Für die WOZ konnte ich eine Replik auf Andreas Fagettis Artikel «SP in der Regierung – vorauseilender Gehorsam» schreiben:
In der letzten WOZ wurde die Frage aufgeworfen, warum man SozialdemokratInnen wählen soll, wenn sie bloss bürgerliche Politik ausführen. Regieren ist für die SP nicht immer einfach. Aber es lohnt sich.
Linke tun sich schwer mit Regieren. Sachzwänge, Kompromisse, Korsette enttäuschen Erwartungen und hinterlassen unbefriedigende Ergebnisse. Aber es ist wie in der Fabel mit dem Frosch und dem Skorpion, in der der Skorpion den Frosch in der Mitte des Flusses sticht und beide ertrinken. Fliegt die Linke aus der Regierung, dann saufen beide ab: Kritikerin wie Kritisierte.
Das Dilemma der Mehrheitsfähigkeit
Andreas Fagetti rät in seinem Artikel «Vorauseilender Gehorsam» (siehe WOZ Nr. 22/15) der SP zum Gang in die Opposition. Ob diese aber zum Jungbrunnen wird, ist zweifelhaft. Wie schon Willi Ritschard die Zeit der SP ohne Bundesratsbeteiligung beschrieb: «Die Situation ist in keiner Art und Weise zu einem Jungbrunnen für die Partei geworden. Wir wurden auch damals nur älter.» Denn wenn es der SP nicht gelinge, die Mehrheit von ihrer Politik zu überzeugen, so Ritschard weiter, «wird es uns auch nicht gelingen, die Mehrheit von unserer Opposition zu überzeugen». Im Parlament zuzulegen und dabei aus der Regierung zu fliegen, wie in Luzern, bringt wenig. Zumal das Parlament weiterhin stramm bürgerlich bleibt. Die Manifestation der eigenen Machtlosigkeit wird auch durch einen oder zwei Köpfe mehr nicht befriedigender.
In einem bürgerlichen Land, in bürgerlichen Kantonen steht die SP oft vor einem Dilemma. Bringt die SP eine dezidierte linke Kandidatur, ist diese in einer Majorzwahl nicht mehrheitsfähig. Bringt die SP eine für die Bürgerlichen wählbarere Person, muss die Basis damit umgehen, dass die sozialdemokratische Handschrift zuweilen nur schwach erkennbar ist.
Das heisst nicht, dass der vermeintlich halbbürgerliche Magistrat einfach durch einen ganz Bürgerlichen ersetzt werden könnte, ohne dass es einen Unterschied macht. Beispielsweise der im Artikel gescholtene Mario Fehr. In Polizei- und Sicherheitsfragen ist die SP der Stadt Zürich dem Alternativen Richard Wolff oft näher als ihrem sozialdemokratischen Regierungsrat. Die Senkung des Einkommensfreibetrags bei der Sozialhilfe löst ebenfalls keine Freude aus, wie dies auch der ebenfalls kritisierte Stadtrat Raphael Golta in der Vernehmlassung kundtat. Allerdings hat Mario Fehr in einer persönlichen Parforceleistung den Austritt des Kantons Zürich aus der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) verhindert und damit die Skos vor dem Aus bewahrt. Aus linker Sicht trotz allem besser als ein Negativwettbewerb der Gemeinden um SozialhilfeempfängerInnen, wie ihn der Rorschacher Stadtpräsident betreibt.
Die Situation in der Stadt Zürich ist natürlich anders. Von einer rot-grünen Stadtregierung kann und muss man als Linke mehr erwarten. Und mitunter muss man sie zum eigenen Glück zwingen. Ein Beispiel: Mit der Initiative «Wohnen für alle» forderte die SP die Erhöhung des gemeinnützigen Wohnungsbaus auf ein Drittel des Mietwohnungsbestandes. Der Stadtrat legte zur Initiative nur einen zahnlosen Gegenvorschlag vor. Nach zähem Ringen in Partei und Parlament wurde schliesslich ein Kompromiss gefunden und der wohnbaupolitische Grundsatzartikel Realität.
Und der Artikel löst auch etwas aus: Die Stadt plant zahlreiche kommunale Wohnsiedlungen (die nächste hoffentlich im Zürcher Seefeld) und kauft Boden wie beispielsweise das Koch-Areal. Eine bürgerliche Regierung und ein bürgerliches Parlament würden sich in Arbeitsverweigerung üben. Natürlich wünschten wir uns manchmal, die Regierung würde selbst voranstürmen. Doch es gibt auch eine Arbeitsteilung zwischen Exekutive und Partei. Die Partei muss selber aktiv werden, Forderungen stellen und das Mögliche aushandeln. Diese Arbeit muss aber gemacht werden. Kritik ist gut, sie allein genügt nicht.
Die sozialdemokratische Erzählung
Es ist nicht sonderlich sexy, das kleinere Übel zu vertreten. Und es ist auch nicht genug, bloss das kleinere Übel zu fordern. Daran krankt die Sozialdemokratie durchaus. Die Sozialdemokratie muss ihre Erzählung, die Vorstellung einer sozialdemokratischen Gesellschaft, zukunftsfähig und wieder attraktiv machen. Wenn sie das nicht tut, droht ihr die historische Bedeutungslosigkeit. Von dieser Aufgabe sind auch sozialdemokratische Exekutiven nicht befreit. Denn sie sollen in der täglichen Arbeit beweisen, dass die Erzählung kein Märchen ist.
Unabhängig davon ist Macht- und damit Gestaltungslosigkeit keine Lösung. Wie ein anderer sozialdemokratischer Magistrat – Otto Stich – schrieb: «Ein Austritt (aus dem Bundesrat) stärkt nur die Rechtsbürgerlichen.» Zufrieden über rein bürgerliche Regierungen wären also vor allem die Bürgerlichen; SozialhilfeempfängerInnen, Asylsuchende, die Schwächsten unserer Gesellschaft die Leidtragenden.
Regieren ist mühsam. Aber kleine Schritte in die richtige Richtung sind immer noch besser als Stillstand.