«Als ich jung und verantwortungslos war, war ich jung und verantwortungslos», meinte einst der ehemalige US-Präsident George W. Bush, der auch im Alter an Vernunft Mangel bewies. Es ging ihm dabei darum, seine nicht ganz gloriose Vergangenheit als trinkender Verbindungsstudent zu beschönigen, aber er hat mit der Aussage im Kern nicht unrecht. Wer jung ist, ist nicht immer vernünftig, und das ist durchaus das Privileg der Jugend. Nicht umsonst spricht man von Jugendsünden. Es ist auch nur folgerichtig, dass alle, die nicht jung sind, nicht immer Verständnis für die Jungen haben, und Verständnis ist hier durchaus im doppelten Sinn gemeint. Es geht nicht nur um Wohlwollen. Manchmal checkt man es auch einfach nicht. Es ist ok, Musik oder Mediengeschmack von 15-Jährigen nicht zu mögen. Oder nicht zu verstehen. Natürlich macht einen das zum alten Sack. Nur der 15-Jährige hält einen auch für einen alten Sack, wenn man so tut, als sei man es nicht.
Grad in Fragen der Politik tun wir alten Säcke uns schwer mit der Jugend. Und dabei ist sowohl zu viel wie auch zu wenig Verständnis zuweilen ein Problem. Nehmen wir mal das Osterwochenende in St. Gallen. Am Karfreitag versammelten sich rund 1000 Jugendliche in St. Gallen. Gegen 22 Uhr eskalierte die Situation, es kam zu Ausschreitungen und Scharmützeln mit der Polizei. Offenbar wurde teilweise in Messenger-Diensten dazu aufgerufen. Wie oft nach solchen Ereignissen gibt es Aufschrei auf der einen und Verständnis auf der anderen Seite. Nur kommt das Verständnis überraschenderweise von jenen, die sonst über Hooligans, «finstere Chaoten und dunkle Gestalten» schimpfen. Die Jugend sei Corona-müde und das sei auch verständlich. Kaum einer leide mehr als die Jugend und die Solidarität, die ihr abverlangt werde, sei nun langsam aufgebraucht. Das sagen jedenfalls jene, die selber finden, die Corona-Massnahmen seien zu viel. Hört auf zu jammern, finden dann die anderen, denn schliesslich sei dies nur eine Minderheit, und im Übrigen sei ein Jahr Verzicht jetzt auch nicht so ein Drama. Nüchtern betrachtet leidet «die Jugend» selbstverständlich unter diesem Jahr, aber «die Jugend» ist weder total homogen, noch sind sie die einzigen. Und Jugendliche brauchten noch nie eine Jahrhunderpandemie für solche Anlässe. Die älteren Säcke unter uns erinnern sich vielleicht an das ‹Botellón› in Zürich, als sich Jugendliche versammelten, um auf einem öffentlichen Platz mit sehr viel Alkohol und den entsprechenden Begleiterscheinungen zu feiern. Oder an die Krawallnacht am Zürcher Central 2011, als sich Jugendliche für eine Partynacht am Central versammelten, was in 80 Festnahmen endete. Es gibt also allerlei Gründe für Jugendliche zu krawallieren, Corona ist nur einer davon. Alkohol, Testosteron und Jugendlichkeit gehören auch dazu.
Das heisst selbstverständlich nicht, dass man die negativen Begleiterscheinungen von Corona auf die Jugendlichen nicht ernst nehmen muss. Die Covid-Massnahmen haben teilweise sehr reale und sehr harte Auswirkungen, bei denen man durchaus eine Abwägung machen muss, ob diese verhältnismässig sind. Schulschliessungen sind dazu ein Stichwort, aber auch Besuchsverbote im Altersheim. Bei den Jugendlichen hat man daher die Jugendtreffs bereits vor einem Monat wieder aufgemacht und ebenso die Sportmöglichkeiten teilweise wieder zugelassen, aber das ist selbstverständlich nicht für alle die Lösung. Zukunftsperspektiven braucht es auch, und Freiräume, um halt jung und verantwortungslos zu sein.
Das Problem ist auch, dass man die Tendenz hat, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse auf die Jugend zu projizieren. Ich nenne es manchmal auch den Juso-Effekt. Dabei geht es darum, dass die Juso überproportional viel Erfolg haben mit ihren Anträgen bei Delegiertenversammlungen oder Parteitagen. Und auch in sonstigen Gremien. Auch wenn sie, nach eigenen Angaben, der Stachel im Hinterteil der Mutterpartei sein wollen. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Jusos viel Arbeit leisten, gut organisiert sind und gut argumentieren. Aber zuweilen auch, weil ein Teil der Delegieren einfach ein bisschen gerührt auf die Jusos reagiert und sich freut, dass sich Junge politisch engagieren. Es hilft da sicher auch, dass ältere Delegierte Parteitagsresolutionen viel weniger ernst nehmen als die Juso.
Das Phänomen ist auch beim Klima- und beim Frauenstreik zu betrachten. Ich will damit weder die Leistungen der Bewegungen noch die Inhalte schmälern. Aber aus der Warte der institutionellen Politik, und dazu gehören auch Parteien, gehört es dazu, dass wir die Bewegungen so ernst nehmen, dass wir uns auch real mit den Forderungen und den Inhalten auseinandersetzen. Und nicht einfach Forderungen unbesehen übernimmt, weil man die Jugendlichen herzig findet.
Das heisst dann aber auch mal, dass man eine Forderung ablehnt, wenn man sie nicht teilt, oder modifiziert, wenn man sie nicht für realistisch hält. Nur das ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Und zuweilen ist eine Rollenteilung eine Voraussetzung für den Erfolg. Das haben ja auch SP und Juso genügend oft bewiesen.
Nicht ganz trivial ist die Frage, wie in einer Pandemie mit demokratischen Grundrechten umgegangen werden soll. Es schien mir immer unverhältnismässig, wenn jegliche politische Aktion verboten ist, selbst wenn sie sich an die Vorschriften hält. Wenn man sich zu fünft treffen kann, warum sollte man dabei nicht auch ein Schild hochhalten können? Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und deren Einschränkung höchst problematisch.
Das gilt auch für Liestal: Man sollte auch gegen die Covid-Massnahmen protestieren können. Man müsste sich dabei allerdings an die Regeln halten, was natürlich schwierig ist, wenn man diese ablehnt. Dennoch ist eine verhältnismässige Reaktion auch bei solchen Aktionen und Protesten wichtig. So kann man die Zahl der Wegweisungen in St. Gallen mit Fug und Recht kritisieren, ebenso die Reaktion der Stadtpolizei Zürich auf die Demos am achten März oder das Urteil gegen Gemeinderätin Simone Brander wegen einer Aktion zu Popup-Velowegen.
Es wäre also sinnvoller gewesen, man hätte Formen gefunden, wie man coronakonform seinen Protest auf die Strasse bringen darf. Und sei es auch, um gegen die Massnahmen zu sein. Die Beschwerde der Anwältin Ursula Weber im Namen von verschiedenen AktivistInnen und PolitikerInnen über die kantonale Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie ist daher zur Klärung dieser Frage zu begrüssen.