Das Bundesgericht hat im Bereich Scheidungsrecht eine Reihe von Leitentscheiden gefällt. Im Wesentlichen setzen sie auf finanzielle Eigenverantwortung beider Ehepartner unabhängig von den Betreuungspflichten. Das heisst, wer die Hauptlast der Betreuung von Kindern und Angehörigen übernommen hat und deswegen beruflich zurückgesteckt hat – in der Realität sind dies vorwiegend Frauen –, kann im Scheidungsfall nicht mit Unterhaltszahlungen rechnen, sondern wird angehalten, selbst für ein Auskommen zu sorgen. Man dürfe die Ehe nicht als «Lebensversicherung» betrachten, meinte Bundesrichter Nicolas von Werdt in einem Interview im ‹Tages-Anzeiger›. Die Richter hätten die Praxis der Realität und dem Willen des Gesetzgebers angepasst: Die Versorgerehe sei ein Auslaufmodell.
Das Problem: Realität und Willen klaffen hier immer noch auseinander. Weder eine gleichgestellte Arbeitsteilung noch ökonomische Unabhängigkeit sind in den meisten Ehen die Norm. Zwar arbeiten mittlerweile viele Frauen, aber oft Teilzeit und dies in einem kleinen Pensum. Es ist kaum realistisch, dass der Arbeitsmarkt sie mit offenen Armen empfängt, wenn sie jahrelang betreuungsbedingt zurückgesteckt haben. Noch wichtiger ist: Die Strukturen und Anreize für eine gleichgestellte Arbeitsverteilung sind gar nicht gegeben. Die Soziologin und Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach kritisiert dies pointiert auf Twitter: «Die Schweiz fördert durch das Fehlen von erschwinglicher Kinderbetreuung, fehlender Elternzeit, fehlender Lohngleichheit, konservativen Mutterideologien usw. ein Hausfrauenmodell, straft aber dann genau diese Hausfrauen ab.» Etwas Ähnliches sagte auch Monika Kobialko, Managerin beim Pharmaunternehmen MSD an einer Veranstaltung zum Thema Elternzeit. Die Schweiz tue alles dafür, dass gut ausgebildete Frauen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden, wenn sie Kinder bekämen, und wundere sich dann über den Fachkräftemangel.
Tatsächlich ist Gleichstellung in der Schweiz besonders bei Bürgerlichen nur dann ein Thema, wenn es konkret darum geht, etwas für Frauen zu verschlechtern. Sei dies die Erhöhung des Rentenalters oder die Erweiterung der Dienstpflicht. Wenn es darum geht, die realen Voraussetzungen für die Gleichstellung zu schaffen, herrscht vornehme Zurückhaltung.
Für diese realen Voraussetzungen ist die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zentral. Viele Untersuchungen zeigen: Die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen nimmt ab der Geburt des ersten Kindes zu. Ab der Geburt des ersten Kindes gehen die Löhne auseinander. In einem Artikel im P.S. im 2019 beschreibt der Ökonom Lucas Tschan die Mutterschaftsstrafe wie folgt: «Zwischen dem Jahr vor und während der Geburt des ersten Kindes erleidet die Lohnkurve der Frauen einen sichtbaren Knick nach unten. Logischerweise spielt da der Mutterschutz eine Rolle, welchen viele Frauen oft unbezahlt verlängern. Was danach passiert, ist aber erstaunlich: Selbst zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes verdienen Frauen im Median nur knapp 40 000 Franken pro Jahr, während die Männer bei inzwischen über 100 000 Franken Netto-Jahreslohn angelangt sind!» Das ist natürlich auch darauf zurückzuführen, dass Frauen häufiger Teilzeit arbeiten. Allerdings gibt es laut Tschan diese Mutterschaftsstrafe auch bei Vollzeit arbeitenden Müttern: «Nach der Geburt des ersten Kindes stagnieren die Löhne der vollzeitarbeitenden Frauen allerdings, währenddessen die Löhne der vollzeitarbeitenden Männer sehr stark nach oben gehen.» Diese Effekte sind auch in der Lohnstudie des Statistischen Amtes des Kantons Zürich zu beobachten (P.S. berichtete). Interessanterweise profitieren Männer nicht durchgehend: So werden sie lohnmässig bei Teilzeitarbeit mehr abgestraft als Frauen.
Das Problem ist nicht ein rein ökonomisches. Es hat auch mit gesellschaftlichen Vorstellungen zu tun, die immer noch davon ausgehen, dass die Mutter für die Betreuung von Kindern hauptverantwortlich ist. Von Rabenvätern spricht man denn auch im 21. Jahrhundert nicht. Im Gegenteil sind in den letzten Jahren auch Erziehungstrends in Mode gekommen, die der Mutter eine noch entscheidendere Rolle einräumen. Das Perfide daran ist, dass sie der Mutter nicht einen entsprechenden Status, sondern ganz altmodisch die Schuld an allen späteren Problemen des Kindes einräumt. Kein Wunder, sind – in Anlehnung an Franziska Schutzbachs Buch – die Frauen erschöpft: Eine perfekte Mutter und Berufsfrau zu sein und dabei immer noch gut auszusehen ist auch mit Drei-Wetter-Taft nicht machbar.
Die Weichen werden aber nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch zuhause ab der Geburt gestellt. Vor der Geburt gehen zwei blutige Anfänger zusammen ein Unterfangen ein. Nach dem Mutterschaftsurlaub gibt es eine Expertin und einen im besten Fall willigen Helfer. Der mittlerweile berühmte Comic von Emma über den sogenannten Mental Load zeigt das Problem eindrücklich auf. Emma versucht darin, für einen Gast gleichzeitig zu kochen und sich um die Kinder zu kümmern, während ihr Mann mit dem Gast Wein trinkt. Als das Multitasking in die Hose geht und Emma sich beklagt, dass sie alles allein machen muss, meint der Mann: «Du hättest ja fragen können, ich hätte dir schon geholfen.» Nur ist einem nur bedingt geholfen, wenn man sich immer alleine verantwortlich um die Organisation kümmern muss. Eine Elternzeit setzt da an, wenn sie alle Eltern in die Verantwortung nimmt.
Das Problem bei der Diskussion rund um die Vereinbarkeit ist mittlerweile nicht mehr, dass die Instrumente grundsätzlich infrage gestellt werden. Praktisch niemand mehr ist grundsätzlich gegen familienergänzende Kinderbetreuung oder gegen eine Elternzeit. Nur, wenn es konkret wird, finden sich leider immer noch tausend Gründe dagegen. Das zeigte auch das Verhalten der GLP-Fraktion im Kantonsrat, als die Elternzeitinitiative zur Abstimmung kam: Sie war im Prinzip dafür und im Konkreten dagegen. Dabei wurde sie sogar von der Mitte progressiv überholt, die der Initiative einen Gegenvorschlag gegenüberstellen wollte. Jetzt hat sie sich mit der Stimmfreigabe wenigstens wieder halb eingespurt.
Vielleicht ist es einfach ein cleverer Unterzug des Patriarchats, im Namen der Gleichstellung die Situation von Frauen zu verschlechtern: Denn früher war der Ernährer wenigstens in der wirtschaftlichen Verantwortung, neu bleibt ihm das – nach der Trennung – erspart. Das ist kein Plädoyer für Nostalgie: Eine Rückkehr in die 1950er-Jahre ist weder geistig noch wirtschaftlich wünschbar. Aber wir müssen dringend dafür sorgen, dass Gleichstellung keine Strafe, sondern gelebte Realität wird.
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