Die letzte Mohikanerin wird 100 Jahre alt. Die ‹Schaffhauser AZ› ist die letzte einer einst vielfältigen sozialdemokratischen und kommunistischen Presse, die noch übrig geblieben ist. Auch das ‹P.S.› gehört zu diesen Reliquien, hat aber – im Gegensatz zur ‹Schaffhauser AZ› – mehrere Reinkarnationen hinter sich. Die ‹Schaffhauser AZ› wurde – wie der Historiker Adrian Knöpfli an der Jubiliäumsveranstaltung des Gönnervereins der ‹Schaffhauser AZ› ausführte, 1918 gegründet. Sie war zu Beginn nur eine von mehreren Regionalausgaben der Zürcher Zeitung ‹Volksrecht› (einer Vorvorgängerin des ‹P.S.›). Weil sich aber die Schaffhauser Sozialdemokraten unter Führung von Walther Bringolf mit der SP überwarfen und zu den Kommunisten überliefen, trennte man sich. Der sozialdemokratische Mantelteil des ‹Volksrechts› war ihnen nämlich zu rechts geworden. Die ‹Schaffhauser AZ› wurde unabhängig und – ungewöhnlich für die damalige Zeit – nicht als Genossenschaft sondern als Aktiengesellschaft gegründet. Böse Zungen würden sagen, so Knöpfli, dies sei, weil die Kommunistische Partei die Zeitung mit einer Aktiengesellschaft besser hätte kontrollieren können.
In den 1930er-Jahren wollte die Sowjetunion im Zuge der Stalinisierung die verschiedenen kommunistischen Parteien und deren Parteiorgane direkter kontrollieren. Bringolf äusserte sich zunehmend kritisch gegenüber Stalin und wurde prompt nach Moskau zitiert. Das schüchterte ihn offenbar so fest ein, dass er einknickte. Doch derweil hatte die Schaffhauser Redaktion bereits den Absprung organisiert. Die Mehrheit der Schaffhauser Kommunisten gründeten die Kommunistische Partei-Opposition KPO und die Redaktion entschloss sich, die Kontrolle der Zeitung nicht abzugeben. Bringolf wurde nach seiner Rückkehr in den Erholungsurlaub zu seiner Schwester geschickt. Dort kam er schnell wieder auf Kurs: Bringolf schloss sich der KPO an und wurde als Nationalrat wiedergewählt. 1935 kam es dann zur Wiedervereinigung von SP und KPO. Bringolf sollte später als Bundesratskandidat scheitern – an seiner Stelle wurde Hans-Peter Tschudi gewählt. Er blieb Schaffhauser Stadtpräsident und bis zu seinem Tod 1968 Verwaltungsratspräsident der Unionsdruckerei Schaffhausen, welche die ‹Schaffhauser AZ› herausgab. In den letzten Jahren aber sperrten sich Bringolf und andere ältere Herren der Redaktion gegen notwendige Erneuerungen, das Unternehmen war ein wenig heruntergewirtschaftet. In den 1970er-Jahren wurde die ‹Schaffhauser AZ› Teil des nationalen AZ-Rings – zu dem auch eine Vorgängerin des ‹P.S.› gehörte. Der AZ-Ring scheiterte aber relativ früh. 1996 übernahmen mit dem früheren SP-Nationalrat und AZ-Chefredaktor Hans-Jürg Fehr und dem Verlagsleiter Bernhard Ott die 1968er den Laden. 1997 musste die ‹AZ› aus finanziellen Gründen den Betrieb als Tageszeitung aufgeben und erscheint seither als Wochenzeitung. Vor ein paar Jahren hat sich die ‹Schaffhauser AZ› neu erfunden und mittlerweile den Generationenwechsel vollzogen. Mit den beiden Redaktionsleitern Mattias Greuter und Marlon Rusch sind zwei junge Journalisten neu an der Spitze, die eher aus dem AL- als aus dem SP-Kuchen stammen und die die ‹Schaffhauser AZ› vor allem als Zeitung positionieren, die durch knallharte Recherchen auffällt. Zum hundertjährigen Jubiläum gelang der ‹Schaffhauser AZ› denn auch wieder ein interessanter Primeur: Sie deckte auf, dass die Schaffhauser Kantonalbank ihr gesamtes Firmenarchiv einfach schredderte, mit der eher speziellen Begründung, es gäbe auch ein Recht auf Vergessen. Die neue Strategie scheint zu funktionieren: Die ‹Schaffhauser AZ› hat an Relevanz und Respekt gewonnen. Pro Woche gewinnt sie ein neues Abo dazu. Dennoch ist auch die ‹Schaffhauser AZ› finanziell nicht auf Rosen gebettet. Sie ist nach wie vor angewiesen auf den Gönnerverein, der durch Spenden die Defizite deckt.
