Gedanken zur Woche: Kleine Vögel

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Erschienen im P.S.

Serien wie «House of Cards» oder «Borgen» zeigen ein aufregendes Bild von Politik. Es wimmelt von Intrigen, Dramen, raffinierten Manövern, Mord und Totschlag. In der Wirklichkeit ist Politik meistens vor allem eines: langweilig. Eine unendliche Abfolge von langwierigen Sitzungen, an deren Ende höchstens ein bescheidenes Resultat, eine mittlere Unzufriedenheit herauskommt. Das ist es, was viele Quereinsteiger zuweilen frustriert. Dazu kommt, dass man sich manchmal auch irrt, Fehler macht. Dass man in einer guten Absicht Gesetze macht und am Ende das Gegenteil rauskommt. Zum Beispiel bei der Prostitutionsgewerbeverordnung der Stadt Zürich, wo die Mehrheit des Rates eigentlich die Absicht hatte, die kleinen Salons und Kleinstsalons, die von Frauen selber geführt werden, gegenüber den grossen Salons zu bevorzugen. Herausgekommen ist zwar nicht das Gegenteil, aber auch nicht das, was man damals eigentlich wollte. Oder die aufwändige Renovation des Hallenstadions, die – so die feste Überzeugung von Stadt- und Gemeinderat – dem ZSC eine bleibende Heimstätte hätte schaffen sollen. Wie die Geschichte nun ausgeht, ist noch offen. Mindestens der ZSC will aber von einem Verbleib im Hallenstadion nichts wissen. In den meisten Fällen geht es allerdings nicht um Fehlentscheide, sondern um die Wahl des kleineren Übels. Den berühmten Spatz in der Hand.

Um genauso einen kleinen Vogel handelt es sich bei der Asylgesetzrevision, über die wir am 5. Juni abstimmen werden. Zuerst wirkte die Vorlage wie eine etwas kleinere Neuauflage der Anti-DSI-Abstimmung: Alle sind dafür, nur die SVP ist dagegen. Mit dem Unterschied, dass die SVP hier kein Geld für einen aktiven Abstimmungskampf einsetzt. Zum einen, weil sie die Arbeit an den Hauseigentümerverband ausgelagert hat. Zum anderen wohl, weil sie kein Geld für eine aussichtslose Sache ausgeben will. Der Inserateboykott und die Opferrhetorik sind hier nur kleinere Rückzugsgefechte. Mittlerweile gibt es auch einen kleinen Widerstand von links. So haben sich die jungen Grünen und einige Genfer Linke und die Demokratischen JuristInnen Zürich kritisch zur Asylgesetzrevision ausgesprochen (eine weitere kritische Stimme auf Seite 10). Der Grundtenor: Warum sollte die Linke einer Verschärfung zustimmen, wenn sie sich bis anhin immer dagegen gewehrt hat? Oder im übertragenen Sinne: Der Spatz in der Hand ist gar zu kümmerlich. Tatsächlich gibt es aus linker Sicht einige Kritikpunkte: So sind die Rechtsvertreter nicht unabhängig, zudem sind die Rekursfristen zu kurz ausgefallen. Weiter wurden Verschärfungen wie die Abschaffung des Botschaftsasyls nicht rückgängig gemacht, sondern werden in das neue Recht übergeführt. Warum sollten wir also bei dieser Asylgesetzrevision – im Gegensatz zu allen anderen, die wir jeweils abgelehnt haben – Ja sagen?

Es gibt zwei Hauptgründe. Der eine ist relativ banal: Es kommt garantiert nicht besser. Es gibt locker eine politische Mehrheit für eine Asylgesetzrevision mit Beschleunigung, aber ohne Rechtsvertreter. Und den Stacheldrahtfetischisten um Glarner & Co. kommen bestimmt noch ein paar weitere Grausamkeiten in den Sinn, die bei der FDP und CVP eine Mehrheit finden, weil man doch die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen muss. Dazu reicht auch die Zeit bis 2019, wenn die dringlichen Massnahmen auslaufen, locker. Und es gibt leider keine Mehrheit im Parlament für eine Wiedereinführung des Botschaftsasyls. Ich wäre froh, es wäre anders. Aber es ist nun mal nicht so. Das mag wohl dem einen oder der anderen eine zu resignierte Haltung sein, mit reinem Wunschdenken ist leider am Schluss gar nichts erreicht. Der wesentliche Grund für ein nicht begeistertes, aber dennoch klares Ja: Die Beschleunigung kommt den Schutzbedürftigen zu Gute. Sie haben ein Interesse an schnellen und fairen Verfahren, damit sie möglichst schnell ein halbwegs normales Leben führen, eine Arbeit finden und sich hier einleben können. Und letztlich – bei all meinem vorherigen Schnöden – ist das die wesentlichste Aufgabe der Politik: Das Leben derjenigen, die es betrifft, ein klein wenig besser zu machen. Auch wenn das nicht spektakulär ist.

