Gedanken zur Woche: Oh wie schön ist Panama

234/331

Erschienen im P.S.

Ein anonymer Whistle-Blower hat der ‹Süddeutschen Zeitung› eine grosse Menge an Daten des panamaischen Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca zugespielt. Die Daten wurden vom internationalen Konsortium der Investigativen Journalisten ausgewertet. Am Montag wurden sie in verschiedenen Medien publiziert. Nach Offshore-Leaks und Lux-Leaks zeigen auch die sogenannten ‹Panama-Papers› auf, dass das ganze Geschäft mit Offshore weiterhin blüht, selbst wenn in den letzten Jahren einige internationale Anstrengungen unternommen wurden, um gegen Steuerhinterziehungen und Geldwäscherei vorzugehen. In den ausgewerteten Daten gibt es eine Reihe von prominenten Namen, die für Schlagzeilen sorgten. So ein enger Freund von Wladimir Putin, der neue Fifa-Präsident Gianni Infantino oder der Vater des englischen Premiers David Cameron. Bereits haben die ‹Panama-Papers› das erste politische Opfer gefordert: Der isländische Premier Sigmundur David Gunnlaugsson ist zurückgetreten.

Es zeigte sich auch, dass die Schweiz in der ganzen Offshore-Welt eine neue Rolle gefunden hat. Auf internationalen Druck hin hat die Schweiz die Geldwäschereigesetzgebung verschärft und den automatischen Informationsaustausch eingeführt. Dubiose Potentaten, deutsche Zahnärzte und Mafia-Bosse parkieren nicht mehr einfach so einen Koffer Geld auf einem Schweizer Nummernkonto.  Trotzdem bleibt die Schweiz ein wichtiger Offshore-Finanzplatz. Sie hat dabei aber das Geschäftsmodell geändert. Schweizer Treuhänderinnen und Anwälte sind an vorderster Front mit dabei, wenn es um die Beratung und Vermittlung von Offshore-Angeboten geht. Und Schweizer Banken haben auch ihre Ableger in den Karibik- und Kanalinseln.Das hat bereits der Picketty-Schüler Gabriel Zucman in seinem Buch «Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird» geschrieben: Die Schweizer Banker würden das Geld, das aus der Schweiz abfliesst, in ihrer Dependance auf den Cayman Islands wieder entgegennehmen. Zudem ist das Problem, dass viele der Offshore-Steueroptimierungsmethoden nicht illegal sind. Im Gegenteil, sie sind Teil einer politischen Absicht. Einer allgemeinen Verschiebung der Steuerlast von Unternehmen und Kapital hin zu den Werktätigen.

Besonders betroffen von Steueroasen sind die Schwellen- und Entwicklungsländer. Wie eine Studie des Tax Justice Networks feststellte, ist dort die Kapitalflucht am intensivsten: Das Offshore-Vermögen der reichen Elite aus Schwellen- und Entwicklungsländern ist mehr als doppelt so hoch wie die gesamten Auslandsschulden der betreffenden Länder. Auf den Punkt gebracht: Die Länder brauchen Entwicklungshilfe, weil deren Eliten keine Steuern bezahlen. Natürlich ist Kapitalflucht auch eine Reaktion auf politische Instabilität oder fehlendes Vertrauen in die Regierungen. Aber oft ist das Motiv viel einfacher: Gier.

Zur gleichen Zeit macht aber auch ein ganz anderes Thema Schlagzeilen. In Therwil (BL) weigerten sich zwei Jugendliche aus religiösen Gründen, ihrer Lehrerin die Hand zu geben. Die Schulleitung dispensierte die beiden daraufhin davon, die Hand geben zu müssen. Die Emotionen gehen hoch. Persönlich halte ich den Entscheid der Schulleitung für falsch. Eine gewisse gesellschaftliche Anpassungsleistung wird in einer Schule von allen verlangt. Sonderregeln sind daher nicht zielführend. Ob aber diese zwei Schüler jetzt die Speerspitze eines grossen Kampfes der Kulturen sind, wie es teilweise dargestellt wird, wage ich zu bezweifeln.

