Repräsentativ

118/331

2013 schrieb die ‹Facebook›-Managerin Sheryl Sandberg den Beststeller «Lean in: Frauen und der Wille zum Erfolg.» Das Buch ist ein Karriere-Ratgeber für Frauen, aber nicht nur als Managerselbsthilfebuch gedacht, sondern explizit auch als feministisches Werk. Sandbergs Feminismus ist in den letzten Jahren immer mehr unter Kritik geraten. Es sei ein neoliberaler, privilegierter Feminismus, den Sandberg predige. Dieser bringe den meisten Frauen nichts. Was nützt es der Kassiererin, wenn im Verwaltungsrat der Supermarktkette, in der sie arbeitet, eine Frau sitzt? Sandbergs Feminismus gilt als Feminismus der 1 Prozent, ein Feminismus, den nur reiche Frauen brauchen und der nur reichen Frauen zugutekommt.

 

Die drei Professorinnen Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser stellen dem einen «Feminismus für die 99 Prozent» entgegen. «Wer näht die H&M-Billigleibchen mit dem Aufdruck ‹Feminist›? Wer staubt Angelina Jolies Oscar ab? Und wer wäscht die schmutzige Wäsche von Michelle Obama? Das Manifest ‹Feminismus für die 99 %› fordert uns auf, konsequent die Heerscharen namenloser, oft schlecht bezahlter und auch sonst zigfach benachteiligter Arbeiterinnen hinter liberalen feministischen Ikonen und Vermarktungsstrategien in den Blick zu nehmen», so beschreibt Daniela Janser in der WOZ die Idee des Manifests. Der Feminismus der 99 Prozent will nicht die Teppichetagen erobern, sondern die Teppichetagen grundsätzlich abschaffen. Im Zentrum steht denn auch die mehrheitlich von Frauen geleistete «gesellschaftliche Reproduktionsarbeit», mit der vor allem die bezahlte und unbezahlte Haus- und Sorgearbeit gemeint ist. Sie ist der männlich dominierten gewinnorientierten Produktion untergeordnet. Die Autorinnen rufen zum Frauenstreik auf: Denn damit können Frauen Kapitalismus und Patriarchat gleichzeitig bekämpfen. 

 

Der Frauenstreik hat letztes Jahr stattgefunden und war ein Grosserfolg. Hunderttausende Frauen gingen in der Schweiz auf die Strasse, beteiligten sich an Streiks und Aktionen. Im Herbst 2019 fand eine Frauenwahl statt: Neu sind im Nationalrat 41,5 Prozent Frauen, eine historische Höchstmarke. Für die SP war die Wahl auch historisch, aber im negativen Sinne. Viel wurde über die Gründe des schlechten Resultats diskutiert und spekuliert – auch in dieser Zeitung. Eine der Fragen war auch, warum die SP nicht von den beiden grossen politischen Bewegungen rund um den Klima- und den Frauenstreik profitieren konnte. Beim Klima war es leicht erklärt, beim Frauenstreik etwas weniger. 

«Die Gleichstellung aller Geschlechter ist seit langem das Ziel der Sozialdemokratie. Und wir haben diese Gleichstellung innerhalb der Partei gar nicht so schlecht umgesetzt. Dennoch hat sich die SP von bürgerlichen Frauen eine Debatte über Repräsentanz aufdrängen lassen, ohne die weiteren Aspekte des Frauenstreiks zu thematisieren. Eine feministische Politik bedeutet: Die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum des Handelns zu setzen. Es heisst anzuerkennen, dass ohne die Care-Arbeit, die von den Frauen geleistet wird, das kapitalistische System nicht existieren kann. Und daraus folgt: Auch Männer können für Feminismus kämpfen. Und Frauen dagegen. Ein weiblicheres Parlament ist zweifellos wichtig, repräsentativer und gerechter. Es wird uns aber geschlechterpolitisch nicht zwingend weiterbringen», schreibt Nationalrat Fabian Molina in einer Wahlanalyse. Zum gleichen Schluss gelangte die SP Schweiz ebenfalls in einer an der Delegiertensammlung im letzten November präsentierten Wahlanalyse: «Der von bürgerlichen Frauen kreierte Slogan ‹Frauenwahl› hat die gleichstellungspolitischen Inhalte geschickt in den Hintergrund gerückt.» Auch SP-Präsidentschaftsanwärterin Mattea Meyer kritisierte in einem Interview mit der ‹Republik›, dass der Frauenstreik schnell in einer reinen Repräsentanzlogik diskutiert wurde: «Bei den Wahlen dann aber ging es letztlich nicht mehr in erster Linie um inhaltliche Gleichstellungspolitik, sondern eben vor allem um die Frage, ob im Parlament genügend Frauen vertreten sind.»

 

Das ist leider, mit allem Respekt, Bullshit. Und zwar in doppelter Hinsicht. Zum ersten stand im Frauenstreik die Repräsentanz nie im Zentrum, sondern die Care-Arbeit. Im Weiteren ging es um gerechte Löhne und Renten und sexuelle Ausbeutung und Gewalt. Viele Frauen – und gerade im Frauenstreik Aktive – haben aber bei den letzten Wahlen gezielt Frauen gewählt. Dies aber nicht rein aus Gründen der Repräsentanz, sondern weil sie glauben, dass Frauen die gleichstellungspolitischen und feministischen Anliegen eher vertreten würden.

 

Ich habe noch nie eine Frau gewählt, nur weil sie eine Frau ist. Und selbstverständlich gibt es etliche Männer, die mir gleichstellungspolitisch näher sind als etliche Frauen. Aber es sind dennoch im Wesentlichen die Frauen, die gleichstellungspolitische Fragen vorantreiben. Eine Studie des Münchner IFO-Instituts, das sich mit Kommunalpolitik befasste, kam zum Schluss, dass der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen deutlich stärker vorangetrieben wird, je mehr Frauen in den Gemeinderäten vertreten waren. Was vermutlich auch mit dem eigenen Erleben und der eigenen Zuständigkeit für die Kinderbetreuung zu tun haben könnte. Es reicht also nicht aus, von Care-Arbeit zu reden oder zu schreiben, wie dies neuerdings auch viele linke Männer tun. Wichtiger ist wohl, ob man diese Arbeit auch real leistet.

 

Essenzialismus liegt mir fern: Ich glaube nicht, dass Frauen bessere Menschen sind. Ich glaube auch nicht, dass Firmen besser oder sozialer wirtschaften, wenn sie Frauen in der Chefetage haben. Natürlich sollte für eine linke Partei und auch für linke Feministinnen Fragen wie der Mindestlohn oder eine gerechte Altersvorsorge wichtiger sein als Frauenquoten. Aber deswegen ist die Repräsentanz weder unwichtig noch neoliberal. Es ist auch eine radikale Frage, denn es geht um eine Machtfrage. Und die Machtfrage ist im Kern des Feminismus. Es ist ein klares Zeichen an Frauen, an Menschen mit Behinderungen, Migrantinnen und andere, wenn sie in den Teppichetagen der Unternehmen, in den Regierungen und anderen Schalthebeln der Macht nicht vorkommen: Du hast nichts zu sagen und hier nichts verloren. Natürlich kann man finden, man soll lieber die Teppichetagen abschaffen. Aber bis es soweit ist, sollte man den Männern nicht allein das Spielfeld überlassen. Und: Es gibt nicht nur Teppichetage oder Strasse. Der Kampf für demokratische Institutionen und für mehr Teilhabe war immer auch ein Kampf von links. Man sollte ihn nicht den bürgerlichen Frauen überlassen. Weil er dann und eben nur dann wirklich neoliberal ist.