Gedanken zur Woche: Angst vor Verlierern

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Erschienen im P.S.

Der Erfolg von populistischen Bewegungen von AfD bis Trump sucht nach Erklärungen. Und findet sie oft darin, dass die Arbeiter statt der traditionellen sozialdemokratischen Parteien auf (rechts-)populistische Alternativen setzen. Es sei eine Reaktion auf stagnierende Löhne und durch Globalisierung und Freihandel bedrohte und ausgelagerte Arbeitsplätze.

Populismus wird oft negativ kommentiert. Es gibt aber Ausnahmen. Martin Jacques deutet im ‹Guardian› den Erfolg von Populisten von rechts und links als Zeichen dafür, dass der Neoliberalismus am Ende sei. Die Folgen einer systematischen Stärkung von Kapital gegenüber Arbeit, aber auch die Schwächung der Verhandlungsmacht der Arbeitnehmenden durch kriselnde Gewerkschaften und Migration habe zu einer Revolte der davon Betroffenen geführt. Zu Brexit und Trump.  Ähnlich argumentiert auch Francis Fukuyama in der Zeitschrift ‹Foreign Affairs›. Der Populismus sei ein «Label, dass die Eliten ungenehmen politischen Ansichten von normalen Bürgerinnen und Bürgern verpassen». Populisten hätten Erfolg, weil sich die etablierten Parteien nicht um diese Verlierer gekümmert hatten. Das Problem sei zudem, dass die US-Demokraten auf Identitätspolitik setzen würden, also auf gesellschaftspolitische Fragen wie Rassismus, Gleichstellung oder die Rechte von Schwulen und Lesben. Die Demokraten hätten die Wahlen mit einer Koalition von Frauen, Minderheiten, StädterInnen, Schwulen und Lesben und Umweltschützern gewonnen, aber den Bezug zur weissen Arbeiterklasse völlig verloren. In ein ähnliches Horn bläst Elisabeth Raether in der ‹Zeit›. Die Arroganz und Abgehobenheit der vermeintlich weltoffenen und liberalen Eliten ist schuld. Man habe zwar Gerechtigkeit für Frauen, Migranten, Behinderte und Homosexuelle geschaffen, aber verachte gleichzeitig die ungebildeten Modernisierungsverlierer: «Die französischen Sozialisten, die deutsche SPD, die Demokraten in den USA, sie alle haben die Schmuddelherkunft hinter sich gelassen und sich auf die vornehmeren kulturellen Fragen konzentriert.»

Das Problem dieser Argumentation: Sie ist nicht falsch. Aber nur halb richtig. Es gibt offenkundige Widersprüche. Wenn Francis Fukuyama beispielsweise Deutschland als Vorbild zitiert, weil da die Lohnentwicklung ausgeglichener verlaufen sei. Klaus Dörre, der sich auf ‹theoriekritik.ch› mit dem Aufstieg von Pegida und AfD auseinandersetzt, würde wohl widersprechen. In der Schweiz feiert die SVP seit Jahrzehnten Wahlerfolge – gerade auch bei Arbeitern und Ungelernten – obwohl die Lohnentwicklung weit weniger dramatisch verlaufen ist als in den USA. Und gerade die unteren Einkommen durch die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit – die die SVP ablehnt – geschützt werden. Es scheint mir auch nicht ganz einsichtig, warum die Leute beim Freihandel plötzlich die eigenen ökonomischen Interessen vertreten, bei anderen Fragen wie bei Obamacare sie aber total ignorieren.
Man darf auch den Erfolg der Populisten nicht überschätzen. Natürlich konnte Trump seine republikanischen Rivalen ausstechen, in den Präsidentschaftswahlen sind seine Chancen aber klein. Er liegt seit Wochen in den Umfragen hinten. Sein Erfolg beruht vor allem auf dem Bedürfnis der Medien nach einem spannenden Rennen und der entsprechenden Berichterstattung. Bernie Sanders erreichte zwar einen Achtungserfolg, kam aber nie in die Nähe einer ernsthaften Gefahr für die Nomination von Clinton. Die AfD erreicht in Umfragen im Moment zwischen 10 und 14,5 Prozent der Stimmen. Das ist viel für eine rechtspopulistische Partei in Deutschland, aber von einer ernsthaften Gefahr weit entfernt. Manchmal irritiert mich auch der Fetisch rund um die weisse Arbeiterklasse. So als ob man irgendwie mit den Stimmen von Frauen, Migranten, Städtern und Schwulen nicht so recht zufrieden sei.

