Nur für den schnellen K(l)ick?

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Erschienen im P.S.

«Lügenpresse» – ein Wort hat Hochkonjunktur. An vorderster Front verbreitet von der deutschen Pegida. Allerdings: Das Misstrauen gegenüber den Medien ist keine Erfindung rechtsnationalistischer Demonstranten. Auch Linke schimpfen über die «bürgerliche Presse», der man nicht über den Weg trauen soll. In der Rangliste der unbeliebtesten Berufe kämpfen Journalistinnen und Politiker seit Jahren um den letzten Platz. Manipulierende Medien und lügende Politiker, das sind im Volksempfinden schon fast weisse Schimmel. Das alles ist nicht neu.

Autoritäten werden heute eher in Frage gestellt als früher, die Vielfalt von Informationsquellen ist gestiegen. Interessierte können sich nicht nur über die klassischen Massenmedien informieren, sondern auch über Blogs und andere Quellen im Internet. Bereits 1998 war es der Drudge Report, eine Online-Klatschkolumne, der als erstes den Monica Lewinsky-Skandal vermeldete. Laut Drudge Report habe damals ‹Newsweek› die Geschichte abgelehnt. Seither ist die Medienwelt unter Geschwindigkeitsdruck geraten.

Das Problem ist aber nicht das Internet. Und auch nicht sparende Redaktionen. Oder anderes, das man an anderer Stelle durchaus kritisch anbringen kann. Das Problem entsteht dann, wenn Medienbeiträge – oder politische Interventionen – nicht Fakten, Analysen und Einschätzungen bringen. Sich also nicht der Wahrheit zu nähern versuchen,  sondern lediglich Zweifel säen.

Am Freitag veröffentlichte der Politblog – ein Zusammenschluss aus ‹Tages-Anzeiger›, ‹Bund›, ‹Berner Zeitung›, ‹Basler Zeitung›, ‹Tribune de Genève› und ‹24 heures› – einen anonymen Beitrag. Der Titel: «Ein Polizist redet Klartext». Der anonyme Schreiber – laut Angaben der Redaktion ein erfahrener Polizist aus dem Kanton Zürich – legte in seinem Beitrag dar, dass es ein grosses Gewaltproblem in der Schweiz gebe. Dieses würde von Behörden und Politik verharmlost und verschwiegen, weil diese nicht über Ausländerkriminalität reden wollten. Der Blogbeitrag wurde bald darauf von einigen JournalistInnen und MedienwissenschaftlerInnen kritisiert. Der Beitrag entspreche nicht journalistischen Kriterien.

Beim Umgang mit anonymen Quellen gilt die sogenannte Watergate-Regel. Der Watergate-Skandal, den die beiden Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein aufdeckten, wurde durch einen Informanten namens «Deep Throat» ausgelöst, der anonym bleiben wollte. Weil die Geschichte heikel war – sie führte schliesslich indirekt zum politischen Ende des US-Präsidenten Richard Nixon – ordnete der Chefredaktor eine Reihe von Regeln an. Die eine war, dass die Aussage einer anonymen Quelle mindestens von zwei anderen voneinander unabhängigen Quellen bestätigt werden muss. Beim Schweizerischen Presserat wird beim Umgang mit anonymen Quellen die Watergate-Regel zitiert und zudem gefordert, dass die Betroffenen auf die erhobenen Vorwürfe Stellung nehmen dürfen. Beides ist beim Politblog-Beitrag nicht geschehen. Vincenzo Capodici, Verantwortlicher des Politblogs, rechtfertigte sich gegenüber dem Branchenmagazin ‹persoenlich.com›: Der Polizist habe sich beim ‹Tages-Anzeiger› gemeldet und seine Sicht der Dinge darlegen wollen. Er habe explizit gefordert, nicht namentlich erwähnt zu werden. Capodici habe sich mit ihm getroffen und ihn für glaubwürdig befunden. Als Reaktion auf den Beitrag meldete sich ein anderer Polizist, dessen Replik am Dienstag – ebenfalls anonym – im Politblog erschien. Der Inhalt seines Beitrags widerspricht dem Beitrag des anderen Polizisten diametral. Die Schweiz habe kein Gewaltproblem. Die Behauptungen des ersten Polizisten seien «hetzerisch». Ich gehe jetzt mal davon aus, dass Capodici auch den zweiten Polizisten getroffen und für glaubwürdig befunden hat. Wissen wir jetzt, ob die Schweiz ein Gewaltproblem hat? Nein. Wir wissen bloss, dass auch Polizisten unterschiedliche Einschätzungen haben. Nur für den Klick, den Augenblick hat der Politblog also im besten Fall ein erkenntnistheoretisches Nullsummenspiel produziert. Wären die Beiträge nicht von Polizisten, sondern von PolitikerInnen verfasst worden, wüsste man wenigstens, wer die Absender sind und wie die beiden Beiträge einzuordnen sind: Als politische Meinungsäusserungen.

