Aufreger

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Kantonsrat Claudio Schmid (SVP) wurde von Twitter gesperrt. Wie der amerikanische Ex-Präsident. Der Grund war allerdings ein anderer als bei Trump: Schmid hatte als Person mehrere Konten, was gegen die Bedingungen von Twitter verstösst. Dennoch brachte Schmid diese Sperrung einiges an Medienaufmerksamkeit. In der NZZ inszenierte er sich gar als Opfer einer Hexenjagd. Er wurde zudem auch von ‹BlickTV› zu einer Diskussion auf ‹Clubhouse› (dem neusten Internethype) eingeladen. Zusammen mit FDP-Präsidentin Petra Gössi und CVP-Nationalrat Martin Candinas. In die erste Reihe sozusagen. Ebenfalls eingeladen gewesen wäre SP-Nationalrätin Jacqueline Badran. Sie lehnte die Teilnahme ab. Sie rede ja eigentlich mit jedem, aber auch sie habe Grenzen. Als Beweis führte sie zwei ausländerfeindliche Tweets von Schmid an. ‹BlickTV›-Moderator und Ex-Arena-Dompteur Jonas Projer kommentierte dies via Twitter wie folgt: «Nicht Klicks, nicht Quote, nicht Sympathien für oder gegen Claudio Schmid. Nur die tiefe Überzeugung, dass dieses Niederbrüllen und Ausschliessen in die Sackgasse führt. Schon bemerkenswert, was man sich dafür von einzelnen selbsternannten Hütern des Anstands alles anhören darf.»

 

Ebenfalls Schlagzeilen machte die SP-Nationalrätin Yvonne Feri durch eine Aussage in der SRF-Arena, wonach die US-Vizepräsidentin Kamala Harris als «dunkelhäutige Person» quasi den «Rhythmus habe» (wohl im Blut). Dafür wurde Feri auf Twitter von einigen kritisiert. Ihre Aussage sei stereotyp und rassistisch. Worauf sich Yvonne Feri zuerst etwas halbpatzig und dann ernsthaft entschuldigte. Damit könnte es sich eigentlich erledigt haben. Aber mittlerweile wurden in den Medien Kommentare und Artikel geschrieben, Feri wurde angeklagt oder verteidigt. Die Aufregung bleibt.

 

Das Problem ist einfach und kompliziert zugleich. Rechte beklagen sich darüber, dass Twitter eine Zensurfunktion übernimmt und unliebsame Stimmen sperre. Das sei problematisch, weil Twitter eine Monopolfunktion innehabe. Und Linke finden, dass Twitter als private Firma ja auch das Recht habe, Bedingungen aufzustellen. Was ein bisschen paradox wirkt, weil die Argumentationslinien ja ideologisch eigentlich anders sein müssten. Was aber auch ein wenig mit Twitter und den sozialen Medien zu tun hat. Denn es ist nun mal nicht alles binär, was digital ist. Und so haben letztlich beide recht. Selbstverständlich ist Schmid selber schuld, wenn er sich nicht an die Regeln hält. Doch als eine, die selbst aus ihr  nicht ersichtlichen Gründen temporär aus Facebook flog, sehe ich die Macht der Tech-Monopolisten durchaus kritisch. Nicht nur deswegen freilich, aber auch. Selbstverständlich ist der Einsatz von Social Media freiwillig, aber kommt man wirklich noch drum herum, mindestens in gewissen Berufsgruppen? Politik und Journalismus gehören sicher dazu. Ich erlaube mir hier noch einen kleinen Schwenker zur E-ID, die im März zur Abstimmung gelangt. Auch die Nutzung dieser ID ist eigentlich freiwillig. In vielen Bereichen wird man aber de facto dazu gezwungen sein, wenn man die Dienstleistungen der Post online nutzen oder den Betreibungsregisterauszug online bestellen will. Natürlich kann man noch an den Schalter, nur werden diese systematisch abgebaut. 

 

Social-Media-Konzerne wie Facebook und Twitter sind die dominierenden Medienportale der Gegenwart. Sie machen Meinungen und verbreiten Informationen. Dies mit einem Algorithmus, der Polarisierung und Emotion fördert. Ohne journalistischen Kodex. Wenn jetzt Twitter und Facebook beginnen, Falschmeldungen, Hassbotschaften und Ähnliches zu verbannen, kann dies positiv gesehen werden. Als Schritt in die Richtung einer verlegerischen Verantwortung. Die Gefahr ist aber auch, dass dies willkürlich geschieht. Werden denn auch andere unliebsame Meinungen unterdrückt? Können Google und Facebook unter Druck gesetzt werden von diktatorischen Regimes, auch Botschaften von DissidentInnen zu unterdrücken? Wer kontrolliert die Kritieren und die Kontrolleur­Innen? Wie funktionieren die Algorithmen? Welche Inhalte werden bevorzugt? All dies ist wenig transparent. 

 

Und die Problematik der Monopolstellung bleibt. Nun gibt es seitens der Wettbewerbsbehörden ernsthaftere Bemühungen als auch schon, die Tech-Monopolisten ein wenig in die Schranken zu verweisen. Aber die Debatte rund um die E-ID zeigt auch, wie wenig viele PolitikerInnen diese Problematik im Auge haben. So meinte Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) im Interview mit dem ‹Tages-Anzeiger›: «Es gibt so viel Entwicklung und Innovation in der digitalen Welt, dass ich nicht glaube, dass sich ein Monopol herausbilden wird.» Das zeigt wenig Verständnis der digitalen Entwicklungen. Vielfach wird Google als Beispiel bemüht: Früher sei Microsoft der grosse Player gewesen und heute eben Google. Früher habe es den Internet Explorer und den Netscape Navigator gegeben, und heute gebe es andere Browser: Safari, Google Chrome und weitere. Doch Google konnte sich letztlich nur entwickeln, weil Microsoft aufgrund der Kartellklage in den 1990er-Jahren dazu gezwungen wurde, die Bündelung von Betriebssystem und Browser zu entkoppeln. Jetzt ist Google selber ins Visier der Kartellbehörden der EU geraten.

 

Für die Medien ist grossmehrheitlich der Schaden schon da. Sie verlieren Werbeeinnahmen, die AbonnentInnen sind überaltert. Die Zahlungsbereitschaft für Digitales wächst zwar, aber nicht schnell genug. Corona hat die Entwicklung noch beschleunigt (was vielleicht auch daran liegt, dass nur noch über Corona berichtet wird). Wie viele Medienhäuser die nächsten Jahre überleben werden, hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Staat bereit ist, in deren Erhaltung zu investieren. Dies wird sich unter anderem bei der Beratung des Massnahmenpakets für die Medien in der Frühlingssession zeigen. 

 

Nur Geld allein ist auch nicht alles. Die Medien selbst funktionieren wie die einleitenden Beispiele gezeigt haben, schon längst genauso als Empörungsbewirtschafter wie die vielgescholtenen Algorithmen. Je blöder man sich auf Twitter oder Facebook benimmt, desto wahrscheinlicher wird eine Einladung in die TV-Talkrunde. Je dümmer das Statement, desto eher gibt es die Titelgeschichte in der Boulevardzeitung. Politik hatte seit jeher Showelemente, und Journalismus, der nur langweilt, ist deswegen nicht relevanter. Aber es wäre ja auch mal nett, würde jemand, der etwas Kluges sagt, auch mal Schlagzeilen machen. Die etwas von der Sache versteht. Zivilisiert gestritten, statt nur gepöbelt. Für die Medien wird dies die einzige Chance sein, zu überleben. Denn Aufreger produzieren können die sozialen Medien nun mal besser.