Letzte Woche musste ich in einigen Lokalradios Auskunft geben zur Fifa. Die Hauptfrage war: Schaden die Vorfälle rund um die Fifa dem Standort Zürich? Ich fand: Die Fifa hat ein Imageproblem und nicht die Stadt Zürich. Aber ich fragte mich, ob die Fifa überhaupt je ein Standortvorteil war.
An der WM 2006 in Deutschland war ich dabei, zu Gast mit Freunden. Ich fand sie gelungen, gut organisiert, mit guter Stimmung. Die WM in Deutschland gilt mittlerweile als gloriose Vergangenheit, als einzige saubere WM.
2000 titelte die deutsche Satire-Zeitschrift ‹Titanic›, «Südafrika ärgert sich schwarz: ‹Titanic› holt die WM nach Deutschland. Alles über die Bestechung in diesem Heft.» Die ganze Geschichte – wie die ‹Titanic› sie erzählte – ging so: Die Deutschen waren niedergeschlagen. Trotz millionenschweren Werbeverträgen, die Daimler-Chrysler und Siemens mit stimmberechtigten asiatischen Staaten abgeschlossen hatten, rechnete man nach dem Rückzug Brasiliens mit dem Zuschlag für Südafrika. Martin Sonneborn, Chefredaktor der ‹Titanic›, verfasste sieben Faxe ans Grand Hotel Dolder an die Fifa-Funktionäre Chung (Südkorea), Warner (Trinidad), Teixeira (Brasilien), Al-Dabal (Tunesien), Bhamke (Botswana), Dempsey (Neuseeland) und Blazer (USA). In dem Fax der ‹Titanic› gibt sich Sonneborn als Vertreter des WM-Komitees aus und schreibt im besten Martullo-Blocher-Englisch, er gäbe den Delegierten zum Dank für eine Stimme «a fine basket with specialties from the black forrest, including some really good sausagees, ham and – hold on to your seat – a wonderful KuKuClock! And a beer mug, too! Do we leave you any choice???» Am nächsten Tag entscheidet die Fifa. Sepp Blatter gibt bekannt, dass Deutschland mit 12 zu 11 Stimmen den Zuschlag erhalten hat. Wenige Tage später macht Blatter öffentlich, dass Dempsey aus Neuseeland sich der Stimme enthalten hat, obwohl sein Verband für Südafrika gewesen war. Dempseys Begründung: Er sei massiv unter Druck gestanden und habe sich daher enthalten. Wenig später klingelt das Telefon bei der ‹Titanic›. Am Draht zwei englische Reporter des TV-Senders Channel 4, die an einen der Faxe gelangt sind. Aus diesem Telefoninterview wird eine News-Story, die sogar die BBC nachzieht: Die Deutschen haben die Delegierten bestochen. Bei der Fifa bricht Panik aus. Irgendwann bekennt sich die ‹Titanic› als Absender. Die Geschichte dreht dann noch ein paar Schlenker, inklusive einem Aufruf in der ‹Bild›, bei ‹Titanic› anzurufen und sich zu beschweren. Die Telefonprotokolle wurden natürlich im Wortlaut im Heft abgedruckt.
Warum der ganze KuKuClock-Exkurs? Natürlich auch, weil es eine lustige Geschichte ist. Aber vor allem, weil offensichtlich schon vor 16 Jahren das einzige Nichtplausible an der Geschichte war, dass sich Fifa-Funktionäre mit einen Geschenkkorb aus dem Schwarzwald und einer Kuckucksuhr zufrieden geben würden. Hatte die Fifa also jemals einen anderen Ruf? Ich kann mich nicht daran erinnern. Vermutlich ist die Fifa – wie auch der Bankenplatz – seit Jahren eher für Negativpunkte beim internationalen Image zuständig.
Ich verstehe ehrlicherweise auch das Umgekehrte nicht. Wäre die Fifa wirklich ein Standortvorteil, wenn sie einen ausgezeichneten Ruf hätte? Sitzt also einer am Fernseher, sieht Sepp Blatter und denkt: «Oh wie schön. Ich verlege meinen Hauptsitz nach Zürich, weil ich dann Sepp Blatter vielleicht in der Quartierbeiz treffe?» Ich verstehe übrigens auch nicht, warum sich die SVP und ihre Vertreter so für Sepp Blatter einsetzen. Genausowenig, wie ich verstehe, warum sich Ständeratskandidat Hansueli Vogt (SVP) in Inseraten als Dressman präsentiert. Aber vermutlich muss ich das nicht verstehen, denn ich bin in allen Fällen nicht die Zielgruppe.
