Am Dienstag streikten die Taxi-Fahrer weltweit. Auch in der Schweiz. Der Hauptgrund: Der Fahrdienst Uber, der immer mehr an Fahrt gewinnt und mit seiner attraktiven Plattform und vor allem niedrigen Preisen immer mehr KundInnen gewinnt. Der zweite Grund: Bei den Taxis führte die Liberalisierung schon vor Uber zu einem Überangebot und sinkenden Verdiensten. Uber hat ein bestehendes Problem aber noch zusätzlich verschärft.
Die Uber-FahrerInnen sind im Gegensatz zu den TaxifahrerInnen keine Angestellten, sondern Selbstständige. So jedenfalls die Geschäftspolitik von Uber. Über tausend FahrerInnen seien in Zürich für Uber im Einsatz. Ein Uber-Fahrer hat sich als Selbstständigerwerbender bei der Suva angemeldet. Diese hat das Gesuch abgelehnt. Taxifahrer, die über eine Zentrale – hier halt eine App beziehungsweise eine Plattform – ihre Fahrten vermittelt bekämen, seien keine echten Selbstständigerwerbenden. Das hat Folgen. Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich hat Uber angewiesen, ihre FahrerInnen zu versichern. Uber will davon nichts wissen. Sie seien schliesslich keine Taxizentrale, sondern eine Technologiefirma. Die ‹NZZ am Sonntag› berechnete, dass, wenn Uber die Sozialversicherungen zahlen müsste, sich die Fahrten um 12 Prozent verteuern würden. Damit wären sie immer noch billiger als ein normales Taxi. Warum wehrt sich Uber so massiv? Es geht ihr – neben dem zusätzlichen Profit – auch ums Prinzip. Bei Uber – und vielen anderen dieser neuen Technologie – geht es um Disruption. Disruption ist neudeutsch für das, was der Ökonom Joseph Schumpeter einst als «schöpferische Zerstörung» bezeichnet hat. Es geht nicht darum, auf den Markt einzutreten, sondern darum, mit einer neuen Technologie den Markt so komplett zu verändern, dass man am Schluss ganz alleine dasteht. Das Ziel ist also das Monopol. Daher ist auch die Preispolitik so aggressiv. Denn wenn man nachher allein im Markt ist, kann man die Preise schliesslich definieren.
Die deutsche Linke Sahra Wagenknecht (von der ich kein uneingeschränkter Fan bin), identifiziert diese Monopole in einem Interview mit dem ‹Tages-Anzeiger› als Gefahr für die Marktwirtschaft: «Die meisten Menschen denken, dass Kapitalismus und Marktwirtschaft identisch sind. Das stimmt nicht. Das Wesen des Kapitalismus besteht nicht darin, dass wir freie Märkte und echten Wettbewerb haben. Vielmehr haben wir eine Dominanz grosser Konzerne mit zunehmender Marktmacht. Gerade in der digitalen Wirtschaft gibt es globale Monopolisten.»
Uber ist das bekannteste Beispiel der sogenannten Sharing Economy. Um den Widerspruch zwischen den überkapitalistischen Interessen eines Konzerns und egalitärer Rhetorik einer partizipativen und teilenden Wirtschaft aufzulösen, spricht der Internet-Vordenker Sascha Lobo lieber von «Plattform-Kapitalismus». Plattformen seien nicht einfach digitale Marktplätze, die Angebot und Nachfrage zwischen Kunden und Unternehmern zusammenführen. «Eine Plattform dagegen führt Kunden und X zusammen. Und weil Plattformen jedes Detail ihrer Geschäftsprozesse definieren, technisch handhabbar machen und kontrollieren, kann X alles und jeder sein, von der Privatperson bis zum Milliardenkonzern. (…). Deshalb wollen Plattformen marktbeherrschend werden, deshalb will Uber Macht: um Branchenstandards zu setzen und zu kontrollieren, deren Einfachheit es jedem erlaubt, mit einem Klick Anbieter zu werden.» Vor allem aber löst der Plattform-Kapitalismus die Grenze zwischen professionellem Angebot und Gelegenheitsangebot auf, und definiert damit auch die Arbeit neu: «Plattform-Kapitalismus verändert den Arbeitsbegriff, die Grauzone zwischen privater Hilfe und Schwarzarbeit, das Verständnis und die Regelung von Monopolen.»
