Apéro!

151/331

Vielleicht liegt es an einer gewissen Betriebsblindheit. Aber ich fand früher viele Medienberichte zum Thema Korruption und Politik übertrieben, kleinkrämerisch gar. Immer diese Berichte um Apéros am Filmfestival Locarno oder Einladungen ans Schwingfest. Immer der Tenor: Schaut diese korrupten Politiker, die sich auf Kosten der SteuerzahlerInnen oder wem auch immer einladen lassen. Nun verdient man als Gemeinderätin oder Kantonsrat nicht schaurig üppig und selbst der Nationalrat ist im internationalen Vergleich bescheiden und billig. Im Gegenteil kann man auch froh und dankbar sein um all jene, die sich in Milizarbeit um unser Gemeinwesen kümmern, in den Schulpflegen, den Gemeindeexekutiven, den Kantonsräten. Und frei von Sünde sind wir ja alle nicht. Also lasst den Leuten den Apéro.

 

Ein Schwingfest lädt Politikerinnen aus demselben Grund ein, wie es auch Schauspieler und TV-Moderatorinnen und Sportler einlädt. Weil es Promis sind. Das macht sich gut und es gibt dann auch ein paar Bilder davon in der ‹Schweizer Illustrierten›. Ein Filmverband lädt am Filmfestival Locarno PolitikerInnen zum Apéro ein, weil sie mehr Geld für die Filmförderung will. Und die Post lädt die PolitikerInnen in Locarno ein, weil sie das Sponsoring mit Lobbying verbinden kann. Ich war selbstverständlich auch in Locarno und auch an vielen Apéros. Und bin auch immer für mehr Mittel für die Filmförderung. Aber – wie man bei Filmen oder Serien sagen würde – Spoiler Alert: Ich wäre das auch sonst. Ich hätte es noch nie erlebt, dass auch nur ein Politiker oder eine Politikerin durch einen Apéro seine Meinung geändert hätte. Dafür ist das Catering auch zu wenig gut. Und darum habe ich auch einen gewissen Unmut gegen jene medialen Umfragen, jüngst im ‹Beobachter›, die nach Geschenken und Einladungen fragen.

 

Nun sind Geschenke und Einladungen nicht immer unproblematisch. Es gab auch in Zürich immer wieder Schlagzeilen, weil Spitzenbeamte heikle Geschenke angenommen hatten. Aber: Beziehungspflege ist nun mal Teil des Jobs. Sowohl von PolitikerInnen wie auch von SpitzenbeamtInnen. Die Bundesverwaltung hat die Richtlinie herausgegeben, dass nur Geschenke unter dem Betrag von 200 Franken angenommen werden dürfen. Wenn sich das allgemein durchsetzt, könnte dies durchaus Folgen haben. Bei diesem Betrag läge beispielsweise eine Einladung in das Opernhaus mit Apéro für Kantonsräte allenfalls nicht mehr drin. Für eine Firma könnte es auch unattraktiv sein, einen Kulturanlass zu sponsern, wenn er ihn nicht mehr für Kunden- oder Lobbying-Anlässe brauchen kann. Das könnte für die Kultur und für den Sport fatale Folgen haben.

 

So dachte ich also. Bis mich die Schlagzeilen aus Genf eines Besseren belehrten. Zuerst war da das politische Wunderkind Pierre Maudet. Der Freisinnige Genfer Staatsrat, der nach dem Willen vieler Medien und auch etlicher SPlerInnen hätte Bundesrat werden sollen. Dieser liess sich und seine Familie nach Abu Dhabi einladen zu einem Formel 1-Rennen. Ob er die Geschichte politisch überleben wird, ist noch offen. Sein grösstes Problem ist wie so oft, dass er nicht die Wahrheit gesagt hat und die Geschichte vertuschen wollte. Maudets Glück: Die KollegInnen des Genfer Stadtrats haben ihn aus den Schlagzeilen verdrängt. Diese geben mit doch grosszügigen Spesenbezügen zu reden. So hat CVP-Stadtrat Guillaume Barrazone – auch er liess sich übrigens nach Abu-Dhabi einladen – im Genfer Nachtleben Cocktails und Champagner spendiert. Und die ganze Schweiz rätselt zudem, wie man für 17 000 Franken pro Jahr telefonieren kann. Er habe seine persönliche Kreditkarte mit derjenigen der Stadt verwechselt, meint Barazzone und will einen Teil der Spesen freiwillig zurückzahlen. Im Kanton Waadt gerieten die Waadtländer Ständerätin Geraldine Savary und Staatsrat Pascal Broulis ins Gerede, weil sie mit dem schwedischen Milliardär Frederik Paulsen auf Russlandreise waren. Die beiden wurden von der Staatsanwaltschaft mittlerweile entlastet. Die Sozialdemokratin Savary hat dennoch angekündigt, dass sie 2019 nicht mehr zur Wahl antreten wird. Der Grund: Sie hat Wahlkampfspenden von Paulsen ihrer Partei gegenüber nicht deklariert. Für den zweiten Wahlgang habe sie eine Spende von 7000 Franken angenommen. Savary begründet ihren Rücktritt damit, dass der mediale Druck zu gross wurde und sie ihrer Partei nicht schaden wolle. Ob ihr Rücktritt wirklich nötig war, ist fraglich, sie zeigt aber Charakter, den die anderen vorher Genannten offenbar vermissen.

 

Wie häufig werden Kraut und Rüben, Äpfel und Birnen in einen recht unansehnlichen Fruchtsalat vermischt. Es droht beispielsweise, dass Spesen von StadträtInnen grundsätzlich unter Beschuss geraten. Aber es ist nun Mal ein Unterschied, ob man in offizieller Mission auf einer Reise ist oder ob man privat Cocktails spendiert. Selbstverständlich tendiert man als Stadtrat dazu, andere einzuladen, gerade weil man sich nicht abhängig machen will. Vielleicht ist so auch noch der eine oder andere Cocktail erklärbar. Wie man aber auf die Idee kommen kann, es sei unproblematisch, sich nach Abu Dhabi einladen zu lassen, scheint mir rätselhaft. Aber offenbar sind persönliche Schamgrenzen unterschiedlich. Daher braucht es wohl klare Regelungen.

 

Nicht vergessen sollte man ob all der Aufregung um Champagner und Taxifahrten, Handyspesen und Formel 1-Rennen, dass es eine institutionalisierte Korruption gibt, die viel problematischer ist. So verdient beispielsweise Bundesratskandidatin Karin Keller-Sutter 175 000 Franken pro Jahr als Verwaltungsrätin der Baloise. Der heutige Bundesrat Ignazio Cassis hat vor seiner Wahl als Präsident des Krankenkassenverbandes Curafutura 180 000 Franken pro Jahr verdient. Beides sind – gerade in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit – keine Einzelfälle. Ich missgönne keinem die Verwaltungsratsmandate, auch nicht die gut bezahlten. Aber bei diesen Zahlen ist die Unabhängigkeit eines Parlamentariers wohl eher in Gefahr als bei einem Apéro oder einem Schwingfest. Ein Armutszeugnis, dass der Nationalrat hier nicht mindestens rudimentäre Ausstandsregelungen definieren will (im Übrigen auch mit den Stimmen einiger Linken). Und damit geht das Spiel weiter. Die mediale Entrüstung und der Volkszorn richten sich auf die Apéros. Derweil wird anderswo munter abkassiert.