«Wenn der Feind kein Gesicht hat, erfindet die Gesellschaft eins», schrieb Susan Faludi 1991 in ihrem Buch «Backlash». Darin kritisiert Faludi eine gesellschaftliche Tendenz, die Fortschritte der Frauenbewegung zunichte machen zu wollen. In den Medien würden oft Geschichten erscheinen, in denen die Frauenbewegung für Probleme der Frauen verantwortlich gemacht werde. Das Problem sei, dass viele dieser Geschichten den Fakten nicht standhalten würden.
Tatsächlich scheint es immer wieder so, dass immer wieder neue Feindbilder auftauchen, die vorher niemanden je gekümmert haben. Ein gutes Beispiel hierzu ist die Teilzeit-Debatte, die seit ein paar Monaten viele Medien beschäftigt.
Angefangen hat es mit Geschichtsdozentin Andrea Franc, die sich in einem NZZ-Interview über ihre Student:innen beklagte, die später nur Teilzeit arbeiten würden. Bildungsökonom Stefan Wolter entrüstete sich später in der ‹Sonntags-Zeitung› darüber, dass die wöchentliche Arbeitszeit der Schweizer:innen auf 31 Stunden pro Woche gesunken sei. Das sei ein Problem für den Fachkräftemangel und ungerecht, weil sich dies vor allem Akademiker:innen leisten könnten. Er forderte daraufhin rückwirkende Studiengebühren, die geleistet werden müssten, wenn jemand nach Abschluss des Studiums zu wenig arbeitet.
Auch Ökonom Bruno S. Frey stört sich an den Teilzeitarbeitenden, insbesondere daran, dass diese weniger Steuern zahlen müssten, weil sie weniger Einkommen erzielen und das Steuersystem aber progressiv ist. Und im Übrigen wisse man ja aus der Forschung, dass Teilzeitarbeitende nicht glücklicher seien: «Sie haben einfach mehr Zeit, um über das Schlechte nachzudenken.»
Natürlich liess auch die politische Reaktion nicht lange auf sich warten. Im Kantonsrat forderte Marc Bourgeois (FDP) unter dem Titel «Keine Subventionierung der persönlichen Work-Life-Balance», dass Ermässigungen wie Prämienverbilligungen nicht mehr an Personen ausbezahlt werden dürfen, die freiwillig Teilzeit arbeiten. Immerhin eine Ausnahme gewährte er: Wer Teilzeit arbeitet, um Kinder zu betreuen, könne sich das anrechnen lassen. Der Kantonsrat überwies das Postulat – auch mit den Stimmen der GLP.
Die Gründe dagegen sind relativ banal und pragmatisch, aber stiessen offensichtlich auf kein Gehör. Was sind die Gründe, warum Menschen Teilzeit arbeiten? Die Betreuung von Kindern ist sicher der häufigste Grund, aber es gibt auch eine Reihe von weiterer Arbeit, die nicht oder nur teilweise bezahlt wird und einem Grund gibt, nicht Vollzeit zu arbeiten. Das Betreuen von Angehörigen beispielsweise oder das Ausüben eines politischen Amtes oder Freiwilligenarbeit. Es können auch gesundheitliche Gründe eine Rolle spielen. Und manche arbeiten unfreiwillig Teilzeit, weil sie keine Arbeit mit höherem Pensum finden oder in einem Beruf arbeiten, in dem es fast nur Teilzeitpensen gibt. Und natürlich gibt es auch jene, die Teilzeit arbeiten, weil sie mehr Freizeit wünschen. Marc Bourgeois sei auf seine Vorstossidee gekommen, weil er im ‹Tages-Anzeiger› ein Porträt eines Paares las, das bewusst nur so wenig arbeitete, um knapp auf 3000 Franken Einkommen zu kommen. Die vierköpfige Familie erhält allerdings Krankenkassenprämienverbilligungen im Wert von 900 Franken.
Nun kann man davon ausgehen, dass gerade diese Art des Lebensstils nur selten ist. So lustig ist es nicht, am Existenzminimum zu leben, als dass dies viele Menschen freiwillig anstreben würden. Zumal in unserer materialistischen Gesellschaft auch Freizeit oft lustiger ist, wenn man über genügend finanzielle Mittel verfügt. Eine grosse Kontrollbürokratie aufzubauen, um ein paar seltene Lebenskünstler zu identifizieren, scheint also mässig zielführend. Und es ist auch nicht sonderlich liberal, den Leuten einen gewissen Lebensstil aufzuzwängen. Warum der GLP die gesellschaftspolitischen Dummheiten ihrer Kantonsratsfraktion nicht mehr schaden, bleibt ein Rätsel.
Es ist tatsächlich vor allem die FDP, die gegen Teilzeitarbeit trommelt. So auch FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt, der vom Bundesrat wissen will, wie man vermehrt Anreize setzen könnte, damit sich Vollzeitarbeit lohnt. Die Antwort kennt er schon selber, denn sie entspricht derjenigen von Bruno S. Frey: Indem die Progression ausgehebelt wird. Das heisst, es ist dann zwar nicht verboten, 80 Prozent zu arbeiten, aber man soll dann wenigstens gleich viel Steuern oder mehr Steuern zahlen als eine Person mit Vollzeitpensum. So gesehen ist das Teilzeitargument ein halbwegs origineller neuer Begründungsansatz für ein altes Anliegen des Freisinns, nämlich die Schleifung der obersten Progressionsstufen.
Die von den Teilzeitfeinden angebrachten Argumente sind allerdings zumeist schlicht falsch. Entsprechende Richtigstellungen sind schon in der ‹Hauptstadt› (und im P.S.) vom Journalisten und Alliance-F-Mitarbeiter Simon Preisig dargelegt worden. Auch der ‹Tages-Anzeiger› publizierte am Dienstag einen grossen Faktencheck. Das Resultat in aller Kürze: Wir arbeiten nicht weniger, die Arbeit ist einfach anders verteilt.
Zum einen steigt die Frauenerwerbsquote seit Jahren an. Weil Frauen aber öfters Teilzeit arbeiten, sinkt logischerweise die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche. Und zum zweiten gibt es tatsächlich einen Trend zur leichten Umverteilung von Erwerbs- und Betreuungsarbeit. Das heisst: Frauen arbeiten im Schnitt mehr und etwas mehr Männer arbeiten weniger.
Diese Entwicklung findet durchaus aus Zuspruch von liberaler Seite. So schreibt Marco Salvi von ‹Avenir Suisse› in einem Blogbeitrag, es gebe einen Trend zur stärkeren Angleichung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Männern und Frauen. Das sei der Ausdruck eines Wunsches nach einer egalitäreren Aufteilung der Haus- und Betreuungsarbeit. Und das sei schliesslich «in einer liberalen Gesellschaft kein Verbrechen». Und auch Simon Wey, Chefökonom des Arbeitgeberverbands findet, es sei volkswirtschaftlich sinnvoller, wenn Väter ihre Pensen reduzieren, damit Mütter stärker am Arbeitsmarkt teilnehmen könnten.
Jüngst rätselte FDP-Frauen-Präsidentin Susanne Vincenz-Stauffacher, warum nicht mehr Frauen FDP wählen würden. Die Anti-Teilzeit-Kampagne wird wohl kaum helfen, mehr Frauen und fortschrittliche Männer für die FDP zu gewinnen. Davon profitiert im Moment wohl vor allem die GLP. Bis deren Wähler:innen die gesellschaftspolitischen Dummheiten der GLP-Kantonsratsfraktion dann doch einmal entdecken.