Grössenwahn und Bauprojekte

290/331

Hier bei clack schreibe ich über Bürgernähe und Verwaltung und der Sehnsucht vieler Medienschaffender nach grossen und kühnen Bauten.

Es kommt immer wieder vor, dass Bauprojekte am Widerstand aus einem Quartier oder aus dem Dorf scheitern. In Zürich wie in Gümligen. Und dann gibt es – vor allem in den Medien – den Aufschrei: Man könne gar nichts mehr bauen, weil grosse Taten an der Kleingeistigkeit von Vorgärtlibesitzerinnen abprallen. Jetzt wäre ich die letzte, die sagen würde, dass das Volk immer Recht hat. Und ich würde auch jedem abraten zu bauen, wenn in der Nachbarschaft ein paar Juristen wohnen. Aber wer jeden Widerstand als Kleingeisterei abtut, macht es sich zu einfach.

Konkret ging es im letzten solchen Fall um die Linienführung des Trams Nummer 2 in Zürich Altstetten. Man wollte die Linie neu dem Bahnhof Altstetten entlang führen, um Pendlerströme besser auffangen zu können und einen Anschluss an die Limmattalbahn schaffen, die dereinst das Limmattal mit Zürich verbinden soll. Nun muss man wissen, dass Städter ihr Tram lieben. Die Tramlinien sind quasi die Lebensadern dieser Stadt. «Wo wir fahren, lebt Zürich» heisst denn auch der Slogan der VBZ, der Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich. Und fahren tun für die Zürcher die Trams. Die Busse ruckeln. Oder stehen. Wenn man dem Städter also das Tram wegnehmen will, dann wird er stinkig.

Da unterscheidet er sich stark von der Agglo-Bewohnerin. Die mag keine Trams und lehnt sie deshalb an der Urne ab, wie letzthin in Bern. Oder wehrt sich gegen die Limmattalbahn. Der Städter wurde also stinkig und sammelte eine Petition. Mit tausenden von Unterschriften. Dann wurde das Parlament aktiv. Und schliesslich musste sich auch der Stadtrat bewegen. Es gab ein Mitwirkungsverfahren im Quartier, die Altstetter kamen in Scharen. Da waren auch einige Wutbürgerinnen und Wutbürger dabei, wie das eben üblich ist. Doch der Willen des Quartiers war klar, man wollte die alte Linienführung behalten. Das sah schliesslich auch der Stadtrat ein und so wurde das Projekt beerdigt. Die Zeitungen kommentierten aber entsetzt: Zu wenig weitsinnig! Der Stadtrat hat dem Volkszorn nachgegeben! Nur die Unzufriedenen waren da, das ist doch nur eine laute Minderheit!

Das ungefähr gleiche Lied spielte schon beim verhinderten Fussballstadion oder dem an der Urne gescheiterten Kongresshaus. Die Kurzversion: Wegen renitenten Quartierbewohnern oder einem zögerlichen Volk sind leider keine grossen Würfe möglich. In der Tat: Demokratie ist hinderlich für grosse Architektur. Die grossen Boulevards der europäischen Hauptstädte, die Paläste und Prunkbauten, die grossen Weltwunder der Geschichte sind alle nicht in demokratischen Verhältnissen gebaut worden. Mit Zwangsumsiedelung geht einiges, was im Mitwirkungsverfahren scheitert.
Dass sich nur die Unzufriedenen beteiligen, ist auch bei normalen Urnengängen das Prinzip. Die Stimmbeteiligung ist zwar wieder am Steigen, doch in der Regel bleibt ungefähr die Hälfte der Leute den Urnen fern. Und das sind nicht die Unzufriedenen, nicht solche, die die Faust im Sack machen. Sondern jene, die keine Veränderung nötig finden – und sich darum auch nicht aktiv an der Politik beteiligen. In einer Demokratie müssen Politik und Verwaltung versuchen, die Leute von Projekten zu überzeugen. Schaffen sie es nicht, muss man sich nicht «ein anderes Volk wählen», um es mit Brecht zu sagen. Sondern man braucht vielleicht überzeugendere Argumente. Und echte Partizipation heisst auch, dass das Ende des Prozesses offen ist.

Doch keine Regel ohne Ausnahme. St. Florian ist zwar ein beliebter, aber nicht unbedingt besonders erbaulicher Ratgeber. Wenn wir für gewisse Aufgaben eine gesellschaftliche Verantwortung haben (wie zum Beispiel die Unterbringung von Asylsuchenden), dann können wir sie nicht einfach dem nächsten zuschieben, sondern müssen alle unseren Teil tragen. In Zürich wie in Gümligen. Auch das gehört zur Demokratie.