Bücher und Brücken

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Im US-Bundesstaat Tennessee beschloss eine Behörde kürzlich, dass der Comic «Maus» von Art Spiegelman aus dem Lehrplan entfernt werden soll. «Maus» ist eine autobiographisch geprägte Fabel über den Holocaust. Die Begründung der Schulbehörde: Im Werk gäbe es Nacktheit, Gewalt und Vulgarität. Die Verkäufe von «Maus» sind seit Bekanntgabe des Entscheids massiv angestiegen.

 

«Maus» ist kein Einzelfall, sondern Teil einer Entwicklung, die – entgegen dem Eindruck, den das NZZ-Feuilleton vermittelt – vor allem von Rechts kommt. Immer mehr Bücher sollen aus Lehrplänen und Bibliotheken entfernt werden. Immer mehr werden Bücher zum Politikum. 

 

Der Republikaner Glen Youngkin warb in seinem erfolgreichen Wahlkampf um den Gouverneursposten in Virginia mit einem Spot, in dem sich eine Frau beklagt,  dass ihr Sohn in der Schule ein Buch lesen musste, was ihn traumatisiert habe. Beim Buch handelt es sich um «Beloved» (Menschenkind) der amerikanischen Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. Das Buch behandelt die psychischen und physischen Folgen der Sklaverei. Was hat den Sohn nun so traumatisiert? Explizite Gewalt und natürlich Sex. 

 

Matt Krause, republikanischer Abgeordneter in Texas, hat eine Liste von 850 Büchern erstellt, die seiner Meinung nach problematisch sind, und alle Schulbehörden in Texas abgefragt, ob diese Bücher Teil des Lehrplans oder in den Schulbibliotheken vorhanden seien. Krause stört sich an Büchern, die Gender- oder LGBT-Fragen thematisieren. Auch Kritik an Rassismus mag er nicht. Und schon gar nicht Abtreibung: Auf der Liste ist beispielsweise auch John Irvings «Cider House Rules» (Gottes Werk und Teufels Beitrag). Ein republikanischer Senator in Oklahoma will alle Bücher in der Schule verbieten, die sich im weitesten Sinn mit Sex auseinandersetzen.

 

Nun ist der Hang zur Prüderie in den USA nichts Neues. Und auch nicht Zensurbemühungen. Nur scheint es in vielen dieser Bücherverbote nur vordergründig um Sex und Gewalt zu gehen. Sondern auch darum, dass sich SchülerInnen mit gewissen Inhalten und gewissen Aspekten der Vergangenheit nicht auseinandersetzen sollen. ‹The Atlantic› hat in einem Artikel 14 Bücher aufgelistet, die am meisten unter Beschuss sind. Spiegelmans «Maus» ist hier genauso zu finden wie ein anderes Werk von Toni Morrison («The Bluest Eyes» / Sehr blaue Augen). Aus offensichtlichen Gründen stören sich Konservative auch an Margaret Atwoods Dystopie «A Handmaids Tale» (Geschichte einer Magd) oder an einem Bilderbuch namens «Heather has two Mommies» (Heather hat zwei Mütter). Weitere Themen in den Büchern sind Rassismus, sexueller Missbrauch, Polizeigewalt oder Queerness. 

 

Was steckt dahinter? Die amerikanische Wissenschaftlerin Emily Knox, die ein Buch über den zunehmenden Trend zu Bücherverboten in den USA geschrieben hat, meint in einem Interview mit dem Online-Magazin Slate, dass die Leute, die Bücher wie «Maus» verbieten wollen, Angst hätten, dass Kinder, die diese Bücher lesen, danach andere Werte vertreten könnten als ihre Eltern. Sie spricht von einer Idee von gefährlichem Wissen, das auch in Teilen der Linken verbreitet sei. Die Vorstellung, seine Kinder von unangenehmen Inhalten bewahren zu wollen. Oder davor, von in den Büchern geschilderten Ideologien verführt zu werden. In der Forschung sei allerdings die Auswirkung nicht ganz so klar. Über die Auswirkungen von Medien und Werbekonsum auf die RezipientInnen wird wissenschaftlich und politisch immer wieder gestritten, wie auch eine aktuelle Abstimmungsvorlage zeigt. Knox glaubt aber, dass den Büchern ein besonderer Stellenwert gilt, weil seit der Reformation und dem Glaubenssatz «Sola scriptura» (allein durch die Schrift) dem geschriebenen Wort eine quasi metaphysische Eigenschaft zugeschrieben werde. Die Lektüre kann also die Seele retten oder sie ins Verderben stürzen.   

 

Tatsächlich werden Bücher auch von links ins Visier genommen.  Auf der Liste der Bücher, die am meisten beanstandet werden, ist auch der Klassiker «To kill a Mockingbird» (Wer die Nachtigall stört) von Harper Lee, das ebenfalls Rassismus zum Thema hat. Das Buch wird von beiden Seiten kritisiert: Von jenen, die nichts von Rassismus wissen wollen, aber auch von jenen, die hier sensibel sind. So wurde das Buch auch kritisiert wegen rassistischer Sprache und dem Mythos eines weissen Retters (Atticus Finch). Auch um andere Klassiker wie beispielsweise Mark Twains Huckleberry Finn gab es schon ähnliche Kontroversen.

 

Ganz einfach ist die Geschichte nicht. Will man jedes Buch für alle verfügbar machen? Auch etwa Hitlers «Mein Kampf»? Zudem: Nicht alles ist Weltliteratur. Globi, die reimende Werbefigur, ist seit Jahrzehnten in Kinderzimmern aktiv. Und vertrat auch immer das Weltbild, das grad aktuell ist. Und das war halt 1959 bei «Globi im Urwald» ganz klar rassistisch und kolonialistisch. Dass solche und ähnliche Geschichten von den Verlagen entweder nicht mehr herausgegeben oder teilweise überarbeitet wurden, ist verständlich. Diese Diskussionen sind keineswegs neu.Wie also umgehen mit historischem Rassismus? In einen historischen Zusammenhang stellen? Oder halt darauf verzichten? Das Thema ist komplex. Ich tendiere eher dazu, ihn kontextualisieren zu wollen, zumal Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und andere -ismen nun einmal ein Teil unserer Vergangenheit sind. Und auch in der Gegenwart noch weit verbreitet sind. Manchmal sogar in einer Form, die man längst überwunden glaubte.

 

Allerdings ist auch nicht alles so historisch, wie man denkt. Ein Beispiel: 1997 forderte SP-Gemeinderat Dominik Schaub die Umbennung der Rudolf-Brun-Brücke in Moses-Ben-Menachem-Brücke, da der erste Zürcher Bürgermeister Rudolf Brun eine Mitverantwortung für den damaligen Juden-Pogrom trug. Die AL hat kürzlich einen ähnlichen Vorstoss eingereicht. Charlotte Koch Keller, Chefin der Strassenbennungskommission, ist dagegen, wie sie gegenüber dem ‹Tages-Anzeiger› ausführt: «Weil es nicht förderlich ist für die Orientierung und vermutlich weitere Begehren nach sich ziehen würde. Zudem müssten alle Anwohnenden ihre Adresse ändern und Pläne neu erstellt werden. Das hätte alles Mehrkosten zur Folge.» Es gäbe auch andere Orte, die nach problematischen Persönlichkeiten benannt sind. 

 

Das ist wohl wahr. Allerdings hiess die Rudolf-Brun-Brücke auch nicht immer so. Bis 1951 hiess sie nämlich Urania-Brücke.

 

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