Standortmarketing war vor einigen Jahren sehr viel unbestrittener. Wir alle zitierten mit Freude die Mercer-Studie, in denen Zürich lange an erster Stelle war. Wir freuten uns über Tyler Brûlés Lifestyle-Zeitschrift ‹Wallpaper›, die über Zürich schwärmte. Und fanden, dass Standortmarketing eine prima Sache sei, um das Klumpenrisiko Finanzplatz abzuschwächen und Firmen ausserhalb der Finanzbranche anzulocken. Mittlerweile ist die Begeisterung ein wenig abgeklungen.
Zum einen, weil eben Standortmarketing nicht nur aus schönen Bildern und Kuckucksuhren besteht. Wenn es um amerikanische Wahlen geht, schaue ich oft den Nachrichtensender CNN. In den häufigen Werbeunterbrechungen gibt es viele Standortmarketing-Spots. Zum Beispiel von künstlichen Inseln in Dubai. Da ist es ganz klasse, es gibt keine Einkommenssteuern und man ist so schön unter sich. Im Vergleich zu einer Kuckucksuhr doch ein paar ganz handfeste Vorteile für die anvisierte Zielgruppe. Und so ist es eben auch in der Schweiz. Die Firmen verlegen ihre Headquarters natürlich schon auch wegen der schönen Landschaft, der Lebensqualität, der Sicherheit, der guten Schulen in die Schweiz. Aber eben auch aus durchaus handfesteren Gründen. Die dann eben – wie beispielsweise der Rohstoffhandel zeigt – mitunter plötzlich zum Reputationsrisiko werden können. Und vielleicht den Bewohnerinnen und Bewohnern des Standorts gar nicht so viel bringen.
Standortmarketing ist auch mittlerweile übernutzt. Und wird für alles als Begründung angeführt. Der Gemeinderat Samuel Dubno (GLP) kritisierte das bei der Kulturpolitik zwar am falschen Objekt, aber im Grundsatz zu Recht. Eine Studie der Bank Julius Bär hat «Kultur als Wirtschaftsfaktor» untersucht (P.S. berichtete). Es ist absolut verdienstvoll, wenn man Kultur nicht nur als Kostenfaktor oder als Luxus wahrnimmt. Für das Marketing des Kunsthauses kann es wichtig sein, zu wissen, dass ein Teil des Publikums des Kunsthauses auch gerne Uhren und Schmuck kauft. Aber wir fördern das Kunsthaus nicht, damit die Juweliere an der Bahnhofstrasse mehr Schmuck verkaufen. Und dabei darf nicht nur das gefördert werden, was sich irgendwie gut vermarkten lässt.
Wie Ruedi Strahm in seiner Kolumne im ‹Tages-Anzeiger› aufzählt, gibt die Schweiz wenig auf Standortnachteile, wenn es dem Geschäftsmodell Schurken und Potentaten schaden könnte. So wurde im Ständerat das Korruptionsstrafrecht trotz Fifa aufgeweicht, so dass private Schmiergeldzahlungen nur dann als Offizialdelikt gelten, wenn bei der Aufdeckung ein öffentliches Interesse besteht (was in solchen Fällen von den Beteiligten ja in der Regel nicht gesucht wird…). Ausserdem will die Mehrheit des Nationalrats, dass die Gelder von Potentaten nur eingezogen werden können, wenn ihre Straftaten nicht verjährt sind. Da sich solche Verfahren in der Regel lange hinziehen, frohlocken dabei vor allem die Anwälte und die Potentaten selbst.
Im Film «Der Dritte Mann» sagt die Hauptfigur Harry Lime folgenden, in mehrfacher Hinsicht falschen Satz: «In den 30 Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blutvergiessen, aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr!» Die Kuckucksuhr ist eine deutsche Erfindung, das wissen wir nicht erst seit Martin Sonneborn. Es ist zu hoffen, dass die Schweiz mehr zu bieten hat als Standortmarketing für dubiose Zielgruppen.