Am Vorabend der Abreise für unsere Sommerferien sassen wir beim Znacht und sprachen über die bevorstehende Reise, als meinem Mann plötzlich einfiel, dass unsere Tochter gar keinen Pass hat. Es war nicht ganz klar, ob wir überhaupt einen brauchen, denn man wird ja im Zug beim Grenzübertritt nach Deutschland in der Regel nicht kontrolliert. Da wir aber lieber auf Nummer sicher gehen wollten, blieb nur eine Option: Ein Notpass. Und weil es Freitagabend war und am nächsten Tag die Reise schon geplant war, fuhren wir also in aller Herrgottsfrüh an den Flughafen Zürich, um einen Notpass auszustellen. Das ging – auch dank freundlicher und kompetenter Beratung des zuständigen Kantonspolizisten – viel speditiver als gedacht. Wir haben den Notpass natürlich die ganzen Ferien lang nie gebraucht.
Nicht nur beim Notpass, sondern auch bei der normalen Passbestellung zeigt sich, dass unser Staat bestens funktioniert. Bei allem medialen und politischen Geklöne über überbordende Bürokratie und faule Beamte muss man mal festhalten: Unsere öffentlichen Dienste für die Bürgerinnen und Bürger sind gut. Den Pass kann man einfach online beantragen und dann einen Termin mit dem Passbüro ausmachen. Keine Warterei, keine Schlangen. Der Pass ist nicht die einzige öffentliche Dienstleistung, die gut funktioniert. Aber der Pass ist mehr als ein Stück Papier, er ist ein Symbol.
Darum ist auch nicht erstaunlich, dass eine grosse Mehrheit der Bevölkerung in bisher zwei Umfragen gesagt hat, dass sie den digitalen Pass auch vom Staat beziehen will. Worum geht es? Um eine etwas trockene Angelegenheit, nämlich um das Bundesgesetz über die elektronischen Identifizierungsdienste, das sogenannte BGEID. Diese regelt die sogenannte E-ID, also die elektronische Identität. Die E-ID ist kein Pass im Sinne eines Reisedokuments. Aber sie übernimmt im virtuellen Raum die Funktion einer Identitätskarte, denn sie soll bestätigen, dass ich ich bin. Das brauche ich etwa, wenn ich ein Bankkonto eröffnen will oder online Wein kaufen. Aber ich soll mit dieser E-ID künftig wohl auch öffentliche Dienstleistungen beziehen können. Um einen Strafregister- oder Betreibungsauszug bestellen zu können. Oder für die Steuererklärung. Und wer weiss, vielleicht kann man ja tatsächlich mal damit reisen.
Während es bei der ID in Karten- und beim Pass in Papierform vollständig klar ist, dass diese beim Passbüro, also bei einer staatlichen Stelle bezogen werden soll, ist das bei der E-ID nicht vorgesehen. Diese sollen von Privaten angeboten werden. Ich bestelle also eine E-ID bei einem privaten Anbieter (im Gesetz Identity-Provider IdP genannt), dieser macht eine Abfrage bei der FedPol, welches dem IdP bestätigt, dass ich ich bin, darauf stellt mir der private Anbieter die E-ID aus. Warum sollen dies private Anbieter und nicht der Staat machen? Weil es der Staat selber nicht kann, meint jedenfalls die bundesrätliche Botschaft. «Angesichts des technologischen Wandels und der Vielfalt möglicher technischer Lösungen wäre der Bund jedoch nicht in der Lage, die Träger der vom Staat bestätigten Identitätsangaben selbst zu entwickeln und herzustellen.»
In der Vernehmlassung waren sich noch breite Kreise, neben SP und Grünen beispielsweise auch CVP und BDP, Kantone und Gemeinden einig, dass die E-ID eine hoheitliche Aufgabe sei, weil es sich um eine Aufgabe handelt, bei der die BürgerInnen ein elementares Interesse daran haben, dass sie qualitativ hochstehend, sicher und für alle gleichermassen zugänglich erfüllt wird. Nach der Vernehmlassung kam die Vorlage, die mehr oder minder identisch war. Dennoch ist der Widerstand eingebrochen. Plötzlich hiess es, man brauche jetzt diese E-ID unbedingt und ausserdem möglichst schnell. Was ist seither geschehen? Fast alle relevanten Player, die bundesnahen Betriebe, Banken und Versicherungen haben sich zu einem Konsortium zusammengeschlossen. Dieses Konsortium SwissSign bietet jetzt schon die SwissID an, die beispielsweise bei der Post zur Anwendung kommt.
In der Kommissionsberatung wurde das Gesetz in einigen Punkten auch dank der SP verbessert. So wurden Fortschritte zugunsten der Konsumentinnen und Konsumenten, im Datenschutz und in der Aufsicht erzielt. Ebenso werden die IdP darauf verpflichtet, sich an das Behindertengleichstellungsgesetz zu halten und ein Recht auf eine E-ID wurde verankert. Wenn alle Stricke reissen, kommt dann auch noch der Bund zum Zug und könnte in die Lücke springen? Die Frage bleibt: Reicht das aus, wenn der Grundsatz immer noch falsch ist?
Das Problem bei vielen solchen Vorlagen ist, dass technisch Interessierte sich hier total in Details verbeissen können. Allen anderen ist das dann zu kompliziert. Dabei geht es letztlich um grundsätzliche Fragen. Um das Verhältnis zwischen Bürgerin und Staat. Und darum, was für einen Staat wir wollen. FDP-Nationalrätin Doris Fiala brachte es in der WOZ auf den Punkt: «Das Argument des technologischen Wandels zu Ende gedacht, bedeutet, dass es sich der Staat nicht zutraut, in elementaren Fragen technisch auf der Höhe der Zeit zu sein. Das kommt einer Selbstaufgabe gleich.» Wir sind ein Land mit hervorragenden öffentlichen Diensten und einer hervorragenden Infrastruktur. Der Bund kann ein Schienen- und ein Stromnetz betreiben, eine Eisenbahn und eine Post. Aber wenn es digital wird, dann kann er plötzlich nichts mehr? Wenn man jetzt das Gesetz ablehne, so sagen die BefürworterInnen, dann kämen die amerikanischen GAFA, also die grossen Techkonzerne Google, Apple, Facebook und Amazon, und würden dieses Feld übernehmen. Aber ist ein schweizerischer privater Monopolist denn wirklich viel besser als ein amerikanischer? Mal abgesehen davon, dass das Gesetz die GAFA nicht daran hindert, eine eigene Lösung anzubieten.
Die Problematik der mächtigen privaten Monopolisten ist aber real und viel weitergehend als die Frage der E-ID. Und dazu braucht es ein Korrektiv. Das muss nicht immer und in allen Fällen ein staatliches Angebot sein. Es kann auch clevere Regulierung sein oder gemeinnützige private Strukturen. Aber dazu muss man erst einmal das Problem erkennen können. Dazu braucht es ein Bewusstsein und Kompetenzen. Auch beim Staat. Und ja genau deshalb möchte ich dereinst die Geschichte erzählen, wie ich eine E-ID im Passbüro bestellt habe und es wunderbar einfach und unkompliziert war. Und darum lehne ich das Gesetz ab und unterstütze das Referendum, das digitale Gesellschaft, SP und Grüne, Grundrechte.ch, WeCollect und weitere Organisationen jetzt ergriffen haben.