Denkwürdiges Jubiläum

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Ein Jahr Corona. Ein denkwürdiges Jubiläum. Auf Twitter kursierte die Frage, was man seinem Ich vor einem Jahr mit dem heutigen Wissen mitgeben würde. Ich wüsste nicht viel zu sagen. Ausser: Du sollst den Sauerteig von Nicole auch nach dem Lockdown weiterpflegen. Vor allem hätte ich vor einem Jahr nicht gedacht, dass es so lange dauert. Und wenn ich ehrlich bin, würde ich das wohl meinem Ich vor einem Jahr nicht sagen. Dabei kann ich nicht klagen. Homeoffice geht bei mir gut. Die Absage von Veranstaltungen hat mir viele freie Abende beschert, die ich nicht missen möchte. In den Ausgang ging ich auch vorher nur selten.

 

Politisch ist das Jahr allerdings einiges bemerkenswerter als privat. Die SP hat sich sehr schnell und kompetent als jene Partei positioniert, die für Gewerbetreibende, Selbstständige und Arbeitnehmende Lösungen sucht. Mattea Meyer und Jacqueline Badran konnten dabei an vorderster Front im Nationalrat Mehrheiten erzielen, die man sich früher nicht erträumen mochte. Sie holten sich damit Anerkennung weit über das linke Lager hinaus, insbesondere bei WirtschaftswissenschafterInnen. Leider scheiterte einiges daran später wieder im Ständerat, was aber die Leistung nicht schmälert, sondern etwas über die Misere des Systems aussagt. Auch die Grünen und die GLP stellten sich insgesamt auf die Seite, dass man im Zweifelsfall mehr dafür tut, um Konkurse zu vermeiden und das Gewerbe zu entschädigen. Letztere waren sich im Gegensatz zu ersteren nicht immer einig, namentlich bei den Geschäftsmieten beispielsweise, aber für eine Partei, die sich sonst fiskalkonservativ gibt, zeigte sich hier immerhin eine gewisse Lern- und Anpassungsbereitschaft. Die Grünen blieben mit einigen Ausnahmen eigentlich eher im Windschatten der SP, elektoral schadet ihnen das aber nicht, wie die letzten kantonalen Wahlen zeigen. Insbesondere in der Westschweiz sind die Grünen teilweise daran, die SP als stärkste linke Kraft abzulösen.

 

Auf der anderen Seite suchte die SVP lange ihre Form. Man muss ihr zugute halten, dass sie eigentlich als erste Partei das Virus ernst zu nehmen schien. So wollte Fraktionspräsident Thomas Aeschi im letzten Jahr schon zu Beginn die Frühlingssession abbrechen – die dann in der letzten Woche auch abgebrochen wurde –, und Magdalena Martullo-Blocher trug als eine der ersten eine Maske, über die man sich zu Beginn noch lustig machte. Danach folgte ein recht abenteurlicher Slalom, bis die Partei solide im Lager der KritikerInnen angekommen ist. Das ist vermutlich strategisch nicht ganz ungeschickt, weil sie damit die Unzufriedenen und die SkeptikerInnen ansprechen kann, die sonst keine Lobby haben. Damit geht sie allerdings auf Kollisionskurs mit den eigenen kantonalen GesundheitsdirektorInnen, die hier eine weitaus vorsichtigere Linie in Bezug auf die Öffnungen fahren. Mit den Diktaturvorwürfen begibt sich die SVP zudem auf eine ziemlich destruktive Linie, bei der sie wohl das grosse Vorbild jenseits des grossen Teichs vor Augen hat. Und von da gibt es auch die Lehren, dass der Aufruf zum Aufruhr von einigen doch etwas ernster genommen wird, als man es vielleicht denken würde. Insbesondere
Aeschi und Martullo-Blocher – Präsident Marco Chiesa bleibt farblos – fahren einen ziemlich destruktiven Kurs, bei dem auch nicht ganz klar ist, was sie eigentlich damit erreichen wollen. Es erscheint zuweilen wie eine rechte Variante der Verelendungstheorie, wonach die Revolution dann schon kommt, wenn es den Leuten genug dreckig geht. Ob eine Partei, die sich so aufführt, wirklich in den Bundesrat gehört, wenn sie dasselbe Gremium als Diktatur beschimpft, ist eine Frage, die sich wieder akut stellt.

 

Immerhin ist hinter dem Gehabe eine Strategie zu vermuten. Bei der Mittepartei und der FDP hingegen ist sie beim besten Willen kaum zu erkennen. In einer denkwürdigen Sitzung der Wirtschaftskommission des Nationalrats halfen deren VertreterInnen, im Covid-Gesetz ein Ausstiegsdatum zu verankern, unbesehens der epidemiologischen Lage. Das Virus wäre dann per 22. März gesetzlich besiegt worden, was es sicher ungemein beeindruckt hätte. Ebenfalls gefordert wurde ein Maulkorb für die wissenschaftliche Taskforce. Die schlechten Nachrichten verschwinden ja auch, wenn man nicht mehr darüber redet. Keine Freude daran hatte der Präsident der neuen Mittepartei, der aber ganz offensichtlich bemerkenswert wenig zu melden hat. Am Schluss ruderte die Fraktion zwar zurück, indem sie es bei einer deklamatorischen Erklärung beliess, mit der der Nationalrat erklärte, er hätte eigentlich gerne, wenn es jetzt dann endlich vorbei wäre. Von dieser Erklärung werden sich vermutlich weder Virus noch Bundesrat gross beeindrucken lassen. In vielerlei Fragen der Kompensation von wirtschaftlich Geschädigten scheint es in der Mitte einen Machtkampf zwischen Ständerats- und Nationalratsfraktion zu geben, die weniger von der Sache als vom Machtwillen geprägt zu sein scheint.

 

Ziemlich orientierungslos agiert auch die dritte Bundesratspartei, die FDP. In Bezug auf vorschnelle Öffnungen wurde oft von einem Jojo-Effekt gesprochen, den man von Diäten kennt. Hört man auf mit dem Hungern, sind die Kilos schnell wieder da, häufig mit Verstärkung. Der Umgang der FDP erinnert allerdings auch daran. So forderte sie als erstes ein Ampelsystem, nach dem man mittels klarer Indikatoren Öffnungsschritte ableiten könnte, nur um dann ein Öffnungsdatum ohne Bedingungen festschreiben zu wollen. Die FDP wehrte sich auch immer gegen eine staatliche Industriepolitik, jetzt will sie im Bereich der Impfungen eine inländische Produktion forcieren. Seuchensozialismus lässt grüssen. Uns kann das recht sein. Für den Freisinn sieht die Lage im Moment nicht rosig aus: Die kantonalen Wahlen sind für sie schlecht verlaufen, mittlerweile verlieren sie auch Sitze in der Exekutive. Der hilflose Slalomkurs wird da kaum helfen. 

 

Tatsächlich haben die letzten Abstimmungen gezeigt, dass Mitte-links-Positionen (und damit meine ich nicht die Partei, die mal CVP hiess) durchaus mehrheitsfähig sein können. Das ist eine gute Ausgangslage über die Bewältigung der Krise hinaus. Und so können wir vorsichtig optimistisch in die Zukunft blicken, sowohl epidemiologisch wie auch politisch. Auch die dritte Welle nehmen wir noch. Das mit dem Sauerteig lerne ich auch noch.