Eigengoal?

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Am Montag verschickte die SVP des Kantons Zürich eine Medienmitteilung, seither rätselt das politische Zürich, wie es Pascal Unternährer im ‹Tages-Anzeiger› formuliert: Ist das genial oder peinlich? Bis anhin sind die meisten BeobachterInnen davon ausgegangen, dass Regierungsrat Ernst Stocker nicht mehr zur Wiederwahl antritt. Er ist schliesslich 68 Jahre alt und seit knapp mehr als drei Legislaturen im Amt. Jetzt bittet ihn seine Partei per Medienmitteilung, dass er wieder antreten soll. Stocker selber lässt sich nicht in die Karten schauen und meint, er werde die Öffentlichkeit zu gegebener Zeit informieren.

 

Was steckt hinter dieser Medienmitteilung? Hat die SVP keine Kandidaten gefunden? Oder keine, die ihr genehm sind? Oder hat sie Angst, ohne Stocker den Sitz zu verlieren? Parteipräsident Benjamin Fischer sagt gegenüber dem ‹Tages-Anzeiger›, ein bisheriger Regierungsrat – und «ganz besonders Ernst Stocker» – sei immer der erste Kandidat für eine Partei. Seit einem Jahr sucht eine Findungskommission unter der Leitung von Alt-Regierungsrätin Rita Fuhrer nach geeigneten Kandidaten. Bei den Nationalräten wurde sie nicht fündig. Damit richtete sich der Fokus auf die Kantonsräte. Von Fraktionspräsident Martin Hübscher heisst es, er sei nicht Feuer und Flamme. Kantonsrat Tobias Weidemann sagt wenigstens nicht ab. Immerhin einer ist prinzipiell interessiert: Kantonsrat Marcel Suter aus Rüschlikon. Offenbar traut man aber den Kantonsräten nicht zu, einen freien Sitz verteidigen zu können. Das ist ein verbreiteter Irrtum: Natürlich hat ein Nationalrat einen höheren Bekanntheitsgrad. Es ist aber immer auch möglich, einen Kandidaten oder eine Kandidatin bekannt zu machen. Das gilt für eine Partei mit gut gefüllter Kriegskasse sowieso. Man darf dabei nicht vergessen, dass auch Ernst Stocker vor seiner Wahl unbekannt war. In der Stadt Zürich zeigt gerade der Grüne Dominik Waser, dass man sich auch mit einem sehr beschränkten Budget bekannt machen kann.

 

Allerdings scheint die SVP nicht an ihre Kampagnenfähigkeit zu glauben. Oder keiner der möglichen Kandidaten ist genehm. Vielleicht – so spekuliert der ‹Tages-Anzeiger› – spielt der politische Übervater in Herrliberg noch eine Rolle. Nun ist wohl Ernst Stocker ein sicherer Wert für die SVP. Zum einen, weil er den Sitz sicher verteidigen kann, und zum anderen, weil er als loyal zur Partei gilt. Dummerweise funktioniert das nur, wenn Ernst Stocker auch tatsächlich bleibt. Sollte er sich anders entscheiden, ist die Medienmitteilung der SVP hochnotpeinlich. Und eine Desavouierung jedes anderen, der sich eine Kandidatur nachher noch antut. Dem Vernehmen nach ist es nicht sicher, dass Stocker tatsächlich noch einmal kommt, die Medienmitteilung ist als Mittel gedacht, ihn zusätzlich unter Druck zu setzen. Das mag funktionieren, aber Stocker wäre nicht das erste Exekutivmitglied, das sich von seiner Partei nicht den Rücktrittszeitpunkt vorschreiben lässt.

 

Zum zweiten ist die Geschichte auch peinlich für die SVP, wenn Stocker sich breitschlagen lässt, noch einmal anzutreten. Denn sie sagt eigentlich, dass die mit Abstand grösste und stärkste Partei im Kanton Zürich kein Personal hat, das in die Regierung will, und, noch schlimmer, keines, dem sie es selber zutraut, es zu schaffen. Eine Wahlempfehlung ist das nicht. 

 

Die NZZ glaubt, dass Stocker allenfalls noch einmal kommt, um dann vorzeitig zurückzutreten. In einer Ersatzwahl habe die SVP mehr Chancen, den Sitz zu verteidigen. Ernst Stocker wurde auch in einer Ersatzwahl gewählt. Es gibt auch Spekulationen, dass sich andere im Pensionsalter befindende Regierungsrätinnen wie Carmen Walker Späh (FDP) und Silvia Steiner (CVP) ähnliche Überlegungen machen. Vorzeitige Rücktritte aus taktischen Gründen sind allerdings eher unüblich. Und kein Exekutivmitglied will als lahme Ente in eine Wahl steigen. Und auch bei einer Einervakanz muss die SVP einen mehrheitsfähigen Kandidaten aufstellen. Alt- Nationalrat Toni Bortoluzzi beispielsweise hatte da kein Glück und wurde im zweiten Wahlgang ausgewechselt. Hans Hollenstein (CVP) konnte den Sitz gewinnen. Das heisst, die SVP müsste bis in zwei Jahren jemanden mehrheitsfähig gemacht haben. Was schwierig scheint, wenn sie jetzt schon keine guten Kandidaten zu haben scheinen.

 

Was bedeutet dies für die Regierungsratswahlen? Für viele galt eigentlich einzig der Rücktritt von Stocker als sicher. Jetzt könnte es sein, dass alle Bisherigen wieder antreten. Dazu hat sich allerdings bis anhin nur Carmen Walker Späh (FDP) vernehmen lassen. Bei Martin Neukom (Grüne) und Natalie Rickli (SVP), die erst seit vier Jahren im Amt sind, kann man es annehmen, ebenso bei Jacqueline Fehr (SP), die dann für ihre dritte Legislatur kandidieren wird. Mitte-Regierungsrätin Silvia Steiner ist schon 64 und machte sich mit ihrem Umgang mit den Schulen in der Pandemie nicht nur beliebt. Hat sie also noch die Lust und Energie, noch einmal anzutreten? Zumal es nicht ausgeschlossen ist, dass ihr Sitz wackelt. Parteikollege Hans Hollenstein wurde auch abgewählt.

 

Mario Fehr hat beim letzten Mal das beste Resultat erzielt. Das wird er wohl, weil er nicht mehr auf die Unterstützung der SP zählen kann, nicht mehr erreichen. Ob er also noch antritt, wird er als gewiefter Rechner wohl davon abhängig machen, wie gross er seine Chancen sieht. Natalie Rickli ist beim letzten Mal als letzte gewählt worden. Mit ihrer Corona-Politik machte sie sich SVP-intern nicht nur Freunde. Dafür wird sie vielleicht die eine oder andere Stimme gewonnen haben ausserhalb der SVP, so dass ihre Wiederwahl wohl ungefährdet ist.

 

Nicht einfach wird das Rennen für den neu nominierten FDP-Kandidaten Peter Grünenfelder (siehe Seite 3). Seine Wahlchancen sind klein, falls Stocker noch einmal antritt, und mit seiner Fundamentalkritik an der Regierung wird er sich bei den Bisherigen keine Freunde machen. SP und GLP werden noch Kandidierende nominieren. Bei der SP ist Nationalrätin Priska Seiler Graf in der Pole-Position mit intakten Chancen, selbst wenn Mario Fehr noch einmal antritt. Bei der GLP ist es noch unklar. Allerdings wird sie kaum, wie dies einige Medien kolportieren, mit Ex-SP-Nationalrätin Chantal Galladé antreten. Überraschungen sind – das zeigt die SVP – indes nie ausgeschlossen. 

 

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