Reinkultur

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Am vergangenen Donnerstag beendete Bernie Sanders seine Präsidentschaftskampagne. Am Montag gab er in einem gemeinsamen Videoauftritt mit Joe Biden bekannt, dass er dessen Kandidatur unterstützt. Damit endet eine spektakuläre Kampagne relativ sang- und klanglos. Für viele seine AnhängerInnen ein bitterer Moment. Einige geben die Wahlen im November schon verloren. Bernie hätte gewonnen, meinen sie, aber Joe Biden, ein schwacher Kandidat, sei chancenlos gegen Trump.

 

Joe Biden hat unzweifelhaft Schwächen. Er stand im Zweifelsfall oft auf der falschen Seite der Geschichte. In den 1970er-Jahren blieb er zweideutig bei der Frage der Rassentrennung. In den 1980ern wollte er die Sozialhilfe kürzen. In den 1990er-Jahren sprach er sich für die Justizreform aus, die dazu führte, dass heute überproportional viele junge schwarze Männer im Gefängnis sitzen (allerdings hat hier auch Sanders zugestimmt). Er befürwortete den Irak-Krieg. Biden ist auch sonst ein lausiger Kandidat: Er erfindet Geschichten, hat immer wieder Aussetzer und wurde zudem kürzlich von einer ehemaligen Mitarbeiterin der sexuellen Belästigung bezichtigt. Warum schaffte es Bernie Sanders trotzdem nicht, ihn zu besiegen? 

 

Es gibt einige Linke, die die Schuld in erster Linie bei Elisabeth Warren suchen, weil diese zu spät aus dem Rennen ausgestiegen sei, während sich gleichzeitig auf der anderen Seite Amy Klobuchar und Pete Buttigieg hinter Biden scharten. Sanders scheiterte jedoch letztlich ganz klassisch: An der falschen Strategie, am falschen Personal und letztlich auch an sich selbst. Eigentlich hatte Sanders eine gute Ausgangslage. Sein Name war bekannt, er hatte Erfahrung und haufenweise Geld. Mit der prominenten Unterstützung von demokratischen Jungstars wie Alexandria Ocasio-Cortez zeigte sich die Kampagne jung, weiblich und divers. Die «BernieBros», jene jungen männlichen Fans, die sich durch besonders unangenehmes Social-Media-Verhalten auszeichnen, schienen vergessen. Sanders setzte auf eine Koalition aus Jungen, Geringverdienenden und ländlichen, weissen WählerInnen, die sich 2016 von den Demokraten zu Trump bewegt hatten. Diese würde er dank seinem sozialdemokratischen Programm abholen. Zudem glaubte er auch, dass in einem zersplitterten Kandidierendenfeld ein Wähleranteil von 30 Prozent reichen könnte. So wie es Trump 2016 vorgemacht hatte. Zu Beginn sah es aus, als würde der Plan aufgehen. 

 

Dann kam ein ausgezeichnetes Resultat von Biden in South Carolina. Und nach dem Super Tuesday war der Mist geführt. Viele Bernie-Fans geben neben Elisabeth Warren auch dem verhassten demokratischen Establishment die Schuld. Dieses hätte Klobuchar und Buttigieg dazu gedrängt, aufzugeben und Biden zu unterstützen. Das ist tatsächlich so. Ist aber nichts Aussergewöhnliches, sondern der Regelfall. Wer keine Chancen auf einen Sieg hat, gibt auf und erhofft sich mit einer Unterstützung eines anderen Kandidaten etwas für die eigene politische Karriere he­rauszuholen. Die Sanders-Kampagne scheint dies offenbar unterschätzt zu haben. 

