Die Überraschung blieb aus am Abstimmungssonntag. Die Atomausstiegsinitiative wurde mit 54,2 Prozent abgelehnt. Im Kanton Zürich scheiterte die Umsetzung der Kulturlandinitiative mit 59 Prozent. Die EDU-Initiative «Schutz der Ehe» wurde mit 81 Prozent abgeschmettert.
Für die Grünen ist das Glas höchstens halb voll. Zwar sind die 45,8 Prozent ein zu gutes Resultat, als dass man es einfach abwischen kann. Und auch wenn einige PolitikerInnen von SVP und FDP und ein ‹Weltwoche›-Journalist frohlocken – ein klares Bekenntnis für die Atomkraft war dieses Abstimmungsresultat nicht. Vermutlich ist die Interpretation der ‹Tages-Anzeiger›-Nachwahlbefragung korrekter als ihre Abstimmungsumfragen: Die Mitte-WählerInnen haben den Ausschlag gegeben. Und die wollen lieber einen Ausstieg ‹light› als einen Ausstieg ‹konkret›. Trotzdem ist es ärgerlich, dass man nicht einen Schritt weitergekommen ist. Das mag aber teilweise auch an der etwas technokratischen Kommunikation der Initianten gelegen haben – sie haben es nie richtig geschafft, das Dreckstrom-Argument überzeugend zu wiederlegen.
Noch ärgerlicher war für die Grünen im Kanton Zürich die Ablehnung der Umsetzungsvorlage zur Kulturlandinitiative. Immerhin haben die StimmbürgerInnen der grünen Initiative einmal zugestimmt. Parlament und Regierung weigerten sich daraufhin, das Anliegen umzusetzen, und wurden schliesslich vom Bundesgericht zurückgepfiffen. Dennoch hat das Volk nun Regierungsrat und Parlament für die Obstruktion belohnt. Als SVP würde ich jetzt allerdings nicht den Champagner öffnen: Es bedeutet schlicht auch, dass das Volk es mit der Umsetzung von Initiativen nicht ganz so genau nimmt und sich mit dem Zeichensetzen begnügt.
Die klare Ablehnung der EDU-Initiative ist erfreulich und beweist, dass sich eine Gesellschaft und ihre Einstellungen im Lauf der Zeit ändern können. Offensichtlich fanden auch politisch konservative Menschen, dass es nicht nötig ist, die Ehe einzig als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau zu definieren. Den Umkehrschluss zu ziehen, dass die Öffnung der Ehe für alle breit mehrheitsfähig ist, wäre vermutlich etwas voreilig. Es deutet aber durchaus darauf hin, dass sich der Versuch lohnen würde.
Im Kanton Aargau wurde im zweiten Wahlgang die SVP-Kandidatin Franziska Roth gewählt. Damit erfüllte sich auch hier die Erwartung, dass die SVP profitiert, wenn sowohl Yvonne Feri (SP) wie auch Maya Bally (BDP) antreten. Wäre es der Mitte ernst gewesen damit, Franziska Roth zu verhindern, wie sie doch mehrfach im Wahlkampf betonte, dann hätte sie die aussichtsreichere Yvonne Feri unterstützen müssen.
Erfreulicher aus linksgrüner Sicht sind die Wahlen in mehreren Städten verlaufen. In St. Gallen schaffte Maria Pappa (SP) die Wahl in den Stadtrat im zweiten Wahlgang. Damit hat die Stadt St. Gallen zum ersten Mal in der Geschichte eine linksgrüne Mehrheit. In der Stadt Bern konnte Rotgrünmitte einen zusätzlichen Sitz in der Stadtexekutive erobern. Damit wurden neben den bisherigen Ursula Wyss (SP) und Franziska Teuscher (GB) neu Michael Aebersold (SP) und Alec von Graffenried (GFL) in den Berner Gemeinderat gewählt. Reto Nause (CVP) schaffte die Wiederwahl, Alexandre Schmidt (FDP) nicht. Das löste medial etwas Diskussionen aus, ob Rotgrünmitte die Hand überspielt hat und ob allenfalls die Proporzwahl zu diesem ‹Unglück› beigetragen hat. Offensichtlich ist die Übervertretung einer politischen Seite viel weniger störend, wenn es sich um rein bürgerliche Regierungsräte wie in der Innerschweiz handelt – keiner hat da den Sinn von Majorzwahlen infrage gestellt. Zudem werden ja im Majorzwahlsystem Personen gewählt und keine Koalitionen, daher sind elektorale Unter- oder Übervertretungen nie auszuschliessen.
