2011 produzierten wir bei der SP für den Wahlkampf einen Film, in dem verschiedene Mitglieder auftraten und ihre Vorstellung von sozialdemokratischer Politik schilderten. Es war im Nachgang zu parteinternen Streitigkeiten rund um das Parteiprogramm, und ein Ziel des Films war auch, die verschiedenen Strömungen und Meinungen in der Partei miteinander zu versöhnen. Einer der Protagonisten war der Biobauer Emil von Allmen von Gimmelwald, der schon rein optisch ein wenig anders daherkam, als man sich vielleicht das typische SP-Mitglied vorstellt. Und er sagte dort folgenden Satz, an den ich mich immer gut erinnern werde: «Die 1:12-Initiative ist mir zu wenig radikal. Keine Arbeit ist zwölf Mal mehr wert als eine andere.»
Im Kantonsrat wurde am vergangenen Montag über hohe Löhne diskutiert und einen von der SP geforderten Lohndeckel von einer Million Franken bei kantonalen Unternehmen (siehe S. 04). Viel Unverständnis für Exzesse und Abzockerei wurde da geäussert. «Ich weiss gar nicht, was man mit einer Million Franken Lohn anfangen soll», meinte Kantonsrat Lorenz Schmid (CVP). «Auch ich rege mich über hohe Boni und Lohnexzesse auf», sagte Regierungsrätin Carmen Walker Späh (FDP). Das tut auch Tobias Weidmann (SVP), der immerhin ein originelles Gegenargument gegen die SP-Motion ins Feld führt, das zwar nicht richtig, aber vielleicht auch nicht ganz falsch ist. Der Lohndeckel von einer Million Franken, so Weidmann, setze den falschen Anreiz, indem er den Benchmark nach oben verschiebe. Es sei das Signal, dass Löhne von einer Million Franken in Ordnung seien und, nur was darüber liege, zu viel ist. Im Allgemeinen war man sich auch sowieso einig, dass der Lohn allein nicht entscheidend sei. Trotzdem wurde die SP-Motion beerdigt. Denn schliesslich müssen ZKB und Spitäler ja auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbs- und konkurrenzfähig bleiben.
Bei der ganzen Diskussion kam mir wieder eine Frage in den Sinn, die mich immer wieder umtreibt: Wie kommt es, dass man gegen etwas, was alle schlecht finden wie eben beispielsweise Lohnexzesse, nichts tut? Manchmal kommt es zudem vor, dass mit einer Massnahme das Gegenteil von dem erreicht wird, was man ursprünglich wollte. Gut gemeint eben, aber noch lange nicht gut. Ich erinnere mich gut daran, wie wir die allgemeine Polizeiverordnung im Gemeinderat berieten und dabei eine Regelung verabschiedeten, von der wir glaubten, sie würde die Stellung der von Frauen selbstbetriebenen Kleinbordelle stärken. Nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass genau das Gegenteil davon eintraf. Und dies obwohl eigentlich sowohl Verwaltung wie Politik die Absicht teilten. Das zeigt, wie leicht das eben auch mal passieren kann, wenn man nicht alle Konsequenzen bedenkt.
Dasselbe zeigt sich in der ganzen Diskussion um hohe Löhne. Die sogenannte Abzocker-Initiative von Thomas Minder wollte die hohen Managerlöhne und Boni angehen und wurde auch von einer grossen Mehrheit angenommen. Ihr Zaubermittel war die Transparenz und die Stärkung der Aktionärsrechte. Nun kann man sowohl Transparenz wie auch Stärkung der Rechte der AktionärInnen eine gute Sache finden. Nur gegen die Abzockerei nützt das wenig. Im Gegenteil: Es gibt einige Forschungsergebnisse, die besagen, dass Transparenz bei Managerlöhnen eine eher preistreibende Wirkung erzielt hat. Der Grund: Es gibt plötzlich eine Vergleichbarkeit. Und wer sich vergleicht, vergleicht sich halt nach oben. Statt die Abzockerei zu verhindern, wird eher ungenierter abgezockt: Der andere tut es ja auch.