Der amerikanische Wahlkampfberater James Carville schrieb einst, die Medien würden sich zu politischen Inhalten so verhalten wie Kinder zum Essen. Sie lieben Fast Food und mögen kein Gemüse. In dieser Analogie entspricht der Therwiler Handschüttelentscheid einem Big Mac-Menü und die Panama-Papers einem Quinoa-Federkohl-Salat.

Am Samstag habe ich mit einigen Leuten darüber diskutiert, ob die Verteilungsfrage die Leute weniger berührt als gesellschaftspolitische Fragen. Diese beiden Ereignisse sind dazu das ideale Fallbeispiel. Quantitativ und qualitativ wurde mehr über die ‹Panama-Papers› berichtet als über den Fall Therwil. Die Geschichte stimmt so natürlich nicht. Die Medien haben ausführlich über die ‹Panama-Papers› berichtet und zudem ausführlich recherchiert. Das System, die Schwachstellen und Mechanismen wurden erklärt. Aber was hat die LeserInnen mehr interessiert? Über was sprachen die Leute am Stubentisch oder in der Mittagspause? Ich tippe auf letzteres. Auch die LeserInnen gelüstet es teilweise mehr nach Fast Food.

Wie gerne lesen Sie den Wirtschaftsteil in der Zeitung? Lesen Sie ihn überhaupt? Ich blättere ihn meistens nur durch. Weil es oftmals kompliziert und trocken erscheint.  Daher meinen viele, die Wirtschaft sei in den Händen von ExpertInnen besser aufgehoben. Also bei Ökonomen oder Unternehmerinnen. Und dabei vergessen, dass diese politische Haltungen vertreten und nicht einfach eine objektive Wissenschaft vertreten. Bei der ganzen Offshore-Welt gibt es eine Reihe von sehr faszinierenden Grafiken, die aufzeigen, wie die Mechanik funktioniert. Aber was sie auch vermitteln: Es ist grausam kompliziert und verschlungen. Man braucht Expertenwissen, um sie zu verstehen. Geschweige denn zu bekämpfen. Händeschütteln ist dagegen einfach. Da kann jeder mitreden.

Der ‹Guardian› hat daher in einem Beitrag das Offshore-System aufgezeigt, wie man es einem Fünfjährigen erklären würde. Das geht dann so: Klein Max hat ein Sparschwein, wo er jeweils sein Taschengeld, das übrig ist, hinein tut. Ab und zu schaut die Mutter ins Sparschwein, um zu schauen, wieviel Geld Max gespart hat. Jetzt hat Max erfahren, dass die Mutter von Gabriel nie dessen Sparschwein kontrolliert. Er kauft sich also ein zweites Sparschwein und bringt das bei Gabriel unter. Das spricht sich herum und schon bald wollen alle aus der Klasse ihre Sparschweine bei Gabriel unterbringen. Eines Tages schaut die Mutter von Gabriel in seinen Schrank und entdeckt alle Sparschweine und ruft die Eltern der anderen Kinder an. Jetzt gibt es einige Kinder, die gute Gründe hatten, ihr Sparschwein bei Gabriel zu bunkern. Zum Beispiel Maria, deren Bruder immer ihr Sparschwein plündert. Andere hingegen versteckten das Sparschwein bei Gabriel, weil sie selber was zu verstecken hatten. So wie Anna, die manchmal Geld aus dem Portemonnaie ihrer Eltern stiehlt oder Moritz, der Pausenplatzbully, der damit droht, andere Kinder zu verprügeln, wenn sie ihm nicht ihr Sackgeld geben. Das Prinzip ist also ganz einfach. Auch wann es legitim ist und wann nicht.

Im Kinderbuch «Oh wie schön ist Panama» von Janosch gehen der Tiger und der Bär auf eine lange Suche nach Panama, nur um am Schluss wieder zu Hause zu landen. Sie reparieren das in ihrer Abwesenheit verfallene Haus und sind nachher überzeugt, am schönsten Ort der Welt zu sein. Auch das ist eine Moral von der Geschichte.