Wer darf wo wohnen?

124/331

Die Wohninitiative des Schweizerischen Mieterverbands hat tatsächlich Chancen, angenommen zu werden. Vielleicht auch dank dem Eigentor von FDP-Nationalrätin Regine Sauter, die in der Tagesschau fand, wer sich keine Wohnung leisten könne, müsse halt zügeln: «Wenn Sie nur beschränkte Mittel zur Verfügung haben, dann müssen Sie halt dorthin ziehen, wo Sie sich eine Wohnung leisten können. Es ist klar, dass nicht jedermann mitten in der Stadt Zürich wohnen kann.» Da könnte ja jeder kommen!

 

Das findet allerdings die AL irgendwie auch, natürlich nicht so, sondern um ein paar Ecken gedacht.  Worum geht es? Beim Tramdepot am Escher-Wyss-Platz soll das Tramdepot saniert und erweitert werden. Zusätzlich soll eine kommunale Wohnsiedlung mit 193 Wohneinheiten erstellt werden. Alle Parteien ausser SVP und AL sagen dazu ja. Die Vorlage hat eine etwas verkorkste Vorgeschichte. Seit Jahren wird überlegt, was mit dem Areal gemacht werden soll. Verschiedene Ideen sind gescheitert, unter anderem der Bau einer Kunstgewerbeschule genauso wie das Kleeblatt-Hochhaus-Projekt von Theo Hotz. Der Stadtrat wollte nach dem selbstverschuldeten Scheitern des Kleeblatt-Hochauses eigentlich keine Hochhäuser mehr auf dem Areal. Am Schluss gewann beim Architekturwettbewerb dann doch ein Hochhausprojekt: Jetzt sind dort zwei Hochhäuser, je rund sechzig Meter hoch, vorgesehen. Das Kleeblatt-Projekt wurde auch dafür kritisiert, dass die Wohnungen relativ teuer geworden wären. Das ist auch jetzt so: Die Kosten für die Wohnungen liegen über dem Schnitt anderer kommunaler Wohnbauten, was sich auch auf die Mieten auswirkt. Aus diesem Grund lehnt die AL (und auch die NZZ) das Projekt ab. Die AL schreibt in ihrem Minderheitsstandpunkt in der Abstimmungszeitung: «Die Mietpreise in dieser kommunalen Wohnsiedlung betragen für eine 1,5-Zimmer-Wohnung 1420 Franken, für eine 4,5-Zimmer-Wohnung 2090 Franken. (…) Als Vergleich: Eine 4,5-Zimmer-Wohnung in der kommunalen Wohnsiedlung Leutschenbach kostet 1580 Franken.»  Nun kann man durchaus finden, 2090 Franken Miete für eine kommunale Wohnsiedlung seien zu hoch. Aber die Vorlage gleich abzulehnen, weil sie «keinen Beitrag leistet für eine bessere Durchmischung des Quartiers», ist dann doch ein wenig absurd.

 

In Frau Sauters Pfefferland sind die Mieten sicher günstiger, in der AL-Wunschvorstellung auch. Aber die Realität sieht anders aus: Die günstigste 4-Zimmer-Wohnung, die im Kreis 5 auf Homegate ausgeschrieben ist, kostet 2900 Franken. Die zweitgünstigste 3800 Franken. Für viele Menschen wären 2090 Franken Miete pro Monat eine wesentliche Verbesserung zu dem, was sie heute zahlen müssen. Zudem: Die Wohnung mag jetzt etwas teuer sein, wird aber später, weil sie sie der Spekulation entzogen ist und der Kostenmiete untersteht, auf längere Sicht nicht teuer bleiben. Natürlich kann man wie die AL betrauern, dass sich das Quartier gewandelt hat und die Mieten massiv gestiegen sind: «Vor 15 Jahren hat im Escher-Wyss-Quartier eine 3-Zimmer-Wohnung im Durchschnitt noch 975 Franken gekostet», schreibt die AL weiter.

