Das ist die Geschichte einer enttäuschten Liebe. Sie endet nicht tragisch, sondern ratlos. Mit einem Schulterzucken. Oder wie Bob Dylan einmal sang: «I aint saying you treated me unkind, could have done better but I don’t mind, you just kinda wasted my precious time, but don’t think twice it’s alright.»
Am Samstag wurde mein Facebook-Konto gesperrt. Warum, weiss ich nicht. Und seither warte ich darauf, dass es entsperrt wird. Irgendwie ist es mir eigentlich auch ein wenig egal. Es ist ok so. Seit ungefähr zwölf Jahren bin ich bei Facebook. Ich erinnere mich vage, aber sehr positiv an die Anfänge. Es war lustig. Es war leicht. Man schrieb in der dritten Person von sich ironische Statusmeldungen in der Art von: «Min Li hat wieder einmal eine Stunde ihre Schlüssel gesucht und sie dann im Hosensack gefunden.» Man postete Ferienföteli und traf alte KlassenkameradInnen wieder. Man pflegte Kontakt zu Verwandten im Ausland und lernte durchaus interessante Leute kennen.
Mit den Jahren schwand die Lust und es wurde immer mehr zur Pflicht. Das Persönliche wurde verdrängt durch das Politische. Ich bin dabei, weil es halt für eine Politikerin dazugehört. Natürlich gibt es eine Art Zugehörigkeitsgefühl, in Wahlkampfzeiten all diese Bilder von Telefon- und Standaktionen zu sehen. Aber es gibt vor allem auch einen Bubble-Effekt, mit dem man sich gegenseitig aufschaukelt. Oh, X ist aber an vielen Telefonaktionen, mache ich zu wenig? Oh, Y hat sein Votum gepostet. Müsste ich das auch? Und auch wenn es dazu gehört: Mir ist immer noch ein wenig peinlich, mich selber anzupreisen. Ob auf Facebook oder am Stand. Eine halbironische Statusmeldung ist mir immer noch lieber. Ich habe mit den Jahren den Algorithmus von Facebook auch immer schlechter verstanden. Warum sehe ich die Posts von jenen und von anderen nicht? Ich verlagerte mich mehr auf Twitter. Da hat es zwar fast nur Journalistinnen, Politiker und Trolls, aber da gehöre ich ja wohl auch dazu.
Nun ist das Problem meines gesperrten Kontos trivial. Und ich habe genug anderes, um meine Zeit zu verschwenden. Aber Facebook ist längst mehr als ein lustiges Portal zum spassigen Zeitvertreib. Die Plattform ist zu einem marktmächtigen Faktor geworden, den man nicht so einfach ignorieren kann.
Eine Politikerin muss nicht zwingend auf Facebook aktiv sein. Und Wahlen gewinnt man nicht durch Selfies auf Facebook. Aber ganz ignorieren kann und darf man Facebook dennoch nicht. In den letzten Jahren ist die Herausforderung gestiegen, mit den Wählerinnen und Wähler zu kommunizieren. Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzen Parteien auf direkte Mitgliederansprache und Massenmobilisierungen. In der Moderne setzen Parteien auf Massenmedien, um ihre Botschaften zu verbreiten. Zuerst auf die eigene Presse, die aber immer mehr von überparteilichen Forumsmedien verdrängt wurden. Jetzt verlieren diese rapide an Reichweite.
Der ‹Tages-Anzeiger› war früher eines der Leitmedien der SP-Wählerschaft. Heute ist das nicht mehr so klar. er hat noch eine Auflage von 130 957 Exemplaren. Die eigenen Kanäle haben die Parteien mehrheitlich aufgegeben. Zu leichtfertig wohl. Die einzige Partei mit einer ernsthaften Medienstrategie ist die SVP. Facebook zählt mittlerweile nach eigenen Angaben 3,54 Millionen NutzerInnen in der Schweiz. Wer als Partei, als Kampagne, als Politikerin also die Leute erreichen will, kommt um die Plattform fast nicht herum.
Nun bin ich als Verlegerin der dezidierten Meinung, dass Inhalte auch kosten dürfen. Sie werden schliesslich auch nicht gratis produziert. Es widerstrebt mir auch, diesen Inhalt einem Grosskonzern einfach frei zur Verfügung zu stellen. Der daran verdient, dass Millionen und Milliarden wie ich gratis Inhalte und Unterhaltung auf Facebook zur Verfügung stellen. Aber teile ich einen Tages-Anzeiger-Artikel in den sozialen Medien, wird bald von den NutzerInnen gemotzt, sie könnten den Artikel nicht lesen, weil sie kein Abonnement hätten. Was wiederum dazu führt, dass man auf Gratismedien setzt oder auf eigene Inhalte auf den sozialen Medien. Eine Negativspirale, die unaufhörlich weiterdreht.
Facebook hat eine praktisch marktdominante Stellung. Diese Marktmacht nützt es in vielerlei Hinsicht aus. Indem es Inhalte so positioniert, wie es für die Plattform vorteilhaft ist. Es ist nicht transparent, wie der Algorithmus funktioniert. Aber: Facebook will die Verweildauer erhöhen, um besser Werbung verkaufen zu können. Und was erhöht die Verweildauer? Interaktionen. Und was erhöht Interaktionen? Beiträge, die aufregen, die Emotionen auslösen. Ob das Fake-News sind oder Katzenvideos ist Facebook eigentlich recht egal. Natürlich hatten viele der Artikel zur Trump-Kampagne und zu Facebook auch etwas Alarmistisches. Aber Facebook hat einen Einfluss auf die Politik und umgekehrt.
Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat sich jahrelang Bestrebungen widersetzt, Verantwortung für die Inhalte zu übernehmen. Auch wenn es sich um Desinformation oder Verschwörungstheorien handelt. Er beruft sich dabei auf die Meinungsfreiheit und auf Artikel 230 des Telekommunikationsgesetzes von 1996, das besagt, dass Anbieter oder Nutzer von Computerdiensten nicht verantwortlich gemacht werden können für den Inhalt eines anderen Anbieters. Die Millionen, die Trump und andere in politische Werbung investieren, werden diese Überzeugung wohl noch weiter gefestigt haben.
Ich erinnere mich gut an die Anfänge des Internets und die Hoffnungen, die damit verknüpft waren. Das Internet würde die Aufklärung beschleunigen, weil Informationen und Wissen verbreiten und für alle zugänglich gemacht wird. Mittlerweile ist allen klar, dass diese Freiheit einen Preis hat, den man nicht unbedingt bezahlen will. Genauso, dass die sozialen Medien im Umgangston leider oft kaum etwas mit sozial zu tun haben. Höflichkeit und Freundlichkeit sind aber, genauso wie das Recht, nicht einfach nur Petitessen. Sie sind das Fundament der Zivilisation.
Es ist Zeit, den Wilden Westen zu beenden. Der Wettbewerb sollte wieder spielen, einzelne marktbeherrschende Player dürfen nicht alleine die Regeln bestimmen. Facebook und andere Plattformen müssen anerkennen, was sie längst sind: Medien. Das bedingt auch eine Verantwortung dem Inhalt gegenüber. Und: Das Netz ist kein rechtsfreier Raum. Was im realen Leben verboten ist, kann nicht einfach wegen mangelnder Rechtsdurchsetzung im Internet toleriert werden. Und vielleicht wird dann aus Pflicht auch wieder Lust. Es wäre ganz ok.