«Facebook und die grossen Tech-Firmen erleben ihren Tabak-Moment», sagte der US-amerikanische Senator Richard Blumenthal. Er meinte damit, dass jetzt rausgekommen sei, dass Facebook und Soziale Medien – wie Zigaretten – süchtig machen und die Firmen wie damals die Tabakkonzerne dies genau wüssten und sogar noch absichtlich verschlimmert hätten. Der Anlass: Das Hearing mit der ehemaligen Facebook-Angestellten und Whistleblowerin Frances Haugen. Sie hatte zuvor dem ‹Wall Street Journal› umfangreiche Dokumente weitergegeben. Haugen ist nicht die erste Angestellte, die Medien mit Interna von Facebook bediente. Aber eine der ersten, die mit vollem Namen hinsteht.
Haugen erhebt schwere Vorwürfe gegen Facebook: Die Plattform schade der Demokratie, fördere Polarisierung und Hass und gefährde die psychische Gesundheit von jungen Menschen. Und dies alles wissentlich. Der Zufall wollte es, dass ich kurz vor den Hearings begonnen habe, das Buch «An Ugly Truth: Inside Facebooks Battle for Domination» der beiden ‹New York Times›-JournalistInnen Sheera Frenkel und Cecilia Kang zu lesen. Dieses Buch zeichnet die verschiedenen politischen Kontroversen von Facebook der letzten Jahre nach, wie beispielsweise die Kontroversen nach den US-Wahlen 2016 oder rund um die Datenweitergabe an ‹Cambridge Analytica›. Der Rückblick darauf ist angesichts der neuen Entwicklungen ganz hilfreich.
Denn vieles daran, was jetzt diskutiert ist, ist nicht neu. Schon nach den US-Wahlen 2016 wurde Facebook zum Thema. Damals wurde viel über Fake-News geredet und dass Facebook massgeblich an deren Verbreitung beteiligt war (und ist). Ebenso thematisiert wurden Polarisierung und sogenannte Filterblasen, also geschlossene Blasen von Gleichgesinnten, die durch Soziale Medien begünstigt würden. Tatsächlich ist der Algorithmus von Facebook darauf ausgerichtet, dass Menschen möglichst viel Zeit auf der Seite verbringen. War früher der Newsfeed, also das, was man auf der Seite sieht, noch chronologisch, so zeigt der Feed heute – mindestens theoretisch – das an, wovon Facebook ausgeht, das es einen interessiert. Der Algorithmus misst dabei meine Interessen, diejenigen meiner FreundInnen und glaubt daraus zu erkennen, was mich interessieren könnte. Dieser Algorithmus funktioniert natürlich nicht perfekt, aber es wird hier einiges in Forschung investiert. Denn es ist im wirtschaftlichen Interesse von Facebook und anderer Tech-Giganten, möglichst viel über die NutzerInnen zu wissen. Denn dieses Wissen lässt sich in Anzeigen und Werbung umwandeln. Diese Anzeigen können dann also möglichst zielgruppengenau verkauft werden. Und noch mehr herausfinden über mein Verhalten kann man, wenn ich möglichst lange auf der Seite bleibe und dort interagiere. So hat also Facebook – das zeigen die Insiderberichte – festgestellt, dass das Engagement besonders hoch ist, wenn sich die Leute aufregen und ärgern. Und dies dann auch befördert.
Die US-Wahlen und deren Folgen waren auch hierzulande ein mediales Thema. Weniger bekannt sind die Auswirkungen von Facebook auf die politische Lage in Myanmar. Vor einigen Jahren wandten sich Mitglieder von Hilfsorganisationen und NGOs an Facebook. Ihnen ist eine zunehmend aufgehetzte Stimmung gegen Muslime und insbesondere die Rohingya aufgefallen. Genährt sei diese Stimmung durch Facebook-Posts, darunter auch durch Militärs, Mönche und PolitikerInnen. Darin wurden auch falsche Bilder und Geschichten verbreitet. Sie wollten, dass Facebook entschiedener gegen Hetze und Falschinformationen vorgehe. Facebook hörte zwar zu, unternahm aber wenig bis gar nichts. Ein Grund dafür war auch, dass Facebook nur wenige burmesische Moderatoren angestellt habe, dabei werden in Mynamar ungefähr hundert verschiedene Sprachen gesprochen. Erschwerend hinzu kam, dass Myanmar aufgrund der langen Militärdiktatur weder Internet noch freie Medien kannte. So erreichte Facebook nach der Öffnung sehr schnell eine sehr dominante Stellung und Verbreitung. Für viele Burmesen war das Internet fast gleichbedeutend mit Facebook, viele bezogen ihre Informationen praktisch ausschliesslich über Facebook. Die Verfolgungen gegen die Rohingya sind nicht neu, sind aber 2017 wieder eskaliert. Danach mussten Hunderttausende flüchten, Tausende wurden ermordet. Menschenrechtsorganisationen sprechen auch von ethnischen Säuberungen und Völkermord. Myanmar steht deswegen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Facebook wurde im September von einem US-Gericht dazu verordnet, Informationen und Daten an die Anklage weiterzureichen.
Unter den Papieren, welche die Whistleblowerin an das ‹Wall Street Journal› weitergegeben hat, waren auch interne Studien über den negativen Einfluss von Instagram auf Jugendliche. Die Fotoplattform Instagram gehört ebenfalls zu Facebook. Interne Studien hätten gezeigt, dass rund 13 Prozent von Jugendlichen in Grossbrittanien und rund sechs Prozent in den USA ihre suizidalen Gedanken auf Instagram zurückführten. Die dort präsentierten Bilder würden bei einem Teil der Jugendlichen, vor allem bei jungen Mädchen, zu Essstörungen und Depressionen führen. Trotz dieser Studien, so der Vorwurf der Whistleblowerin, würde Facebook nichts tun, um Jugendliche zu schützen.
Die neusten Enthüllungen rund um Facebook bringen auch die Frage wieder einmal aufs Tapet, wie man der Macht der Tech-Konzerne politisch begegnen kann. Das ist allerdings nicht trivial. Zum einen ist die Frage politisch nicht unumstritten. Die Rechten wissen nicht, ob sie überhaupt gegen Facebook vorgehen wollen. Facebook war lange Zeit bei den US-Konservativen in Verruf als zu demokratenfreundlich auch aufgrund der Nähe von Facebooks Nummer zwei, Sheryl Sandberg, zu den US-Demokraten. In den letzten Jahren hat sich das aber eher geändert, zumal sich Facebook sehr Mühe gab, politisch möglichst neutral zu erscheinen. Facebook-Topmanager Joel Kaplan ist Republikaner. Viele schreiben es seinem Einfluss zu, dass Mark Zuckerberg sich eher zurückhaltend bei der Bekämpfung von Fake-News und Hassbotschaften gibt und die Meinungsfreiheit in den letzten Jahren vehement verteidigt hat in Bezug auf die Facebookpräsenzen von rechten Verschwörungsvertretern wie Alex Jones. Auch ausserhalb der USA ist die Frage der Regulierung politisch umstritten. Aber auch wenn man sich darauf einigt, dass Handlungsbedarf besteht, so ist die Form der Regulierung nicht ganz einfach. Abwarten ist aber keine gute Lösung. Das zeigt auch die Geschichte bei der Tabak- und der Ölindustrie.
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