Erschienen im P.S.
Die Überraschung ist gelungen. Der Regierungsrat hat in seiner Ämterverteilung zu einer Variante gefunden, die in den vorgängigen Spekulationen kein Thema war. Jacqueline Fehr (SP) übernimmt neu die Direktion der Justiz und des Inneren, Silvia Steiner (CVP) die Bildungsdirektion, Carmen Walker Späh (FDP) die Volkswirtschaftsdirektion – Ernst Stocker (SVP) opfert sich und wechselt in die Finanzen. Markus Kägi (SVP) bleibt in der Baudirektion, Mario Fehr (SP) behält die Sicherheit und das Soziale und Thomas Heiniger (FDP) bleibt Gesundheitsdirektor. Die Diskussion im Vorfeld drehte sich vor allem darum, dass die Bürgerlichen die Finanzen in die Hand eines bisherigen Bürgerlichen geben wollen und dass Jacqueline Fehr nicht die Bildungsdirektion bekommen soll. Beides ist so eingetroffen und daher kann es durchaus so kommentiert werden, wie es die grüne Fraktionschefin Esther Guyer träf formulierte: «Das ist der Foifer, das Weggli und dazu das Schoggistängeli für ‹Top 5›.»
Andere Varianten wären vielleicht zielführender gewesen, wobei es dazu immer die Bereitschaft zum Wechsel braucht. Markus Kägi zeigte sich in der Baudirektion nicht nur mit glücklicher Hand, sein Immobilienmanagement wurde im Wahlkampf von allen – inklusive Top 5-Partnerin Carmen Walker Späh – kritisiert. Ob aber eine Baujuristin und Interessensvertreterin wie Carmen Walker Späh in dieser Direktion sinnvoller gewesen wäre, ist fraglich. Das gilt auch für Silvia Steiner. Die Staatsanwältin wurde von vielen schon als designierte Idealvorsteherin der Justizdirektion gesehen. Vielleicht war aber ihre Nähe zum Justizkuchen eher ein Hinderungsgrund als ein Vorteil. Manchmal ist etwas Distanz zum Fachgebiet auch ein Vorteil, garantiert einen frischen, unvoreingenommenen Blick.
Politisch gesehen ist die Justizdirektion keine schlechte Direktion für Jacqueline Fehr. Neben der Justiz ist das Gemeindeamt ein Teil der Direktion, genauso wie die Fachstellen für Integration, Kultur und Gleichstellung. Dabei gibt es einige Herausforderungen. Zum Beispiel die bessere Verteilung der Soziallasten, die insbesondere Jacqueline Fehrs Heimatstadt Winterthur anstrebt. In Justizfragen wird aber vermutlich auch Jacqueline Fehr zum beliebten Punching-Ball der Bürgerlichen (insbesondere der SVP) werden. Wie dies ihre Vorgänger Martin Graf und Markus Notter auch waren. Und die Bürgerlichen müssen den Tatbeweis nicht erbringen, dass sie einen Sonderfall ‹Carlos› besser gelöst hätten.
Die ‹Strafversetzung› von Jacqueline Fehr in die Justizdirektion muss kein politisches Problem sein. Wie ihre Kollegin Simonetta Sommaruga im Bundesrat beweist, kann man auch aus der vermeintlichen Strafaufgabe viel machen. Aus Sicht der SP wäre allerdings eine Bildungsdirektorin Carmen Walker Späh vorzuziehen gewesen. Zum einen, weil Freisinnige und SozialdemokratInnen gerade in der Bildungspolitik in den letzten Jahren tonangebend waren. Zudem hat sich Carmen Walker Späh gerade im Wahlkampf für Tagesschulen und für Bildung eingesetzt. Von Silvia Steiner war bis anhin bildungspolitisch nichts zu hören. Wie sie sich im Amt schlägt, wird sich in den kommenden Jahren weisen, eine einfache Aufgabe wird es nicht. Denn die SVP hat sich die Bildungspolitik als grosses weltanschauliches Schlachtfeld ausgesucht – und gerade hier bestehen potenzielle Differenzen. Beim Lehrplan, bei der familienergänzenden Betreuung.