Die Positionierung als Aussenseiter und Antagonist des demokratischen Esta­blishments hat ihm zudem dabei geschadet, seine Basis auszuweiten. Zum einen hassen nun mal Mitglieder einer Partei ihre Partei in der Regel nicht. Und wer von einer Partei nominiert werden will, muss deren Mitglieder überzeugen. Das gilt umso mehr für die schwarzen Wählerinnen und Wähler im Süden. Für sie ist die demokratische Partei keine neoliberale und korrupte Vereinigung, sondern die einzige Organisation, die sich für ihre Anliegen einsetzt und in der sie politischen Einfluss ausüben können. 

 

Auch die «Berniesphäre», wie der Journalist und Sanders-Unterstützer Matthew Yglesias die linken Publikationen ‹Jacobin›, ‹Current Affairs› oder den Podcast ‹Chapo Trap House› nennt, half auch nicht gerade, seine Koalition zu vergrössern. In diesen Medien wurde Elisabeth Warren besonders scharf angegriffen.  Beispielsweise warf ihr eine ‹Jacobin›-Journalistin vor, sie habe die Geschichte, wonach sie eine Stelle aufgrund ihrer Schwangerschaft verloren habe, erfunden. Die «Berniesphäre» schätzt ihre eigene Bedeutung in einem etwas absurden Twitter-Streit mit Yglesias als gering ein. Doch deren Vorwürfe werden auf Twitter (auch von Trump) gerne weiter verbreitet. Mag sein, dass Warren aus reinem Karrierismus auf eine Empfehlung von Sanders verzichtet hat. In einem Interview mit Rachel Maddows auf MSNBC liess sie aber durchblicken, dass die Angriffe sie getroffen hatten.  

Briahna Joy Gray, Sanders Presseverantwortliche, griff vor Tagen auf Twitter den Journalisten Ezra Klein an, weil der in einem Podcast Elisabeth Warren zu ihrem Corona-Plan befragte. Es sei eine Sauerei, dass dieser Warren und nicht Sanders zum Thema befrage. Worauf Klein antwortete, Sanders sei schon vor Monaten eingeladen worden, die Einladung sei aber von der Sanders-Kampagne ignoriert worden. Hier kommen Unfähigkeit und ideologischer Starrsinn in Reinkultur zusammen.

 

Die Alarmglocken hätten bei Sanders’ Kampagne aber schon viel früher klingeln sollen. Sein Resultat war nämlich schon in den ersten Staaten nicht berauschend. Vor allem zeigte sich früh, dass die erhoffte Wählerkoalition ausblieb. Die Jungen unterstützten Sanders zwar, kamen aber keineswegs zahlreich an die Urnen. Die weissen Männer ohne College-Abschluss wählten nicht Sanders, sondern Biden. Jene Wähler hatten 2008 Clinton gewählt und nicht Obama. 2016 Sanders statt Clinton und jetzt eben Biden. Was den Verdacht nahelegt, dass nicht das Programm hier den Ausschlag gab, sondern die Ablehnung des anderen Kandidaten: Lieber eine weisse Frau als ein schwarzer Mann. Lieber ein Sozialist als eine Frau. Und lieber den anderen weissen Mann als den jüdischen Sozialisten. Die Vorstellung, von Sanders und einigen KommentatorInnen, dass ein Fokus auf sozialdemokratischer Politik und Klassenbewusstsein alle anderen Fragen der Identität übertrumpft, ist letztlich auch ahistorisch. Die Geschichte der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung zeigt, dass es immer beides gab: Solidarität über die Herkunft und das Geschlecht hinaus, wie leider auch das pure Gegenteil.  

 

Sanders ist zweimal gescheitert. Jeremy Corbyn mit einer ähnlichen Strategie ebenso. Das ist nicht das Scheitern von sozialdemokratischen Positionen. Sondern das Scheitern einer Strategie, die den Feind am liebsten im eigenen Lager und nicht auf der anderen politischen Seite sucht. Sowohl  Corbyn-Nachfolger Keir Starmer wie auch Joe Biden setzten auf eine inklusivere Strategie. Ob sie erfolgreicher sein wird, wird sich noch weisen.