Passend dazu, aber in einer anderen Kolumne auf ‹Spiegel Online›, stellt Lobo die Hypothese auf, dass die Krise der Sozialdemokratie damit zusammenhängt, dass die Arbeit – der Kern der Sozialdemokratie – in der Krise und im Wandel begriffen ist: «Die SPD ist schon länger keine Arbeiterpartei mehr, aber sie blieb immer eine Partei der Arbeit. Die Arbeit selbst aber ist in der umfassendsten Krise seit Erfindung des Kapitalismus. Warum sollte das nicht auch direkte Auswirkungen auf die Partei haben, die sich darüber definiert?»
Der Wandel der Arbeit hat mit technologischen Veränderungen zu tun, aber auch mit Flexibilisierung und Individualisierung. Und all diese Faktoren führen auch teilweise zu einem anderen Verständnis und einem anderem Anspruch an die Arbeit. «Arbeit», so Lobo weiter, «das war im 20. Jahrhundert ein fast monolithischer Komplex, eingrenzbar, durchregulierbar, das Fundament der Arbeitsgesellschaft, Pendlerpauschale, Tarifverträge, Ehegattensplitting. Eine digitale Postarbeitsgesellschaft zieht auf vielfältige Weise herauf. Eine Gesellschaft, die Arbeit zwar nicht abschafft, aber so stark verändert, dass sie einen Teil ihrer gesellschaftlichen Funktionen verliert. Zum Beispiel die als politischer Kitt und sozialer Anknüpfungspunkt für eine Partei, deren Kern die Arbeit selbst war und ist.»
Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit sind umstritten. Einige Studien glauben, dass damit das Ende der Arbeit und der Vollbeschäftigung kommt. Weil viele Arbeiten durch Roboter oder Algorithmen ersetzt werden können. Andere sind hingegen überzeugt, dass der technologische Wandel auch Arbeitsplätze – einfach andere – schafft. Dass das Ende der Arbeitsgesellschaft schon oft ausgerufen wurde und doch noch nie eingetroffen sei. Zudem habe jede industrielle Revolution, jede Veränderung der Arbeitswelt unter dem Strich eine Verbesserung, eine Vermehrung der Stellen gebracht. Das mag zutreffen, verschweigt aber, dass die industrielle Revolution für eine recht lange Zeit für eine recht grosse Anzahl von Menschen vor allem Elend brachte.
Exemplarisch zeigt sich die ganze Problematik der Sozialdemokratie und der Frage der Arbeit an der Diskussion ums Grundeinkommen. Die SP hat dazu die Nein-Parole beschlossen. Dennoch gibt es in breiten Kreisen der Basis dafür Sympathien. So hat zum Beispiel die SP Appenzell Ausserrhoden, an deren Delegiertenversammlung ich war, wo ich relativ ambivalent ein Nein vertreten habe und Oswald Sigg relativ ambivalent ein Ja, die Ja-Parole gefasst. Das Grundeinkommen stellt tatsächlich viele wichtige Fragen. Liefert dazu aber nicht immer befriedigende Antworten. Vor allem thematisiert sie meines Erachtens die Frage der Verteilung – sowohl von Geld wie auch von Zeit – zu wenig. Sie ist aber tatsächlich eine der möglichen Antworten auf ein mögliches Ende der Arbeitsgesellschaft.
Die Pflicht zur Arbeit, aber auch das Recht zur Arbeit, stand immer im Zentrum der Sozialdemokratie. Es ging niemals darum, die Menschen von der Arbeit zu befreien, sondern ihnen eine gute Arbeit zu ermöglichen. Das bleibt aktuell, auch wenn sich die Arbeitswelt verändert. Denn die Arbeit wird nicht ausgehen, sie wird höchstens weniger bezahlt. Auch mit dem Grundeinkommen – zumal dieses ja nicht die Eigentumsverhältnisse verändert. Daher braucht es auch in dieser neuen Welt der Uber-Menschen eine Partei, in deren Zentrum der Wert der Arbeit und jener, die sie verrichten, ist. Aber es braucht eine Partei, die sich diesem Wandel aktiv auseinandersetzt und nicht einer Vergangenheit nachtrauert.