In den USA hat es Donald Trump geschafft, seine (schwachen) Konkurrenten auszustechen und zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner zu werden. Einige politische Kommentatoren wie George Packer vom ‹New Yorker› glauben, dass er Erfolg hat, weil er mit seiner Anti-Freihandel-Rhetorik weisse Wenigverdienende und ArbeiterInnen ansprechen kann, die sich von den Demokraten nicht mehr vertreten fühlen. Auch der ehemalige Arbeitsminister Robert Reich argumentiert ähnlich: Die demokratischen Präsidenten Clinton und Obama hätten zwar in einigen Bereichen Fortschritte erzielt, aber sie hätten es zugelassen, dass die Ungleichheit gewachsen sei. Und die Freihandels-Politik der beiden habe dazu geführt, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert wurden. Man könne diese Leute wieder zurückholen mit einer konsequenten Politik und einer breiten Koalition aus Arbeiterklasse, den Armen und den Minderheiten. Stattdessen hätten sich die Demokraten zu fest darauf kapriziert, in der Mitte Stimmen zu holen. Diese Diskussion ist keine spezifisch amerikanische. Man kann sie auch in Österreich führen, wo ein Teil der vormals roten Wiener Bezirke heute FPÖ wählt. Oder in der Schweiz, wo die SVP zu der Partei geworden ist, die am meisten von ArbeiterInnen gewählt wird (vergleiche Interview mit Adrian Zimmermann im P.S. vom 19.2.2016).

Das Problem an der Geschichte: Sie stimmt nur zum Teil. Das Durchschnittseinkommen der Trump-WählerInnen ist deutlich höher als das der WählerInnen von Clinton oder Sanders (72 000 bei Trump, je 61 000 bei Clinton und Sanders), wie der Statistiker Nate Silver berechnet hat. Was nicht heisst, dass die Trump-WählerInnen (es sind vor allem Männer) sich nicht vor Job- und Statusverlust fürchten. Der Hauptgrund, warum Leute Trump wählen (und warum sie z.B. die Tea Party unterstützt haben) sei aber, so der Ökonom Paul Krugman in seiner Kolumne in der ‹New York Times›: «Die Unterstützung von Trump hat einen starken Zusammenhang mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Wir sehen hier eine Bewegung von wütenden weissen Männern, die wütend darüber sind, dass sie die amerikanische Gesellschaft nicht mehr so beherrschen, wie es früher der Fall war.» Auch dieser Teil der Geschichte erscheint sehr plausibel.

Der Hauptgrund, warum WählerInnen von der SPÖ zur FPÖ und von der SP zur SVP wanderten, ist die Migrationspolitik. Der Versuch, die Rezepte der Fremdenfeinde etwas menschlicher zu kopieren, hat sich für die SPÖ nicht ausgezahlt. Kanzler Werner Faymann hat am Montag den Preis für die Wahlschlappe bezahlt und seinen Rücktritt angekündigt.

Am Auffahrtsdonnerstag hingegen gewann Sadiqh Khan, der Sohn eines pakistanischen Busfahrers und einer pakistanischen Näherin, die Bürgermeisterwahlen in London. Marvin Rees, Sohn einer Engländerin und eines Jamaikaners, eroberte den Bürgermeistersitz in Bristol. Die Zukunft der Linken liegt wohl eher hier, bei den MigrantInnen, den Secondos. Auf jeden Fall sinnvoller, als einem Elektorat nachzutrauern, das teilweise schon seit Jahrzehnten verloren ist. Auch das ist vielleicht ein kümmerlicher kleiner Vogel. Aber er erscheint wenigstens flugtüchtig.