Wir kommen damit zum zweiten Teil des Paradoxes: Den Leistungslohn. «Leistung soll sich lohnen», meinte Astrid Furrer von der FDP. Mit diesem Glauben ist sie nicht allein. Der Leistungslohn, der in den 1990er-Jahren sowohl in der Privatwirtschaft wie auch der Verwaltung Verbreitung fand, nimmt das auf. Wer gut arbeitet, wird belohnt, wer sich nicht anstrengt nicht. Klingt eigentlich einleuchtend. Nur funktioniert es nicht. Die Ökonomin Margrit Osterloh ist eine, die viel zu diesem Thema forscht. In einem Artikel, den sie zusammen mit Katja Rost und Nicole Rütsche in der Zeitschrift ‹io new management› schrieb, bezeichnet sie den Leistungslohn gar als «dysfunktionial» und als «Mode»: «Diese Moden zeigen kurze Anfangserfolge und erzeugen Aufbruchsstimmung: Die Manager springen auf den «Pay-for-Performance-Zug», weil auch andere Manager im Zug sitzen («bandwagon pressure»).» Und auch wenn die Mode nicht funktioniert, halten die Beteiligten weiter daran fest, weil es die anderen auch tun. Seit den 1990er-Jahren steigen die Löhne im oberen Management massiv. Es ist genau der Zeitpunkt, an dem das Konzept des Leistungslohns seine Verbreitung fand. 1990 bezogen die höchstbezahlten US-Manager noch einen Lohn, der 25 Mal höher war als der eines durchschnittlichen Angestellten.
2005 waren die Löhne bereits 500 Mal höher. Haben die Manager jetzt so viel besser gearbeitet? Eine Meta-Analyse von 76 wissenschaftlichen Studien kommt zum Schluss, dass es keinen Zusammenhang zwischen Entlöhnung und Unternehmenserfolg gibt. Der Leistungslohn, meinen Osterloh, Rost und Rütsche, sei sogar kontraproduktiv. Im Gegensatz zu langweiligen, repetitiven oder unangenehmen Aufgaben, wofür Geld durchaus einen positiven Anreiz sein kann (Akkordarbeit), führt der Leistungslohn bei anspruchsvollen Aufgaben dazu, dass die Leute die Freude an der Arbeit verlieren. Zudem reagieren sie strategisch: Sie maximieren die Grössen, die gemessen werden, und vernachlässigen alles andere. «So führt Pay for Performance oft dazu, dass Hilfsbereitschaft und solidarisches Verhalten ausbleiben, weil diese schlecht messbar sind. Das schliesst mitunter Manipulationen und sogar Betrug ein.»
Der Leistungslohn, so das Fazit, mache «Manager zu Gaunern», weil er sie zur «kreativen Buchführung» und zu «earnings management» (Bilanzpolitik) anstiftet und intrinsisch motivierte Tugenden wie «Corporate Virtue» und Ehrlichkeit verdrängt.» Es zeigt sich: Weder Transparenz noch Lohndeckel können allein die Lösung sein. Es braucht ein anderes System. Eines, das nicht vermeintliche Leistung belohnt, sondern reale Arbeit wertschätzt. Kaum einer glaubt, dass einer, der 500 Mal mehr verdient, wirklich 500 Mal mehr leistet. Und auch ist den meisten klar, dass eine Pflegefachfrau oder eine Polizistin wohl kaum so viel weniger Verantwortung und Risiko trägt wie eine Topmanagerin. Nur einfach viel weniger verdient. Das muss sich ändern, aber das setzt nicht allein beim Lohn an, sondern beim System. Dass Geld allein nicht glücklich macht, ist eine alte Zuckersäckliweisheit. Darum ist es auch falsch, bei der Behebung von Ungerechtigkeit nur beim Geld anzusetzen. Damit diese Unart endlich aus der Mode kommt.