Kinder, Küche, Corona?

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Man soll niemals eine gute Krise verschwenden, soll Winston Churchill nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gesagt haben. Und so ist auch jetzt die Stunde der Corona-Interpreten angebrochen. Wer die Krise richtig deutet, dessen Rezepte setzen sich schliesslich durch, so die Überlegung. Vielerorts ist es alter Wein, mit Corona-Etikett versehen. Die Freisinnigen wollen weniger Steuern für Unternehmen, die Grünen einen Green New Deal, das ‹Denknetz› die Care-Gesellschaft und nur Gerhard Pfister glaubt etwas Neues gefunden zu haben: «Beide (Sozialismus und Liberalismus, mlm.) verkennen, dass Corona etwas Neues ist. Sie reagieren mit Rezepten, die schon vor Corona teilweise nicht funktionierten.» Sein revolutionär neues und anderes Rezept: Eine Stärkung des Gemeinsinns. War das nicht mal ein Wahlslogan der FDP?

 

Nicht alles scheint so klar und vorhersehbar zu sein. Was macht Corona aus Familien? Wie verändern sich die Geschlechterrollen? Was für einen Effekt haben Ausfall von Kitas und Schliessung von Schulen? Für Helen Lewis ist der Fall klar: Corona sei eine Katastrophe für den Feminismus. In einem Artikel, der im ‹Atlantic› und übersetzt im ‹Magazin› erschien, legt sie dar, dass die zusätzlichen Betreuungsaufgaben hauptsächlich an den Frauen hängen blieben. Tatsächlich gibt es einige Hinweise, dass Corona die Geschlechter unterschiedlich trifft. Datenauswertungen sagen, dass bei den Jüngeren Frauen stärker betroffen sind. Weil Frauen in ihren Berufen dem Risiko eher ausgesetzt sind. Und weil sie weniger verdienen und in der Regel Krisen soziale Ungleichheiten verschärfen.

 

Auswertungen zeigen, dass die zusätzliche Betreuungsarbeit tatsächlich vor allem von Frauen aufgefangen wird. Wissenschaftlerinnen reichten viel weniger Papers ein als zuvor, bei ihren männlichen Kollegen konnte kein Unterschied festgestellt werden. Auch aus der Öffentlichkeit sind die Frauen verschwunden. Krisenmanager, Virologen, Erklärbären, die Krise werde von Männern geprägt, schreiben Annika Joeres und Susanne Götze im medienjournalistischen Blog ‹ÜberMedien›: «Sie strahlen Selbstsicherheit aus, haben auf alles eine Antwort und fahren anderen über den Mund: Die Krise gebiert die Sehnsucht nach dem ‹starken Mann›.» Auch Jana Hensel beobachtet in der ‹Zeit› eine Expertendämmerung: «Seither hören wir wie gebannt all den männlichen Wissenschaftlern und ihren Zahlenanalysen zu. Wir schauen den männlichen Politikern bei uns und im Ausland zu, wie sie die Pandemie zu lösen und sich wie nebenbei zu profilieren versuchen. Und wenn uns das noch nicht reicht, können wir auch noch stapelweise Interviews und Texte von männlichen Soziologen, Philosophen, Ökonomen, Unternehmern, Schriftstellern und Therapeuten lesen, die uns erzählen, wie sie durch die Krise kommen oder auf welche Art wir anderen es versuchen sollten.» Warum nur Männer? Weil die Journalistinnen im Homeoffice sind und Kinder betreuen, vermuten Joeres und Götze. Die Folge: «Zwar tut es allen leid, aber am Ende reproduziert sich das männlich dominierte System so immer wieder selbst: Männer empfehlen Männer, die dann auffallen und von Männern aufgegriffen werden. Die Medien sind dabei Helfershelfer der Ungleichheit.» Gäbe es also nicht noch wenigstens die Frauenfrage, kämen medial wohl gar keine Frauen mehr vor.

 

Nicole Althaus schätzt die Lage in der ‹NZZ am Sonntag› optimistischer ein. Den Frauen nur die Rolle rückwärts zum Herd zuzugestehen, sei zu kurz gedacht. Weil dieser «weltweit erlebte Lockdown vielen Menschen eine Art #MeToo-Moment beschert hat: Wochenlang haben sie zu Hause erfahren, wie sich die Arbeit neben der Arbeit so anfühlt.» Geschlechtergräben würden nicht einfach zugeschüttet. Pflegeberufe auch lieber beklatscht als besser entlöhnt. Aber die kollektive Erfahrung entfalte dennoch eine Wirkung: «Corona hat uns alle gelehrt, dass keiner ganz unabhängig ist und die gesellschaftliche Relevanz von Jobs von der Lage der Nation, nicht vom Geschlecht abhängt.» Männer, deren Partnerinnen im Gesundheitswesen tätig sind, hätten lernen müssen, ihren Partnerinnen den Rücken freizuhalten. Und Corona habe aufgeräumt mit dem Präsenz-Wahn, der in vielen Firmen noch herrschte. Es ist jetzt bewiesen: Die Erfüllung einer (Führungs)aufgabe ist nicht daran gebunden,  wie viele Stunden lang man täglich im Büro sitzt.

 

Vermutlich sind beide Lesarten richtig. Viele der zusätzlichen Betreuungsarbeiten, die durch Corona angefallen sind, blieben an Frauen hängen. Weil sie vorher schon mehr übernommen hatten, weil sein Job halt wichtiger ist als ihrer, weil er ja mehr verdient als sie. Und gleichzeitig hat es durchaus eine kollektive Erfahrung der eigenen Verletzlichkeit gegeben und unserer Abhängigkeit von funktionierenden Systemen und Institutionen. Es gibt keine direkte Einbahnstrasse zurück in die 1950er Jahre. Schon alleine, weil diese Sackgasse schon lange verwaist ist. Dass man den Wegfall von Grosseltern, Kitas und Schulen so stark spürte, hängt auch damit zusammen, dass wir uns daran gewöhnt haben, Erziehung und Betreuung nicht hundertprozentig selbst zu übernehmen. 

 

Nun mögen die Männer, die nun vermehrt auf den Spielplätzen waren, die mit den Kindern über den Aufgaben gebrütet oder das Brotbacken entdeckt haben, die urbanen, gut gebildeten Ausnahmen sein. Vielleicht auch jene, die schon zuvor ihren Beitrag leisteten. Aber Wandel und Einfluss geht nun durchaus auch genau von diesen Kreisen aus.

 

Es geht eben nicht nur um die Folgen, sondern auch um die Deutung der Krise. Ein reines Klagen reicht nicht aus. Vielmehr gilt: Frau soll niemals eine gute Krise verschwenden. Die beiden Weltkriege haben den Frauen vielerorts das Stimmrecht gebracht. Die kollektive Erfahrung der Wichtigkeit von Sorgearbeit und gerade von professioneller Sorgearbeit in Schulen, Spitälern und Kitas, muss jetzt in politische Taten umgewandelt werden. Vor gut einem Jahr war der Frauenstreik. Er hatte bereits konkrete Folgen, indem viele Frauen gewählt wurden. Aber das reicht nicht. Denn damit ist auch ein Auftrag verbunden, der durch Corona noch akzentuiert wurde: Wir brauchen eine Schweiz, in der Kinderbetreuung auch vorhanden ist, wenn Grosseltern ausfallen. Wo die Anliegen der Pflege ernst genommen werden. In welcher die Bildung die nötigen Ressourcen erhält. We can do it, wie Rosie the Riveter zu sagen pflegte.