Fuck de Planet

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Die Abstimmungsumfrage von Tamedia zeigt: Bei der Trinkwasserinitiative und der Pestizidinitiative wächst der Anteil der Nein-Stimmenden, ein Nein wird immer wahrscheinlicher. Das ist nicht ganz unerwartet, schliesslich werden die meisten Initiativen trotz Ja-Werten zu Beginn am Schluss doch noch abgelehnt. Die Umfrage zeigt aber auch, dass es beim C02-Gesetz knapp wird. Das ist etwas erstaunlicher: Schliesslich ist ausser der SVP, dem Hauseigentümerverband und der Auto- und Erdöllobby kein gewichtiger Player gegen das Gesetz. Laut Umfrage sind 61 Prozent der FDP-WählerInnen gegen das C02-Gesetz. Das erstaunt, denn das Gesetz wurde massgeblich vom Freisinn geprägt und von FDP-Präsidentin Petra Gössi promotet. Es sind also ausgerechnet die FDP-WählerInnen, die das Gesetz gefährden. Das Resultat ist selbstverständlich mit Vorsicht zu geniessen. Umfragen sind zum einen Momentaufnahmen, zum anderen liegen sie auch mal falsch. Politologe Fabio Wasserfallen, der mit Lucas Leemann die Umfragen für Tamedia durchführt, glaubt laut ‹Tages-Anzeiger›, dass im Abstimmungskampf noch einiges drin liege, um die Anhängerinnen und Anhänger der Parteien mit deren Parolen bekannt zu machen.

 

Vielleicht ist es ja zu Beginn eines Abstimmungskampfs ein Bauchgefühl und ein Instinkt, der die Wählerinnen und Wähler leitet. Das zeigte sich beispielsweise bei den Agrarinitiativen, die beinahe gleich beurteilt wurden, obwohl es da durchaus differenzierte Parolen gibt. So ist die GLP für die Trinkwasserinitiative und skeptisch bei der Pestizidinitiative. Bei den Biobauern ist es genau umgekehrt. Für ökologisch affine WählerInnen werden diese Nuancen zu Beginn kaum eine Rolle spielen. Sie wollen eine ökologischere Landwirtschaft, mehr Bio und weniger Pestizide. Damit liegen sie auch nicht falsch: Die vielleicht fehlende Kohärenz kann der Gesetzgeber immer noch nach Annahme der Initiativen korrigieren. 

 

Das Bauchgefühl der freisinnigen WählerInnen ist also eines, das Nein sagt zum CO2-Gesetz. Das hat vermutlich zwei Ursachen: Die eine ist, dass die ökologisch orientierten Liberalen genauso wie die eher Linksliberalen seit einiger Zeit eine elektorale Alternative haben. Das ist natürlich verkürzt: Es gibt etliche Freisinnige, die eine klar ökologische Politik wollen und vertreten. Die FDP versucht auch Gegensteuer zu geben. Die FDP-Frauen wollen jetzt mit der Individualbesteuerung den Wirtschaftsfrauen wieder ein Angebot machen, von denen sie etliche – vor allem bei den Jüngeren – an die GLP verloren haben.  Die gleiche Überlegung stand wohl hinter dem Kurswechsel beim C02-Gesetz: Damit sollte der Wählerverlust an die Grünliberalen gestoppt werden. Nur ist die Strategie offenbar bei einem Teil der Basis noch nicht angekommen.  Das kann auch mit dem Effekt erklärt werden, den man zuweilen auch in Bewegungen sieht: Die Moderaten wenden sich ab, es verbleiben die Radikalen und schrecken damit allfällige moderate WählerInnen ab. Die Ökologischen sind weg, es verbleiben die anderen. Einen Tanker dann zu kehren ist nicht trivial.

 

Der Hauptgrund ist wohl ein Reflex bei den Freisinnigen, der sich gegen Bevormundungen wendet. Die Grünen und Linken wollen alles verbieten, was Spass macht: Fleisch essen, in die Ferien fliegen, sexistische Witze machen. Und überhaupt schifft es jetzt schon seit Wochen und von Klimaerwärmung keine Spur. Ich will mich da nur zu einem gewissen Grad lustig machen. Denn ich kann den Reflex durchaus verstehen. Es ist nicht nur angenehm, sein Leben und sein Verhalten infrage zu stellen und zu ändern. Und vieles betrifft Dinge, die persönlich sind. Was ich esse, wohin ich in die Ferien fahre, die Arbeitsteilung im Haushalt und vieles mehr. Das geht ja niemanden was an und niemand mag eine Moraltante oder einen Tugendonkel, die einen belehren. Das Problem: Wenn wir jetzt nichts tun, werden die Einschränkungen schlimmer. Natürlich kann man auch auf den technischen Fortschritt setzen: Nur wieso sollte der kommen, wenn wir dafür keine Anreize setzen und die alten und schädlichen Technologien bevorzugen? Das sind alles nicht so gute Nachrichten für den Freisinn. Aber es sind vor allem schlechte Nachrichten für den Planeten. 

 

Die Folgen des Klimawandels spüren wir nicht erst im Jahre 2050, sondern bereits heute. Unwetter und Waldbrände zerstören Städte und kosten Menschenleben. Hitzewellen bedrohen Europa und auch die Schweiz. Tierarten sterben aus, die Gletscher ziehen sich zurück. Bereits heute sind Menschen wegen Klimaschäden auf der Flucht. Diese und viele weitere Effekte werden sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch verstärken, selbst wenn wir jetzt dem C02-Gesetz zustimmen. 

 

In den letzten Jahren ist der Begriff ‹enkeltauglich› in Mode gekommen, auch beim Freisinn. Vermutlich weil die Nachhaltigkeit ein bisschen zu abgelutscht ist. Mir war der Begriff immer ein wenig suspekt, weil er auch immer wieder für Sparpolitik missbraucht wurde: Mir schien nie einleuchtend, warum es den Enkeln etwas bringen soll, wenn es uns heute schlecht geht. Vermutlich ist er auch beim Thema Umwelt nur mässig zielführend. Wenn wir von Zeithorizonten von zwanzig, dreissig oder fünfzig Jahren sprechen, so ist das für die meisten von uns nicht fassbar, selbst wenn wir alle nur das Beste für unsere Enkel wollen. Es ist aber auch falsch: Denn der Klimawandel betrifft uns jetzt, uns selber und unsere Kinder. Und wenn wir jetzt nicht handeln, geht es nicht nur unseren hypothetischen Enkeln schlecht. Sondern allen.

 

Peter Morf und Jonas Hostettler, die vormaligen Präsidenten der SP-Umweltkommission, kritisierten in einem Artikel im P.S., dass die SP sich bei der Klimapolitik selber im Weg steht, weil sie den Klimawandel zu fest mit sozialen Zielen verknüpfte. Es sei klüger, das voneinander zu entkoppeln. Nur so könne man beim Klimawandel vorwärts machen und trotzdem für eine sozialere und gerechtere Welt kämpfen. Die These hat etwas für sich und dennoch bin ich nicht restlos überzeugt. Wenn der Kampf gegen den Klimawandel das Herz und die Seele der Menschen nicht berührt, dann wird er ebenso nicht funktionieren. In der SP ist dies die soziale Gerechtigkeit. Was es in der FDP ist, müssen wohl andere beantworten. Die Zeit drängt aber für die FDP-Parteispitze, die Menschen zu berühren. 

 

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