Die Hoffnung starb schnell. Nur wenige Stunden, nur etwas mehr als eine Nacht lang hatten die Grünen davon träumen können, in den Bundesrat einzuziehen. Am Donnerstag vor zwei Wochen gab die Grüne Präsidentin Regula Rytz ihre Kandidatur für den Bundesrat bekannt. Am darauffolgenden Samstagmorgen zerstörte CVP-Präsident Gerhard Pfister die grüne Hoffnung abrupt, indem er in der ‹Samstagsrundschau› von Radio SRF bekanntgab, dass die CVP Regula Rytz nicht einmal zum Hearing einladen wollte. Zur Erinnerung: Die CVP lud selbst Christoph Blocher zum Hearing ein, als dieser den CVP-Sitz angriff. Seither ist klar: Der Anspruch der Grünen wird nicht erfüllt werden. Auch wenn die Grünen einen klaren Wahlsieg verbuchen konnten, werden sie weiterhin nicht im Bundesrat vertreten sein.
Das Problem: Die Zauberformel, die Konkordanz wird von allen hochgehalten und in Reden an Sonn- und Werktagen hochgelobt. Nur aber von fast allen immer wieder falsch verstanden. Die Idee der Konkordanz, dieses weltweit einzigartige System ist, dass die massgeblichen Kräfte nach ihrer Stärke in die Regierung eingebunden werden. Ohne gemeinsames Programm und mit den von den beteiligten Parteien selbst bestimmten Köpfen. Die Konkordanz ist also eigentlich rein mathematisch, wird aber immer wieder und eben von fast allen dennoch inhaltlich interpretiert. Zum einen, indem man Anspruchsberechtigten jahre- und gar jahrzehntelang die Beteiligung verweigert, wie gerade die SP, aber auch die SVP erfahren mussten. Und dass man nicht jene wählt, die die Parteien selbst vorschlagen, mussten auch ebendiese immer wieder feststellen. Davon ist man eigentlich in den letzten Jahren abgekommen, es wurden jeweils die offiziellen Kandidaten gewählt. Am Mittwochmorgen der Bundesratswahl und auch in den Tagen zuvor aber war von ebendieser arithmetischen Konkordanz wenig zu hören.
Der Anspruch der Grünen sei ja im Prinzip da, hiess es hüben und drüben, nur um dann irgendwie vorzurechnen, warum es nun eben doch nicht so ist. Die Stabilität der Regierung sei nun mal wichtig, meinten CVP, SVP und natürlich die FDP. Es gehöre sich daher nicht, einen amtierenden Bundesrat abzuwählen. Zudem gebe die Verfassung vor, dass die Sprachregionen angemessen vertreten sein müssen und man darum den Tessiner Ignazio Cassis nicht abwählen dürfe. Mindestens erstes Argument ist schlicht Quatsch. Wenn man amtierende Bundesräte nicht abwählen kann, könnte man auch die Erneuerungswahl abschaffen. Und das führt nur dazu, dass Parteien vor der Wahl ihre Bundesräte taktisch auswechseln. Beide FDP-Bundesräte und auch die CVP-Bundesrätin sind erst seit Kurzem im Amt. Wenn man darauf wartet, dass sie von selbst zurücktreten, kann dies noch gut zwölf Jahre dauern. Kantonale und städtische Exekutiven sind auch nicht instabil, auch wenn alle vier Jahre die Gefahr einer Abwahl vorhanden ist. Der Anspruch des Tessins ist legitimer. Aber den könnte die FDP im Prinzip auch nach einer Abwahl von Cassis wahren, indem sie nachher Karin Keller-Sutter zurückgezogen hätte.
In einer klar unkomfortablen Lage ist die CVP. Denn: Wird die Zauberformel wie bis anhin interpretiert, so dass die drei grössten Parteien je zwei Sitze und die viertgrösste einen Sitz erhält, verliert die CVP ihren Anspruch. Und dass sie in vier Jahren die Grünen wieder überholen könnte, ist mehr als fraglich. Mit der Wahl von Rytz anstelle von Cassis würde die CVP zum einen ihren Bundesratssitz wahren und zum zweiten ihren Einfluss massiv ausbauen können, indem die CVP im Bundesrat zur entscheidenden Stimme würde. Dass die CVP dazu nicht bereit ist, liegt letztlich in erster Linie daran, dass ihr die FDP halt einfach inhaltlich näher ist als die Grünen.