Dieser Tage bereist eine überparteilich zusammengesetzte Gruppe von PolitikerInnen Eritrea. Organisiert hat die Reise Eritreas Honorarkonsul Toni Locher. Die Reise wurde von Menschenrechtsorganisationen und PolitikerInnen kritisiert. Es bestünde die Gefahr, dass die Reisegruppe vom Regime instrumentalisiert würde. CVP-Nationalrat Claude Béglé kündigt vor der Reise an, er wolle auch Gefängnisse und Arbeitslager besichtigen. Reiseleiter Locher winkt aber ab, das werde nicht möglich sein. SP-Nationalrätin Yvonne Feri sagte vor der Reise der ‹Aargauer Zeitung›: «Ich bin mir absolut bewusst, dass Herr Locher die Positionen der eritreischen Regierung vertritt und wir keine Missstände zu sehen bekommen werden. Aber ich werde zumindest einen Eindruck des eritreischen Alltags erhalten.»

Jetzt treffen die ersten Reiseberichte ein. SVP-Nationalrat Thomas Aeschi veröffentlicht ein Reisetagebuch im ‹Blick›. Und die grüne Regierungsrätin Susanne Hochuli schreibt in der ‹Sonntagszeitung›: «Nun, was ich bisher gesehen habe, ist keine eritreische, sondern eine westliche Lügengeschichte, die ich leider auch kolportiert habe, weil ich es nicht besser gewusst habe: ‹Eritrea ist das Nordkorea von Afrika›.» Eritrea sei kein totaler Überwachungsstaat. Sie habe sich frei mit ihrer Tochter in Asmara bewegen und mit den Leuten reden können. Was haben diese Leute aber zu sagen? «Schnell wird es für unsere Gegenüber unangenehm, wenn wir nach den Gefängnissen und politischer Opposition fragen. ‹Auch die Wände haben Ohren›, sagt uns einer.» Damit ist lediglich etwas klar: Eritrea überwacht offenbar nicht Schweizer Politiker-Reisegruppen (mindestens nicht offensichtlich), sondern nur die eigenen BürgerInnen. Grund genug für die Reisegruppe zu finden: Die Berichte über Eritrea sind falsch.

Feri, Aeschi, Béglé, Hochuli und Wasserfallen machen sicher eine interessante Reise, in der sie ihren persönlichen Horizont erweitern können. Dass es aber nur subjektive Eindrücke sind – die womöglich orchestriert werden –, ist die Schwierigkeit an der Geschichte. Seitenlange Berichte, monatelange Recherchen von der UNO oder von Amnesty International sind plötzlich auf der gleichen Ebene wie Erlebnisse von PolitikerInnen, die ein paar Tage in Eritrea weilen. Touristen konnten sich auch in Ost-Berlin frei bewegen, im diktatorischen Tunesien liess es sich gut Badeferien machen, und selbst in Nordkorea kann man offenbar wandern und mit den Leuten plaudern. Das sagt allerdings relativ wenig darüber aus, wie ein Land seine eigenen BürgerInnen behandelt. Sondern nur, wie ausländische Reisende aufgenommen werden. Auch hier: Wissen wir jetzt durch diese Reise, ob die Flüchtlinge aus Eritrea aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen geflüchtet sind? Nein. Erkenntnisse werden keine gewonnen. Aber Zweifel werden gesät.

Die Aufgabe von Medien und Politik wäre aber das Gegenteil. Fakten sammeln, verschiedene Seiten anhören, das Gesagte überprüfen, die Ereignisse einordnen und damit Objektivität zu schaffen. Ob wir damit die Wahrheit finden, ist offen. Sie nicht mehr zu suchen, ist aber fahrlässig.