Eine grosse Wählerbefragung des Gallup-Instituts hat festgestellt, dass die Wähler von Trump eben gerade keine expliziten Globalisierungsverlierer sind. Sie verdienen im Schnitt mehr. Sie stammen aus Gegenden, die weniger von Auslagerungen ins Ausland und Verlust von Arbeitsplätzen in der Industrie betroffen sind. Und sie sind ebenfalls häufig dort zu Hause, wo es sehr wenige MigrantInnen und Minderheiten gibt. Das heisst, sie sind keine Verlierer, haben aber wohl Angst davor, welche zu werden.
Klaus Dörre hat in einer Befragung von Angestellten eines Automobilherstellers herausgefunden, dass diese zwar Hartz IV ablehnen, gleichzeitig aber wollen, dass man mehr Druck auf Langzeitarbeitslose ausübt. Dörre interpretiert den vermeintlichen Widerspruch so: «Wer arbeitet und leistungsbereit ist, der sieht sich von Hartz IV zu Unrecht auf die Probe gestellt. Und dieses Ungerechtigkeitsbewusstsein sucht sich häufig ein Ventil. Der Zorn richtet sich gegen jene, die – vermeintlich – die Bewährungsproben meiden und sich so dem Gebot der Leistungsgerechtigkeit entziehen.» Die sozialen Errungenschaften sollen bewahrt werden, in dem die Zahl der Anspruchsberechtigten begrenzt wird. Man will eine starke Arbeitslosenversicherung. Aber für sich und nicht für Faule oder Flüchtlinge.

Das zweite Problem der Argumentation: Man tut so, als ob Identitätspolitik und Kulturkampf nur eine Domäne der Linken und Netten sei. Dabei ist sie im Zentrum der rechten Politik. Sowohl der nicht mehr so taufrischen ‹Neuen Rechten›, wie auch der brandneuen ‹Alt right-Bewegung›. Die ersten propagieren einen Rassismus ohne Rasse, in der Kultur die Rasse ersetzt. Man hat überhaupt nichts gegen fremde Kulturen. So lange diese bitteschön auch im Ausland bleiben. Die in den USA als ‹alt right› (alternative right) bezeichnete Bewegung ist eine lose Mischung aus Rechtspopulisten, Neonazis und Internettrollen, die sich in zwei Dingen finden: Im Hass auf alles, was ‹politisch korrekt› ist, und in der Bekämpfung jener Rechten, die zu wenig auf dem rechten Weg sind. Steve Bannon, Trumps Kampagnen-CEO, ist das Aushängeschild der Bewegung. Seine Website ‹Breitbart› trumpft regelmässig mit Geschichten wie ‹Was ist schlimmer: Wenn ihr Kind Feminismus oder Krebs hat?› auf. ‹Alt right› ist eine obskure Minderheit. Aber ihre Inhalte werden breiter salonfähig gemacht. Nicht nur Trump, sondern auch SVP-Politiker retweeten obskurse Neonazi-Tweets über «White Genocide» (also den angeblichen Völkermord an der weissen Rasse durch Mischehen und Migration). In der ‹NZZ› erscheinen in letzter Zeit in regelmässigen Abständen Philippika gegen den vermeintlichen Terror und die Totalitarität der politischen Korrektheit. Als ob an amerikanischen Eliteunis diskutierte Sprachweisen einen Bürger hierzulande in seiner Freiheit bedrohen könnten. So paart sich die ökonomische Abstiegsangst mit einer anderen. Derjenigen nämlich, dass die eigene gefühlte und als legitim gesehene Überlegenheit qua Männlichkeit oder Hautfarbe plötzlich in Frage gestellt wird. Weil da eben diese Frauen, Migranten, Schwulen und Städter sind, die auch ein wenig Gerechtigkeit einfordern. Das Aufkommen von autoritären Bewegungen ist ein echtes Problem. Das Gegeneinanderausspielen von sozialer Gerechtigkeit mit gesellschaftlicher Gerechtigkeit ist dazu aber nicht die richtige Lösung.