Während die CVP immerhin ihre nicht ganz einfache Position einigermassen gut verkauft: Im Falle von Pfister schon fast brillant, wie das ‹Republik›-Interview zeigte, tat sich die GLP sichtlich schwer. Bei ihrem verbalen Slalom verfehlte Tiana Moser vor der Bundesversammlung gleich mehrere Tore. Zu Beginn legte sie dar, dass die Wahlen eine enorme Veränderung und einen klaren Auftrag mit sich brachten. Nur um dann etwas gewunden zu erklären, warum sie diesen Auftrag nun doch ignorieren will. Nachdem sowohl der klar am konservativen Flügel der CVP verortete Gerhard Pfister wie auch GLP-Präsident Jürg Grossen Regula Rytz klar Bundesratsformat attestiert hatten, erklärte Moser Rytz plötzlich wegen deren linken Positionierung als unwählbar. Ausserdem habe sich die Abwahl von BundesrätInnen nicht bewährt. Mindestens ein Teil ihres Elektorats würde hier im Fall Blocher wohl widersprechen. Aus diesem Grund könne die GLP keine Wahlempfehlung aussprechen. Das Resultat von Regula Rytz von 82 Stimmen lässt vermuten, dass Rytz real keine Stimme aus der GLP erhalten hat.
Damit macht die GLP sowohl taktisch wie auch staatspolitisch einen ziemlich groben Fehler. Zum einen ist die GLP – auch wenn es gerade Leute aus der SP nicht gerne hören – eigentlich politisch leicht links der Mitte verortet. Warum sie dann in einem Klima- und Frauenjahr einer kompetenten und ökologisch orientierten Frau ihre Stimme verweigert, ist nicht nachvollziehbar. Bei Exekutivwahlen geht es eben gerade nicht darum, die reine Lehre oder das eigene Parteiprogramm hundertprozentig zu erfüllen. So einen Anspruch haben sonst nur Linksaussenparteien und teilweise die SVP. Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass die GLP schlicht beleidigt ist. Nicht weil sie, wie Moser sagt, nicht einbezogen wurde. Sondern weil die Grünen in Majorz- und Exekutiv-Wahlen besser abschneiden als die GLP. Martin Neukom wurde als neuer Regierungsrat gewählt und nicht Jörg Mäder von der GLP. Marionna Schlatter verzeichnete bei den Ständeratswahlen im Kanton Zürich das klar bessere Resultat als Tiana Moser. Das empfindet die GLP offensichtlich als Zumutung, weil sie glaubt, dank der eingemitteten Haltung eigentlich das bessere Exekutivprofil zu haben. Hier macht aber die GLP den entscheidenden Denkfehler. Majorzfähig wird man in einem Mehrparteiensystem nicht durch das optimale SmartvoteProfil, sondern durch seine Allianzfähigkeit. Ausserhalb der Stammlande hat die CVP keine Chance auf einen Regierungsratssitz, wenn sie nicht in einem bürgerlichen Bündnis eingebunden ist. Die GLP hat ihre wenigen Erfolge wesentlich den linken und grünen WählerInnen zu verdanken, die die GLP als kleineres Übel zu den anderen Bürgerlichen taxierten. Mit dieser klaren Absage hat sich die GLP nun aber alle Chancen auf eine Machtbeteiligung verspielt, weil sie soeben bewiesen hat, dass sie weder bereit noch fähig ist, real Verantwortung zu übernehmen.
Für die Grünen ist die Niederlage wohl schmerzlich, aber letztlich nicht unerwartet. Es wird sie unter dem Strich aber eher stärken. Die Grünen mögen die Verlierer sein. Richtig verloren haben aber andere.