die Politik strategisch klug gewesen wäre. Dabei geht es wohl darum, die Kritik an der SRG aufzunehmen und zu entkräften. Der harte Kern der SRG-KritikerInnen will aber gar keine Abkehr vom Meinungsjournalismus. Er stört sich nicht an den Meinungen von ‹Weltwoche›, NZZ oder BaZ. Sondern an den anderen.

 

Eine politische Haltung zu vertreten ist für JournalistInnen auch nichts Verwerfliches. Ein Nichteinhalten von journalistischen Prinzipien hingegen schon. Nicht die Meinung ist also das Problem. Sondern verdrehte Tatsachen. Dass es aber nicht ganz so einfach ist, zeigt der Medienmonitor 2017, den die Firma Publicom im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation erstellt hat. Darin wurde ‹20Minuten› als das mit Abstand am stärksten meinungsbildende Medium identifiziert. Notabene eine Zeitung, die bewusst auf politische Kommentierung verzichtet. Die aber mit einer sehr einseitigen Themenauswahl und Gewichtung eben genau eine klare politische Haltung befördert. ‹20Minuten› berichtet überproportional oft über die Themen Flüchtlinge, Islam, Sicherheit und Terror. Tsüri-Journalist Simon Jacoby beschreibt in seinem Artikel «Das System 20 Minuten» die Praxis wie folgt: «Das System ist ein einfaches. Durch die konsequente Polarisierung bei bestimmten Themen werden Konflikte herbeigeschrieben, Gräben in der Schweizer Bevölkerung ausgehoben und das vorherrschende Klima der Angst bewirtschaftet und zementiert.»

 

Ein letztes Beispiel, wie Tatsachen und Meinungen mittlerweile ziemlich durcheinander geraten sind, ist die ganze Diskussion um den UNO-Migrationspakt. Die SVP, international vernetzt und interessiert, hat bei den Kollegen Trump, Orban und Strache abgekuckt, dass der Migrationspakt ein Bewirtschaftungspotenzial besitzt. Und wie stets wird das Agenda-Setting der SVP von Mitte-Rechts und Medien belohnt. So weit, so normal. Was aber eine neue Qualität angenommen hat ist, dass der Quark der SVP relativ unwidersprochen aufgenommen wird. Der Pakt fordert weder eine weltweite Personenfreizügigkeit noch eine Legalisierung aller illegalen MigrantInnen (vielmehr ganz im Gegenteil!) und schon gar keine Pressezensur. Das letzteres auch noch vom Verlegerverband und einigen JournalistInnen weiterverbreitet wurde, ist ein Armutszeugnis für die Branche. Der Pakt fordert in erster Linie (im Übrigen rechtlich unverbindlich), dass systematisch rassistische Berichterstattung nicht staatlich gefördert werden soll. Mal abgesehen davon, dass systematischer Rassismus durch die Antirassismus-Strafnorm sowieso schon strafbar wäre, scheint mir erschreckend, dass man systematischen Rassismus heute einfach so als normale und legitime Meinung abtut. Ich bin bis anhin davon ausgegangen, dass sich ‹Weltwoche›-Leser und SVP-WählerInnen nicht als Rassisten verstehen. Und deren JournalistInnen auch nicht. Offenbar ist das nicht so. Und ja, das ist eine Meinung und keine Tatsache.