Das Avocado-Dilemma

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Vergangenen Sonntag zappte ich zufällig in die neue Satiresendung «Late update» von Michael Elsener. Ich möchte mich über deren Qualität nicht näher auslassen, denn nichts ist unlustiger als Diskussionen darüber, ob Schweizer Satire lustig ist oder nicht. Ausserdem habe ich davon nur rund 10 Minuten gesehen. Aber ein Element davon war ein Song, in dem Michael Elsener recht gut das Avocado-Dilemma auf den Punkt bringt. Elsener singt darüber, wie er sich doch Mühe gibt, umweltbewusst zu leben, nicht mehr fliegt und kein Fleisch mehr isst, aber leider Guacamole über alles liebt. So fest, dass er darin baden könnte. Wie heute aber jeder weiss, ist der Anbau von Avocados eine üble Umweltsünde. Aber eben, so Elsener, «Guacamole isch es Mänscherächt».

 

Nun – auch ich liebe Avocados. Auch ich war verzweifelt, als sich diese Artikel über den schädlichen Avocado-Anbau mehrten, die aufzeigten, wie schädlich diese Liebe zu Avocados für die Umwelt ist. Ich dachte so, warum kann nicht Federkohl böse sein, oder meinetwegen Brokkoli? Und so geht es mir wie Michael Elsener. Ich esse weiterhin Avocados, nur jetzt mit schlechtem Gewissen.

 

Und das ist ein wenig das Elend an der ganzen Klimadebatte. Wir wissen alle, dass wir auch persönlich als Konsumentinnen und Konsumenten Teil des Problems sind, aber schaffen es dennoch nicht, uns konsequent zu verhalten (mit gewissen Ausnahmen, die erstaunlich häufig Teil des P.S.-Teams sind). Jeder weiss, dass Fliegen schlecht ist für die CO2-Bilanz, macht aber dennoch einen Wochenendtrip nach London. Und so bin ich natürlich auch schon unnötig geflogen und mag neben Avocados dummerweise auch noch Fleisch. Und Thunfisch. Dann habe ich zu viele Sachen und auch nach zwei Folgen Aufräumtipps von Marie Kondo auf Netflix mag ich meine Bücher, meine Schuhe und all meine Sachen nicht wegschmeissen. Und so bleibt das Elend weiter bestehen: Die Welt geht unter und wir sind alle selber schuld.

 

Bereits 2017 schrieb Martin Lukacs im ‹Guardian›, es sei ein raffiniertes Täuschungsmanöver des Neoliberalismus, dass er uns einredet, die Klimaproblematik sei vor allem ein individuelles Versagen von uns Konsumentinnen und Konsumenten. Dabei seien nur rund 100 Unternehmen auf der Welt verantwortlich für über 71 Prozent aller Treibhausemissionen. Die Politik des Neoliberalismus habe jahrzehntelang Regulierungen für Unternehmen abgebaut, griffige Umweltschutzmassnahmen verhindert und Subventionen für fossile Energien aufrechterhalten. Wirkungsvolle Massnahmen gegen das Klima setzen genau da an: Man müsse das Mantra des freien Marktes überwinden. Energieversorgung oder öffentlicher Verkehr wieder verstaatlichen, es brauche eine Gesetzgebung, die die Verwendung von fossilen Brennstoffen verbiete und massive Investitionen in erneuerbare Energien. Dazu passt, dass der ökologische Fussabdruck von Reichen oft grösser ist als von Armen, auch wenn sie mehr Bioprodukte kaufen. Dann sind also Michael Elseners Guacamole, meine Schuhsammlung und selbst der eine oder andere Wochenendtrip mit Easy Jet gar nicht so ein Problem. Man stellt einfach den Ölfirmen den Saft ab, und gut ist.

