Operation gelungen?

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Der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert. So war das auch mit der neuen Spitalfinanzierung. Diese sollte – so war jedenfalls der Plan – die Gesundheitskosten dank mehr Transparenz, Effizienz und Wettbewerb senken, ohne dabei die qualitative Versorgung zu gefährden. Nun haben wir tatsächlich mehr Wettbewerb und auch ein wenig mehr Transparenz, die Kosten sind allerdings nicht gesunken. Und in einigen Bereichen gibt es sogar Hinweise darauf, dass sich die qualitative Versorgung verschlechtert hat, wie der Zwischenbericht der Evaluation der Spitalfinanzierung des BAG 2015 konstatieren muss.

 

Dass die Gleichung ‹weniger Kosten dank mehr Wettbewerb mit gleicher Qualität› nicht ganz aufgehen kann, haben damals nur wenige – wie der VPOD – angemerkt. Dabei hätte ein Blick über den grossen Teich gereicht, um zu sehen, dass mehr Wettbewerb nicht zu einem günstigeren System führt. Oder wie dies der Ökonom Matthias Binswanger in einem Interview mit der ‹Aargauer Zeitung› festhält: «Wir neigen in der Schweiz dazu, Systeme, die sich im Ausland nicht bewährt haben, zeitlich verzögert auch noch einzuführen.»

 

Das Problem, so Binswanger, sei, dass der Gesundheitsmarkt eben kein wirklich funktionierender Markt ist, weil die BezügerInnen zum einen nicht direkt für die Leistungen zahlen und weil eine starke Informationsasymmetrie herrscht, da die Anbieter – also Spitäler, ÄrztInnen, Pharmafirmen usw. viel besser informiert sind als die Nachfragenden, also die PatientInnen. Es ist ein System in dem niemand daran interessiert ist, die Mengenausweitung einzudämmen. Beim Fallpauschalensystem wird dies noch verstärkt: Es setzt starke Anreize, lukrative Fälle zu generieren. «De facto ist heute die Erzielung eines guten finanziellen Ergebnisses oft das wichtigste Ziel eines Spitals», meint Binswanger. Diese Tendenz ist umso stärker, je grösser der finanzielle Druck ist, der auf dem Spital lastet. Und – so sagte mir einmal ein anderer Ökonom: «Am lukrativsten ist die Operation am gesunden Patienten.» Nicht lukrativ hingegen sind chronisch Kranke, Alte oder schlicht allgemein Versicherte. Das sind aber überproportional viele Patientinnen und Patienten in den Stadtspitälern Waid und Triemli. Da öffentliche Spitäler dem Gemeinwohl verpflichtet sind, können und sollen sie bei der Jagd nach möglichst lukrativen Patienten nur beschränkt mitmachen.

 

Die beiden Stadtspitäler haben noch ein weiteres Problem. In der neuen Spitalfinanzierung müssen Spitäler Anlagen und Immobilien vollständig aus den erwirtschafteten Erträgen decken. Sie sind also durch die Fallpauschalen – allerdings ungenügend – abgedeckt. «Der Bundesrat setzte», so der ehemalige Triemli-Direktor Erwin Cariget und Gregor Zünd, Vorsitzender der Spitaldirektion des Universitätsspitals in der NZZ, «zu Beginn als Richtwert den Investitionsanteil im DRG-System auf zehn Prozent des Basispreises fest – im Wissen, dass Anpassungen notwendig sein werden». Allerdings sei dieser Wert nie angepasst worden. Damit haben alle Spitäler, die grösseren Investitionsbedarf haben, darunter auch das Triemli, ein gröberes Problem, weil die Erlöse die Anlagekosten nie decken werden. Das Resultat: Sie schreiben Defizite. Erschwerend hinzukommt, dass die Stadtspitäler als Dienst-abteilungen über kein Eigenkapital verfügen. Zudem sind sie im Wettbewerb – zu dem sie durch das neue System gezwungen sind – weniger agil.

 

Unter diesen Umständen ist also folgerichtig, was Stadträtin Claudia Nielsen an einer Medienkonferenz – flankiert von Stadtpräsidentin Corine Mauch und Stadtrat André Odermatt – am Mittwochnachmittag zu den beiden Stadtspitälern bekanntgab. Der Stadtrat setzt auf eine Reihe von Sofortmassnahmen, die auf eine Verdichtung und einen Verzicht auf einen bereits geplanten Ausbau setzen, mit denen die Kosten gesenkt werden sollen. Ausserdem sollen die Stadtspitäler in eine gemeinsame öffentlich-rechtliche Anstalt überführt werden. Sie bleiben damit im Besitz der öffentlichen Hand, sollen aber damit mehr unternehmerischen Spielraum erhalten.

 

Die Arznei – um halt bei diesen medizinischen Allegorien zu bleiben – hilft jetzt, die akuten Schmerzen zu lindern. Sie heilt aber den Patienten nicht. Dazu wären Massnahmen nötig, die nicht in der Hand des Stadtrats sind. Das mindeste wäre eine Abgeltung der Investitionskosten und eine kantonale Spitalplanung, die den Pseudowettbewerb, der bloss die Kosten anheizt, eindämmt. Noch besser wäre eine grundsätzliche Überarbeitung des heutigen Systems auf der Stufe des Krankenversicherungsgesetzes. Das würde aber die Einsicht bedingen, dass die Schlagworte «mehr Markt» und «mehr Wettbewerb» halt nicht automatisch immer funktionieren. Mindestens nicht immer für alle.

 

Persönlich war ich immer skeptisch gegenüber Auslagerungen – auch wenn der Besitz in öffentlicher Hand verbleibt. Wichtig ist mir in erster Linie, dass die Gemeinwohl-orientierung der Stadtspitäler und die Wahrung der demokratischen Kontrolle gewahrt bleiben. Das ist grundsätzlich auch in einer öffentlich-rechtlichen Anstalt möglich. Wichtig ist aber dabei, dass man diese Anstalt nicht vollständig entpolitisiert, auch wenn das verlockend tönt. Es nützt nichts, wenn etwas im Besitz der öffentlichen Hand ist, sich aber – auch im negativen Sinn – wie ein privates Unternehmen gebärdet (Swisscom lässt grüssen). Die Eigentümerschaft darf also nicht lediglich auf dem Papier bestehen, sie muss auch realen Einfluss nehmen können. Dass dies auch in Zukunft so ist, liegt auch in den Händen des Gemeinderats. Zu dieser Arbeit muss er aber bereit sein.

 

Rund um die finanzielle Situation der Stadtspitäler gab es einiges Wahlkampfgetöse. Dass ‹Top Five› diesen Ball dankbar aufgenommen hat, ist aus ihrer Sicht leicht erklärbar. Mit der Rückweisung der Spitalstrategie haben sich allerdings AL, Grüne und SP – diese Klammerbemerkung kann ich mir nicht verkneifen – auch zu deren unfreiwilligen Wahlkampfhelfern gemacht . Wichtig scheint mir hier zuletzt noch dies: Bei aller politischen Auseinandersetzung rund um Spitalfinanzierung oder Rechtsform – die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung ist davon nicht betroffen. Das Personal aus Waid und Triemli leistet eine sehr gute Arbeit und wird dies auch weiterhin tun – in welcher (Rechts-)Form auch immer die Spitäler in Zukunft aufgestellt sind.

 

Min Li Marti