Warum die Finanzen allgemein als Strafaufgabe angesehen werden, ist mir nicht ganz klar. Sie sind immerhin ein Querschnittsthema mit sehr vielen Berührungspunkten und Einflussmöglichkeiten in allen Bereichen. Und – wenn man die Vorgängerin Ursula Gut beobachtete, dann gibt es hier punkto Souveränität noch einige Luft nach oben. Ernst Stocker hat sich hier mit dem Entscheid für den Direktionswechsel als Staatsmann bewiesen. Und ihm traue ich eine Unabhängigkeit von der Rennleitung zu, ohne dass es gleich im Eklat enden muss wie beim letzten SVP-Finanzdirektor Christian Huber.
Die Zufriedenheit im Top-5-Lager wird nach dem gestrigen Entscheid wieder grösser sein. Hier waren in den vergangenen Tagen einige Unstimmigkeiten zu hören gewesen. «Weltrekord! Keine 24 Stunden nach der Konstituierung der Zürcher Regierung wird ein wichtiges Wahlversprechen gebrochen.» So twitterte SVP-Kantonsrat Claudio Schmid seine Verärgerung nach der Lektüre der Einladung zur Medienkonferenz der Regierung zu den beiden Gebühreninitiativen. Neben den Gemeindevertretern Corine Mauch, Wilfried Ott und Markus Ernst setzen sich auch Mario Fehr und die beiden Top 5-Regierungsräte Ernst Stocker und Thomas Heiniger gegen die Initiativen ein. Thomas Heiniger sieht da kein Problem: «Ich habe dieses Programm nicht unterschrieben. Die Wirtschaft und die Verbände wussten von der Position der Regierung und von meiner eigenen Haltung und haben mich – und meine Kollegen Ernst Stocker und Markus Kägi – in diesem Wissen zur Unterstützung empfohlen.» Und gegen eine Unterstützung wehre er sich selbstredend nicht. Das sagt natürlich auch etwas über den Stellenwert von Wahlplattformen und Wahlempfehlungen aus – so dass man sich zuweilen wundert, wie ernst sie bei der Erstellung genommen werden. Vielleicht tat sich daher das linke Bündnis schwer mit einem gemeinsamen Programm, das nur in einer verstohlenen Medienmitteilung bekannt gegeben wurde.
Selbstverständlich wollen wir unabhängige Geister in einer Exekutive. Allerdings bleibt ein etwas schaler Geschmack zurück. Mindestens einem Teil der Wählerinnen und Wähler war vermutlich nicht bewusst, dass Top 5 ihr eigenes Programm nur als unverbindliche Leitlinie betrachtet. Und genauso hätte es die Wählerinnen und Wähler allenfalls interessiert, was denn das Gegenprogramm dazu gewesen wäre. Schliesslich werden politische Verantwortliche gewählt und nicht ChefbeamtInnen.
Schlimmer ist noch der Eindruck, jemand unterstütze ein Anliegen bloss, um gewählt zu werden. Das vermutete jedenfalls der Gemeindepräsident von Regensdorf Max Walter (SVP) an der PK der Gemeindepräsidenten gegen die Gebühreninitiative. Zur Erinnerung: Dabei geht es darum, dass jede Gebühr in einem Gebührenkatalog aufgelistet wird, der durch die Gemeindeversammlung oder das Parlament verabschiedet werden soll. Völlig ungeachtet davon, ob eine Gebühr nicht durch übergeordnetes Recht vorgegeben ist wie beispielsweise das Verursacherprinzip bei der Kehrichtsackgebühr. Da ebenso vorgegeben ist, dass eine Gebühr nicht mehr als kostendeckend sein darf, kann diese Gebühr weder erhöht noch gesenkt werden, egal was die Gemeindeversammlung oder das Parlament entscheidet. Vielmehr gäbe es beispielsweise im Gemeinderat Zürich neben der Budgetdebatte noch alle vier Jahre eine endlose Gebührendebatte. Der Vorschlag ist ein Klassiker für das Prinzip, das bei Hauseigentümerverband und Gewerbeverband beliebt ist: Weniger Bürokratie durch mehr Bürokratie. Das macht wenig Sinn, aber da die Verbände viel Geld haben, kommen sie mit immer neuen Spielarten davon. Und da die Verbände viel Einfluss haben, sind plötzlich eigentlich vernünftige Politiker wie CVP-Fraktionschef Philip Kutter für Initiativen, die ihm als Stadtpräsident von Wädenswil nicht ernsthaft gefallen können. Aber vielleicht sieht er das nach den Nationalratswahlen auch wieder anders.