Während in Schaffhausen verhalten optimistisch in die Zukunft geschaut wird, sieht es ein anderer anderswo zappenduster. Peter Wanner, Verleger der AZ-Medien, äusserte sich in einem langen Meinungsartikel in der NZZ über das neue Gesetz über elektronische Medien. Darin schiesst er wortreich gegen die Vormachtstellung der SRG, moniert, mit dem Gesetz würde Heimatschutz betrieben. Der Eifer der Verleger gegen die SRG ist spätestens seit der ‹No-Billag›-Abstimmung sattsam bekannt. Bemerkenswert ist in Wanners Artikel etwas anderes. Er gibt offen zu, wie desolat die Lage für die Zeitungsverleger ist. «Angesichts der prekären Situation, in der sich die Printmedien derzeit befinden, wäre es auch darum gegangen, auf die Aufgabe und Stellung der Presse Rücksicht zu nehmen, wie es in der Bundesverfassung heisst. Was tut der Bund für die Printmedien? Und was unternimmt er, um ihnen die digitale Transformation zu erleichtern? Was tut er, um die noch bestehende Medienvielfalt zu retten? Nichts!» Damit hat Wanner natürlich recht. Allerdings haben sich die Verleger bis anhin auch mit Händen und Füssen gegen jegliche direkte staatliche Förderung gewehrt. Der Bundesrat hat ihnen somit nur ihren eigenen Wunsch gewährt. Doch mittlerweile scheint Wanner klar: «Will man die Medien- und Angebotsvielfalt in der Schweiz erhalten und nicht einfach dem Dahinsiechen der Printtitel tatenlos zuschauen, tut eine Neuorientierung in der Medienpolitik not. (…) Die Frage ist ernsthaft zu prüfen, ob ohne staatliche Fördergelder Zeitungen und deren Online-Portale über die Runden kommen oder ob hier nicht ein Massensterben einsetzt.» Wanner plädiert nachher für ein Voucher-Modell, wonach die Bürgerinnen und Bürger bei einem Teil der heutigen Medienabgabe frei entscheiden können, welchen Medien diese zugutekommen. Gleichzeitig wollen Wanner und der Verlegerverband eine massive Erhöhung der indirekten Presseförderung. Diese Vertriebsförderung durch verbilligte Posttarife ist heute die einzige namhafte Förderung, die Printtitel erhalten. Als Print-Verlegerin wäre mir eine Erhöhung der indirekten Presseförderung natürlich herzlich willkommen. Aber hier wäre der Vorwurf von strukturerhaltendem Heimatschutz einiges zutreffender als bei der SRG. Eine technologieunabhängige direkte Förderung, wie sie auch die SP propagiert, wäre sinnvoller und zukunftsträchtiger.
Ich würde mir tatsächlich wünschen, wenn die Medienvielfalt und auch die Printtitel auch in Zukunft nicht verschwinden. Ich wünsche mir auch in Zukunft eine ‹Schaffhauser AZ›, einen ‹Tagi› und eine NZZ, eine WOZ und ja, selbst die ‹Weltwoche›, das ‹P.S.› natürlich und viele weitere Titel mehr. Ob das gelingt, liegt auch an den Verlegern. Aber in der Hand haben es letztlich immer noch Sie, die Leserinnen und Leser. Unterstützen Sie Ihre Lokalzeitung. Und noch ein paar andere Medien dazu.
Min Li Marti