In der Stadtpräsidiumswahl hat niemand das absolute Mehr erreicht, allerdings liegt Alec von Graffenried vor Ursula Wyss. Da er auch ein sehr gutes persönliches Resultat in der Gemeinderatswahl erzielt hat, sieht es so aus, als müsse Bern noch länger auf die erste Stadtpräsidentin warten. Eine Bemerkung dazu: Auch wenn QuotengegnerInnen gerne so tun, hat noch niemals eine Frau einzig mit ihrem Geschlecht für ihre Wahl geworben. Wie die US-Wahlen zeigen, ist manchmal die Frau auch die qualifiziertere Kandidatin. Ich warte zudem noch auf den Moment, wo einE QuotengegnerIn bei einer Bundesratswahl sagt: Westschweizer zu sein, ist kein Programm und keine Qualifikation. Für den zweiten Wahlgang wird wohl die Mobilisierung entscheidend sein: Alec von Graffenried kann auf mehr Stimmen aus dem bürgerlichen Lager hoffen, die Frage ist allerdings, ob es in einem nächsten Wahlgang auch zur Urne gehen wird.
In Basel hat Elisabeth Ackermann (Grüne) wie erwartet die Wahl ums Regierungspräsidium für sich entschieden. Ebenfalls gewählt wurden Hans-Peter Wessels (SP) und Baschi Dürr (FDP), letzterer allerdings nur relativ knapp. Heidi Mück (Basta!) war ihm dicht auf den Fersen und hätte, wenn nur die Stadt gewählt hätte, auch den Einzug in die Regierung geschafft. Gegen alle drei hatte die BaZ in den letzten Wochen einiges Negatives vorgebracht, genützt hat es nichts. «Wer eine monatelange Kampagne der BaZ gegen sich überlebt, wie etwa der unzerstörbare Hans-Peter Wessels, verdient jeden Respekt», musste Chefredaktor Markus Somm anerkennend zugeben.
Im Kanton Fribourg schafften im zweiten Wahlgang die beiden bisherigen Frauen Anne-Claude Demierre (SP) und Marie Garnier (Grüne) die Wiederwahl. Neu gewählt wurde zudem Jean-François Steiert (SP). SVP-Kandidat Stéphane Peiry schaffte die Wahl nicht. Damit bleibt rotgrün stark in den Städten und kann auf hohem Niveau sogar zulegen. Das sind schlechte Neuigkeiten für Zürichs Bürgerliche und die NZZ, die jede Woche in Leitartikeln das Leiden in der rotgrünen Hölle Zürichs beklagt. Richi Wolff kann sich demnach auf seine Wiederwahl freuen und hoffen, noch ein wenig mehr von den Bürgerlichen angegriffen zu werden.
Die politgeographische Polarisierung wird vermutlich weiter fortschreiten. SP, Grüne und AL (die in Bern noch einen Sitzgewinn feiern können) werden in den Städten sowohl in Wahlen wie in Abstimmungen zulegen können. In den Kantonen sieht es hingegen eher anders aus: Hier profitieren zwar sowohl SP wie auch FDP vom Schwächeln der Mitte, eine Bewegung Richtung links findet nicht statt. Die politische Arena von SP, Grünen und Alternativen liegt also in den Städten. Umso wichtiger, dort den Handlungsspielraum auszureizen und auf die Städte den politischen Schwerpunkt zu legen. Opposition allein ist zu wenig – in den Städten liegt die Gestaltungsmacht. Im Minimum ein halbvolles Glas.