Ein politischer Wiedergänger ist zurück: Der linke Populismus. Die einflussreiche französische Philosophin Chantal Mouffe hat gerade ihr neues Buch «Für einen linken Populismus» veröffentlicht. Sahra Wagenknecht will die Sammlungsbewegung #aufstehen in Deutschland etablieren. Dabei will sie an die Erfolge anderer solcher Bewegungen anknüpfen wie die spanischen «Podemos» oder «La France insoumise» von Jean-Luc Mélenchon. Diese linken Bewegungen verstehen sich immer auch als Gegenbewegungen zu den etablierten linken Parteien, die in vielen europäischen Ländern im Krebsgang sind. Linker Populismus soll das Zaubermittel gegen den aufsteigenden Rechtspopulismus sein und die neoliberale Hegemonie ablösen. Und wie so oft tönt einiges richtig, fühlt sich aber dennoch falsch an.
Mouffe hat sich mit dem 1985 erschienenen Buch «Hegemonie und radikale Demokratie» einen Namen gemacht. Darin stellte sie die These auf, dass nicht ökonomische Machtverhältnisse entscheidend sind, sondern die ideologische Herrschaft über den Diskurs. Das entscheidende Projekt für die Linke sei die Demokratisierung. In einem ausführlichen und lesenswerten Interview mit der ‹Republik› führt sie ihre Gedanken aus. Demokratie und Liberalismus sind bei ihr nicht die beiden Seiten der gleichen Medaille, sondern in einem permanenten Spannungsverhältnis: «Im Zentrum des politischen Liberalismus steht der Wert der individuellen Freiheit. Im Zentrum der Demokratie steht der Wert der Gleichheit, Gleichheit der politischen Rechte, Gleichheit der Partizipationsmöglichkeiten, Gleichheit der politischen Einflussmöglichkeiten. Das sind die beiden Grundwerte, um die sich alles dreht, und es ist nicht möglich, sie beide gleichzeitig vollständig zu realisieren.»
Yasha Mounk diagnostiziert in seinem Buch «Der Zerfall der Demokratie» denselben Widerspruch, der sich in illiberalen Demokratien und undemokratischem Liberalismus ausdrückt. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist nach Mouffe auch darin begründet, dass die liberale Demokratie eine hegemoniale Stellung eingenommen hat. Seit der Finanzkrise ist aber auch die neoliberale Hegemonie unter Druck: «Nicht nur die postdemokratische Alternativlosigkeit, was den neoliberalen Konsens betrifft, auch die zunehmende Oligarchisierung des heutigen Kapitalismus führt zu einer gesellschaftlichen Krise.» Die heutigen Eliten (wer auch immer das ist) kommen daher von Protestbewegungen von links und rechts unter Druck. Eine zentrale Rolle spielt aber auch die Migrationsfrage. Denn sie verschärft laut Mouffe «das Spannungsverhältnis, auf dem pluralistische Demokratien aufbauen, sie erzeugt einen heftigen Konflikt zwischen Demokratie und Liberalismus.» Die Logik des Liberalismus fordere offene Grenzen, jene der Demokratie will aber Grenzen ziehen und Fremde ausschliessen, da es in der Demokratie «um die Herstellung politischer Gleichheit und um Volkssouveränität geht».
Populismus, versteht Mouffe als eine Auseinandersetzung zwischen Volk und Elite. Hier folgt sie den Ideen des rechten Philosophen Carl Schmitt, nach dem die «Freund-Feind-Unterscheidung» das Wesen der Politik ausmacht: «In der Politik geht es immer darum, eine Grenze zu ziehen, eine Grenze zwischen einer kollektiven Identität, einem «Wir» und einem «die anderen». Doch wer ist «wir»? Mouffe spricht von Druck durch den neoliberalen Konkurrenzgedanken, aber auch von den erstarkten Emanzipationsbewegungen wie dem Feminismus, Antirassismus- oder der LBGT-Bewegung. Die Aufgabe eines Linkspopulismus sei es, «diese zahlreichen Bewegungen zu verketten und einen kollektiven Willen zu schaffen. Das kann nur gelingen, wenn der Sozialismus es als seine Aufgabe versteht, die Demokratie zu verstärken.» Ob diese Verkettung der zahlreichen Gruppen unter ein gemeinsames Ziel in der Praxis so einfach ist, scheint fraglich. Es ist ja nicht so, als ob das die Linke noch nie versucht hätte.
Und wer ist denn der Feind, der dem kollektiven «Wir» entgegen steht? Die Grenzen dicht zu machen ist für Mouffe nicht die Lösung. Aber sie räumt ein: «Ein politisches Angebot zu machen, das auf die Forderungen von Lohnabhängigen, Frauen, ethnischen Minderheiten reagiert, ist sehr viel komplexer.» Zur Migrationsfrage, die ja doch laut Mouffe selber eine zentrale Frage ist, meint sie: «Die Migrationsfrage ist schwierig. In der Politik gibt es eben auch Probleme, für die eigentlich keine Lösung existiert.» Es bleibt als diffuser Gegner eine ebenso diffuse Elite und ein diffuses Projekt der Demokratisierung. Wie wir SchweizerInnen wissen, schützt auch eine direkte Demokratie mit schwachen Parlamenten und Regierungen nicht vor Rechtspopulismus und dem Reflex, dass die da oben eh tun, was sie wollen. Es bleibt die Erkenntnis, dass Linke zu oft rational argumentieren, statt einen Appell an die Emotionen zu machen. Doch nach über 15 Jahren Politik habe ich eher keinen Überdruss an rationalen Argumenten.
Sahra Wagenknechts neue Bewegung hat etwas weniger Beisshemmungen mit Nationalismus und auch der Migrationsfrage. Bernd Stegemann und Sahra Wagenknecht kritisieren in einem Beitrag die Doppelmoral der Willkommenskultur (die es ja höchstens ein paar Monate überhaupt gegeben hat). Ein anderer Weggefährte, Wolfgang Streeck, ärgert sich ebenfalls in der ‹Zeit› über «gutmenschliche Bessertuer». Sie kritisieren liberale Eliten, deren Moralismus mit dem globalen Kapital Hand in Hand gehe und deren Folgen dann die Kleinen ausbaden müssen. Wie Johannes Simon in der Zeit entgegnet, bestärken sie damit aber in erster Linie die Rhetorik der Rechten: «Der antimoralistische Affekt der Rechtspopulisten ist keine Reaktion auf den Hypermoralismus der Eliten, denn diesen gibt es überhaupt nicht. Die europäischen Liberalen, einschliesslich Merkel und Macron, waren schon immer bereit gewesen, Menschenrechte mal Menschenrechte sein zu lassen, um in Libyen und der Türkei die «Aussengrenzen zu sichern».
Der linke Populismus hat auch sonst problematische Seiten. Zum einen, weil gerade diese Bewegungen meist ihren Hauptfeind bei jenen ausmachen, die ihnen zwar nahe, aber ideologisch nicht ganz so rein sind. Eine Strategie, die sich historisch nicht eben bewährt hat. Und zum zweiten ist die liberale Demokratie wohl nicht perfekt, aber ein besseres Modell wurde weder von den Populisten links noch rechts je präsentiert. Die persönlichen Freiheiten, die Grundrechte, der Rechtsstaat sind grosse Errungenschaften, die es zu verteidigen gilt. Wenn diese auch von links angegriffen werden, dann sägen die Populisten wohl am Ast, auf dem sie sitzen. Auch das scheint historisch verbrieft.