Nur: Eine Ablehnung der Vorlage trägt rein gar nichts dazu bei, dass die Durchschnittsmieten wieder auf dieses Niveau sinken würden. In den letzten Jahren findet in der Diskussion um den gemeinnützigen und kommunalen Wohnungsbau – geschickt orchestriert von der FDP und dankbar übernommen von einigen Medien – eine unselige Vermischung von subventioniertem, kommunalem und gemeinnützigem Wohnungsbau statt. Die FDP schiesst dabei nicht auf den gemeinnützigen Wohnungsbau an und für sich, sondern auf jene, die angeblich zu Unrecht darin wohnen. Der gemeinnützige Wohnungsbau soll nämlich nur jenen zu Gute kommen, die sich sonst keine Wohnung leisten können. Die sollten dann aber bitte ja nicht im Seefeld leben. Sondern irgendwo sonst, Regine Sauter weiss bestimmt Rat. 

 

Was der SVP bei Sozialhilfe und Invalidenversicherung gelungen ist, gelingt auch hier: Unter dem Vorwand der Missbrauchsbekämpfung wird die ganze Institution infrage gestellt und alle Bezügerinnen und Bezüger präventiv unter General-Abzockerverdacht gestellt. Und weil man sich medial und am Stammtisch leicht über Millionäre und Nationalrätinnen in städtischen Wohnungen (liebe SVP, ich gehöre übrigens nicht dazu) empören kann, hat diese Kampagne auch ganz gut funktioniert. Die FDP verliert zwar auch weiterhin wohnungspolitische Abstimmungen in der Stadt. Die Saat des Misstrauens ist dennoch aufgegangen.  Sie hat beispielweise dazu geführt, dass jetzt ein Vermietungsreglement in den städtischen Wohnungen eingeführt wurde, das zwar ganz vernünftig scheint, in der Praxis aber dazu führen könnte, dass dort, wo die Mieten sehr tief sind, auch Geringverdiener ihre Wohnung verlieren könnten. 

 

Auch Normalverdienende, sogar gut Verdienende haben in der Stadt Zürich Mühe, eine zahlbare Wohnung finden zu können. Und es ist auch für sie nicht ohne, einen Drittel des Einkommens für die Miete zu zahlen, wenn dann auch noch Krankenkassenprämien, Steuern, Kinderbetreuung und weiteres dazu kommen. Weniger Miete zahlen zu müssen, wäre für den politisch gern umworbenen Mittelstand eine weitaus bessere Entlastung, als die 90 Franken oder wenig mehr, die er vielleicht dann weniger Steuern bezahlen müsste, wenn die Kinderabzüge bei den Bundessteuern nach dem Gusto der CVP erhöht werden sollen.  

 

Gemeinnütziger oder kommunaler Wohnungsbau ist zudem nicht das gleiche wie subventionierter Wohnungsbau. Er kostet die Allgemeinheit nichts, sondern ist für die Gemeinde ein Gewinn.  Die Stadt behält den Boden, wenn sie ihn im Baurecht weitergibt, im eigenen Besitz und bekommt dafür noch einen Baurechtszins. Und wenn die Stadt kommunale Wohnungen erstellt, werden ihre Kosten via Miete wieder vergütet. Gemeinnützig heisst also, dass der Boden der Spekulation entzogen wird und der Wohnraum zur Kostenmiete weitervermietet wird, auf einen Profit bei der Miete verzichtet wird. Subventionierte Wohnungen sind hingegen solche, die gezielt verbilligt werden und für Menschen mit tiefem Einkommen gedacht sind. Sie sind denn auch an strenge Auflagen gebunden. Diese Ausgaben muss die Stadt aber auch sonst leisten. Das Geld für die Miete ginge ohne subventionierte Wohnungen einfach nur in die Taschen von privaten ImmobilienbesitzerInnen. Wer eine durchmischte Stadt will, der braucht beides: Wohnungen zur Kostenmiete und subventionierte. Denn in einer durchmischten Stadt sollen alle wohnen können, nicht nur die Reichen und ein paar Arme und nicht nur jene, die Regine Sauter will oder die AL meint.