Joe Business

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Die Amerikaner haben einen Sinn fürs Show-business – sie haben es schliesslich auch erfunden. Und darum können sie tatsächlich Anlässe, die sonst von der Anlage her sterbenslangweilig wären, mindestens zeitweise unterhaltsam gestalten. So auch Parteitage, die hierzulande – wenn nicht gerade der Kapitalismus überwunden wird – sich niemand freiwillig im Fernsehen schauen würde.  

Der Parteitag der Demokraten ging gestern (nach Drucktermin) zu Ende und fand aus Corona-Gründen virtuell statt. Ich habe immer wieder kritisiert, wenn man über Politik wie über einen Sport- oder eben Showanlass berichtet, aber dieser Parteitag lädt natürlich dazu ein, gerade weil er virtuell abgehalten wurde. Zumal es auch in der Schweiz so aussieht, als würden uns diese virtuellen Parteianlässe doch nicht ganz so schnell verlassen. Hier also eine subjekte Wertung von Stimmung, Reden und Botschaften der demokratischen Convention.

 

Stimmung: 

Nun wissen wir mittlerweile alle: Live is life und ein Zoom-Meeting und ein echtes Treffen sind nicht ganz dasselbe. Es ist aber nicht so, dass das reale Zusammenkommen nur Vorteile hat. In der Convention-Berichterstattung kursiert im Moment ein Ausschnitt aus der Convention von 1996, wie die Delegierten den Macarena tanzten (und Hillary Clinton begeistert mitklatscht). Nun: So ausgelassen war die Stimmung nicht. Das merkte man gut beim Jubel und Klatschen nach der offiziellen Nomination, das doch eher ein wenig künstlich wirkte. Genauso wie dieser Jubel bei gewissen Reden fehlte (dazu noch später).  Dafür gab es aber auch keine schlechte Stimmung wie 2016, als Sanders-Delegierte Clinton ausbuhten oder als Ted Cruz bei den Republikanern Donald Trump nicht offen unterstützen wollte. 

 

Reden:

Nun ist eine Rede in einem Saal nicht das Gleiche wie eine Fernsehansprache, was es schwieriger macht, eine mitreissende Rede zu halten, die die Leute von den Stühlen reisst. Darunter litten einige , wie beispielsweise Michelle Obama oder Bernie Sanders, deren Reden gut, aber nicht mitreissend waren. Kamala Harris, die am Mittwochabend ihren grossen Auftritt hatte, hielt eine persönlich gefärbte Rede, die ihrer historischen Rolle angemessen war. Dennoch fehlte der Rede, die im klassischen Setting am Rednerpult gehalten wurde, ein wenig das Publikum, der Applaus und die Pausen. 

Das Videosetting hatte aber auch Vorteile. Zum Beispiel bei der Länge. Ex-Präsident Bill Clinton, für seine ausufernden Reden so bekannt wie gefürchtet, wurde Video sei Dank auf 5 Minuten beschränkt. Diese Rede riss wohl niemanden vom Hocker, aber brachte die Message auf den Punkt: In einer Krise brauche es eine gute Führung und keine Chaostruppe. Keinen guten Auftritt hatte das Ausnahmetalent Alexan­dria Ocasio-Cortez, was aber auch an den undankbaren Umständen lag. Ihre Rolle war es, in 90 Sekunden Bernie Sanders zur Wahl zu empfehlen, was sie relativ unmotiviert auch tat. Dass man ihr keine bessere Rolle zugedacht hat, ist eine verpasste Chance der Demokraten, hat vermutlich aber damit zu tun, dass sich Ocasio-Cortez  noch nicht deutlich für Biden ausgesprochen hatte. 

Gut war das Videoformat insbesondere für jene Nichtpolitikerinnen und Nichtpolitiker, die ebenfalls eine Rolle spielten und zu aktuellen Themen wie Corona, Polizeigewalt, Gesundheitsversorgung oder Klimawandel sprachen. Ihre Statements und Aussagen wirkten authentischer und eindringlicher, wohl weil sie aus der heimischen Stube erfolgten. Gut schlug sich Jill Biden, der es gelang, ein menschliches und berührendes Bild von ihrem Ehemann Joe Biden zu zeichnen. Barack Obama zeigte einmal mehr, dass er der König der Fernsehansprachen ist. 

 

Botschaften:

Eine Botschaft, die immer wieder platziert wurde, war Bidens Slogan «Build Back Better» – wohl in etwa übersetzt  mit «besser (auf)bauen». Mit gewisser Disziplin wurde er in vielen Reden immer wieder aufgebracht, aber er erscheint eher wie ein gstabiger Zungenbrecher. Die eigentliche Botschaft von Biden ist aber eine andere. Sie heisst: Zurück zur Normalität. Zurück zur Vernunft. Zurück zu einem Präsidenten, der es gut meint und der ein guter Mensch ist. Das ist die Botschaft, die Biden bereits erfolgreich in den Vorwahlen vertreten hat. Mir schien diese Art von Nostalgie immer ein wenig dürftig. 

Biden war – nach Michael Bloomberg – der Kandidat, den ich am wenigsten überzeugend fand. Dennoch muss ich heute sagen, dass Corona vielleicht tatsächlich die Ausgangslage verändert hat. Diese Krise weckt bei vielen AmerikanerInnen genau diese Sehnsucht nach Normalität und Nettigkeit, die Biden vertritt. Biden, der in den Umfragen seit Wochen deutlich führt, hat auch Glück, dass ihn Corona auf wenige Auftritte beschränkt und damit seine verbalen Misstritte, für die er eigentlich berühmt ist, nur selten auftreten.

 

Videogold:

Besonders gelungen war der sogenannte Roll-Call. Das ist eigentlich keine besonders aufregende Sache, sondern der Moment, wo die VertreterInnen der Staaten bekannt geben, wie viele Delegiertenstimmen die Kandidierenden in den Staaten gemacht haben. Dieser musste nun aus Coronagründen per Videobotschaften gezeigt werden, was ein wenig an die Punktverteilung beim Eurovision Song Contest gemahnte. Sie zeigte die grosse Vielfalt der Demokraten: Bei den Menschen, Landschaften und Biographien. In gewissen Staaten verkündigten ehemalige Kandidierende wie Pete Buttigieg oder Amy Klobuchar das Resultat, in anderen lokale Politiker. Oft aber auch einfache Parteimitglieder wie ein Farmer aus Kansas, eine Krankenschwester aus New York oder eine Fleischfabrikarbeiterin in Nebraska.  Auch bildlich gab das einiges her: Von Alaska bis Guam sind die USA geographisch ein erstaunlich unterschiedliches Land, und von der philippinischen Einwanderin bis zur Südstaaten-Schönheitskönigin aus Tennessee auch eines mit den unterschiedlichsten Menschen. Dazu gab es auch lustige Momente, wie der eine Vertreter aus Rhode Island, der die Gelegenheit wahrnahm, für die Tintenfische aus Rhode Island zu werben. 

 

Fazit:

Die Online-Convention ist besser als befürchtet, besonders da, wo das Format auch wirklich geeignet ist. Dort wo Video mehr Intimität, mehr Persönliches und mehr Lockerheit vermittelt als Bühne und Rednerpult. Sie funktioniert dort nicht, wo es eine Stimmung im Saal bräuchte, Spontanität und Reaktion. Online kann die Liveveranstaltung nicht komplett ersetzen, aber vielleicht künftig sinnvoll ergänzen.

Min Li Marti