 

Das Leben ist anstrengend genug, auch ohne noch zusätzlich für die Rettung der Welt zuständig zu sein. Darum passiert ohne Verbote oder mindestens anders gesetzte Anreize nur auf freiwilliger Basis und mit gutem Willen wenig bis gar nichts. Seit aber die Migros für ihre Plastiksäckli fünf Rappen verlangt, ist die Nachfrage um 80 Prozent gesunken. Dennoch bleibt ein verbreitetes Gefühl: Was bringt es, wenn nur ich etwas tue und sonst keiner? Wenn die USA aus dem Klimaabkommen aussteigen und wenn sich jeder Chinese ein Auto kauft, dann bringt es doch nichts, wenn ich heute auf das Avocado-Thunfisch-Sushi verzichte. Ich kann auch den Widerwillen und die Rebellion verstehen, diesen Widerstand gegen Moralkeulen und Spassbremsen, die viele Rechte antreibt. Denn ist es nicht gerade der Witz am Erwachsensein und am Leben in einem liberalen Staat, dass dieser mich nicht bevormundet oder zwingt, auf eine gewisse Art zu leben?

 

Als 16-Jährige – und das ist doch leider eine ganze Weile her – besass ich ein T-Shirt mit der Aufschrift «Stop Global Warming». Heute demonstrieren und streiken 16-Jährige immer noch dafür, dass endlich Massnahmen ergriffen werden gegen den Klimawandel. Es scheint deprimierend, dass die Welt nicht weiter gekommen ist. Gleichzeitig gibt es Hoffnung, weil sich dieser Widerstand formiert. Die gute Nachricht ist: Wir können etwas tun. Die schlechte Nachricht: Wir müssen etwas tun. Und zwar schnell.

 

Umweltprobleme sind lösbar, wenn es rasches und koordiniertes Handeln gibt. 1989 – vor 30 Jahren – wurde das Montreal-Protokoll in Kraft gesetzt. Das erste UNO-Abkommen, das von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde. Dieses sah vor, dass Treibhausgase, die die Ozonschicht zerstören, verboten wurden. Das Abkommen wurde relativ rasch umgesetzt und heute verkleinert sich das Ozonloch wieder. Und trotz im Vorfeld geäusserten Bedenken können wir noch heute Haarspray und Deos benutzen. In den 1980ern gab es bereits die Protestlosung: «Mein Auto fährt auch ohne Wald». Dank Katalysator fährt das Auto immer noch durch den Wald, der nun doch nicht gestorben ist.

Beim Klimawandel geht es hingegen nur schleppend bis gar nicht voran, obwohl das Problem schon jahrzehntelang bekannt ist. Trotz mehrerer Abkommen von Kyoto bis Paris steigen die Emissionen weiterhin. Die ökologische Debatte hat sich extrem ideologisiert, aber wie so oft, weitgehend von rechts. Das konnte man im Parlament bei der Beratung des CO2-Gesetzes gut beobachten. Die SVP ist praktisch vollständig im Lager der Klima-Lügner angekommen. Die FDP hat das Gesetz verwässert, wo sie nur konnte. Und man fragte sich, ob denn die FDP gar kein Vertrauen in die Innovationskraft der Wirtschaft habe. Denn gerade im Energiebereich ist Innovation massiv von der Regulierung getrieben. Öllobby und Betonköpfe sind leider in der Schweiz und weltweit noch zu stark. Und die Zeit läuft langsam aus. Man kann nicht darauf warten, bis die nächste Generation in den Schülerstreik tritt.

 

Dürfen wir jetzt noch Avocados essen? Im Prinzip Ja. Der Vorwurf der mangelnden Konsequenz an die einzelnen ist das zweite grosse Täuschungsmanöver der Ökogegner. Wenn keiner frei von Sünde ist, sollen wir alle gesteinigt werden. Wir sind nun mal Menschen und werden nicht Heilige. Es geht nur darum, dass wir vielleicht ein wenig bewusster auch konsumieren. Nicht mehr und nicht weniger.