Rational gesehen war es kein schlechter Abstimmungssonntag. Kaum eine Initiative schafft es je, eine Mehrheit der Stimmbevölkerung zu überzeugen. Meist sinkt die anfängliche Zustimmung nach einer Abstimmungskampagne – und wir erlebten hier eine besonders heftige – dann deutlich unter die 50-Prozent-Grenze. Zumal in den letzten Wochen vor der Abstimmung medial eigentlich praktisch nur noch die GegnerInnen zu Wort kamen, und diese gleich mit dem vollen Geschütz. Bundesrätin Keller-Sutter, CEOs von Grossunternehmen, sie alle durften – meist unwidersprochen – in grossen Interviews vor den Gefahren der Konzernverantwortungsinitiative warnen. Man hörte auch, dass in gewissen Redaktionen die Chefetage interveniert habe, dass nicht zu positiv über die Konzernverantwortungsinitiative berichtet werden soll. So gesehen sind die 50,7 Prozent Ja ein Erfolg, auch wenn die Initiative am Ständemehr gescheitert ist. Die Kriegsgeschäfteinitiative erreichte mit 42,5 Prozent Ja-Stimmen ein respektables Resultat. Sie wurde von der GSoA und den Jungen Grünen lanciert, zwei Absender, die kaum für besonders mehrheitsfähige Projekte stehen. Dass sie also über 40 Prozent Ja-Stimmen holen könnten, hätten sie wohl selbst bei der Konzeption der Initiative nicht geglaubt.
Und dennoch fühlten sich die ersten Resultate ein wenig an wie ein Schlag in die Magengrube. Kaum eine Initiative hatte je so eine professionelle Kampagne, die über Jahre hinweg geführt wurde, und so viele finanziellen Mittel zur Verfügung und so eine breite Unterstützung in Zivilgesellschaft und Politik. Zudem vertrat sie ein Anliegen, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: Dass sich schweizerische Konzerne und von ihnen kontrollierte Unternehmen auch im Ausland an elementare Menschenrechte und Umweltstandards halten sollen. Die Initianten gaben sich auch redlich Mühe, dass die Initiative nicht als linkes Anliegen daherkommt. Im Vordergrund stand FDP-alt Ständerat Dick Marty. Der einzige aus SP und Grünen, der nicht versteckt wurde, war Ständerat Daniel Jositsch, der auch bei Bürgerlichen nicht unter übertriebenem Sozialismusverdacht steht. Kaum ein anderes Anliegen wird je wieder auf diese geballte Power zurückgreifen können. Und dennoch hat es nicht gereicht. Das ist ein Frust und wir werden auch analysieren müssen, wie man diesem schon oben erwähnten schwierigen Medienumfeld begegnen soll.
Dennoch ist Optimismus angebracht. Verhalten zwar, aber nicht unbegründet. Die Schweiz bewegt sich durchaus. Nicht so schnell und so fest, wie wir es uns wünschen würden, aber sie bewegt sich. Der Politikwissenschaftler Claude Longchamp stellte fest, dass 2020 diejenige Partei, deren Parole am meisten übereingestimmt hat mit dem Abstimmungsausgang, die GLP sei. Das kann sich durchaus auch wieder ändern. Aber dass es früher eher die CVP oder BDP war, die im schweizerischen Mittel lag, und heute die GLP, scheint durchaus ein Trend zu sein, der sich auch in den Wahlerfolgen der GLP niederschlägt. Die Mitte ist heute nicht die CVP – die mindestens im Bundeshaus immer mehr nach rechts rückt – sondern die GLP.
Nun weiss ich, dass die GLP bei vielen in der SP und bei den Grünen nicht sonderlich beliebt ist. Eine GLP-Schweiz ist auch keine linke Schweiz und die GLP hat gerade im Bereich der Finanzpolitik rechte Reflexe und sozialpolitisch wenig Verständnis dafür, dass nun mal nicht alle Menschen in diesem Land gut ausgebildet sind und gut verdienen. Dennoch ist der Versuch, die GLP als eine Art ultrarechte Partei oder als grüne SVP zu zeichnen, zum Scheitern verurteilt. Es ist weder glaubwürdig noch richtig. Es hätte vielleicht mehr als ein Körnchen Wahrheit, wäre die Partei noch so von ihrem Gründer Martin Bäumle dominiert wie zu Beginn. Doch dieser fühlt sich mittlerweile gemäss Medienberichten nicht mehr ganz wohl in seiner Partei. Das zu Recht. Die GLP ist weiblicher, fortschrittlicher und urbaner geworden. Und damit ein kleines bisschen nach links gerückt. Dafür wird sie auch von linken WählerInnen honoriert. Es ist beispielsweise zu vermuten, dass die neue Basler GLP-Regierungsrätin Esther Keller ihre Wahl vor allem auch WählerInnen der Linken zu verdanken hat. Gleichzeitig schwächelt die FDP in den Städten. In Basel verlor sie ihren Regierungsratssitz. In St. Gallen wurde der Kandidat der Freisinnigen von der Sozialdemokratin Maria Pappa im Kampf ums Stadtpräsidium geschlagen. Die GLP hat Einsitz in immer mehr Exekutiven. Ob dies langfristig anhält, wird sich noch weisen. Klar ist, eine GLP ist uns näher als Freisinn oder Christdemokraten. Das macht sie nicht zu Linken. Aber vielleicht wäre es Zeit, ein etwas unverkrampfteres Verhältnis zur GLP zu entwickeln. Erschwert wird das dadurch, dass die GLP tatsächlich auch eine Erhöhung der Wähleranteile auf Kosten von SP (und etwas weniger der Grünen) erreicht. Hier müsste sich die SP auch selbstkritisch fragen, ob sie genügend attraktiv für Links- und Sozialliberale ist. Damit ist weniger die Spielart gemeint, die sich zwar so nennt, aber letztlich vor allem in gewissen Fragen rechts ist. Sondern jene, die sich vor allem für eine offene und gesellschaftspolitisch fortschrittliche Schweiz einsetzen will.
Doch das allein genügt nicht. Die Abstimmung hat gezeigt, dass eine Mehrheit der Stimmbevölkerung eine verantwortungsvollere, sozialere und ökologische Wirtschaft möchte. Eine, in der nicht allein Profit und Interessen von Grosskonzernen im Zentrum stehen. Ich bin auch überzeugt, dass die Politik, die gerade vom neuen SP-Präsidium verfolgt wird, dass die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie solidarisch getragen werden müssen und dass hier die öffentliche Hand eine Verantwortung hat, in der Bevölkerung – im Gegensatz zum Bundeshaus – auf grosse Sympathien stösst. Die SP hat hier bewiesen, dass sie pragmatische und effektive Lösungen hat und auch teilweise durchsetzen kann. Dieser Weg ist richtig und verhilft der SP mittel- und längerfristig dazu, ihre Wählerbasis zu verbreitern. Die Wirtschaft, das war uns immer bewusst, sind nicht nur Grosskonzerne oder Wirtschaftsverbände, es sind wir alle. Angestellte wie auch kleine Unternehmen, Gewerbetreibende und Selbstständigerwerbende. Sie alle haben in der SP ihre effektivsten VertreterInnen gefunden.
Richtig gewinnen wäre schöner, das ist klar. Aber im Moment sieht es wenigstens so aus, als könnte dies in nicht so ferner Zukunft auch gelingen.