Figgi und Müli

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Was man sich noch vor Monaten kaum ausmalen konnte, ist tatsächlich passiert. Donald Trump ist von der Bildfläche verschwunden. Ohne Twitter, ohne Social Media fehlt ihm offenbar das Ventil und die Bühne. Letzte Woche stand er allerdings wieder im Rampenlicht, wenn auch unfreiwillig.

 

Zum zweiten Mal wurde gegen ihn ein Amtsenthebungsverfahren geführt. Der Vorwurf: Donald Trump sei verantwortlich für die Ereignisse beim Sturm auf das Kapitol. Er habe dazu aufgerufen und habe nicht eingegriffen, als der Mob das Kapitol stürmte, es gab sogar Berichte, wonach er sich über die Ereignisse gefreut habe. Das Impeachment wurde im Schnellverfahren durchgeführt, es wurden keine Zeugen aufgerufen. Das hat wohl damit zu tun, dass von Anfang an klar war, dass eine Verurteilung von Trump im Senat nicht die nötige Zwei-Drittels-Mehrheit erhalten würde und die Demokraten nicht wollten, dass das Amtsenthebungsverfahren dazu führen könnte, dass politische Entscheidungen wie das neue Corona-Hilfspaket verzögert werden.

 

Trump wurde denn auch nicht verurteilt. Zwar stimmten eine Mehrheit von Repräsentantenhaus und Senat für eine Verurteilung, inklusive zehn republikanischen Kongressabgeordneten und sieben ihrer Senator­Innen. Für eine Verurteilung hätte es aber 17 republikanische SenatorInnen gebraucht. Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikaner, gab in einer bemerkenswerten Rede und in einigen Artikeln und Interviews die Linie vor: Er halte Trump zwar für moralisch und politisch verantwortlich für die Ereignisse des 6. Januar, aber man könne ihn nicht verurteilen, weil es gegen die Verfassung verstosse, einen Präsidenten nach seinem Weggang aus dem Amt zu verurteilen (McConnell hat natürlich massgeblich dazu beigetragen, dass das Verfahren erst nach dem Amtswechsel stattfand). 

 

Er sei der Ansicht, dass die Gerichte Trump für seine Taten zur Rechenschaft ziehen sollen, aber nicht der Senat. McConnell wollte in seiner Rede also Trump sowohl verurteilen wie auch freisprechen. Dieser argumentative Slalom rührt daher, dass McConnell zwei Seiten bedienen will: Sowohl die MAGA-Trump-AnhängerInnen wie auch die GrosspenderInnen aus der Wirtschaft, die nicht ganz so viel von Aufständen halten, aber doch möchten, dass jemand dafür sorgt, dass sie möglichst wenig Steuern zahlen. Ausserdem würde er auch jene republikanischen Vorortfrauen zurückholen, die Trump nicht mochten. Er möchte also kurz gesagt: Figgi und Müli.

 

Die Frage ist: Geht das überhaupt? Oder macht er damit einfach beide Seiten hässig? Die Trumpfans, weil er ihr Idol beschuldigt, und die TrumpgegnerInnen, weil er doch nicht die Hose hatte, ihn zu verurteilen? McConnells Zwickmühle geht noch weiter. Die Mehrheit der republikanischen WählerInnen steht nach wie vor hinter Trump. Auch wenn es um die Kandidatur für 2024 geht. Das führt dann auch dazu, dass alle auch nur moderat Trump-kritischen Abgeordneten mal lieber schweigen, als zu riskieren, dass sie von einem Trump-Loyalisten oder einer Trump-Verwandten in der Wiederwahl herausgefordert werden. So wie es jenen ergehen wird, die gegen Trump gestimmt haben. 

 

Die von der republikanischen Partei seit Jahrzehnten vorangetriebenen Wahlrechtsbeschränkungen und Wahlkreisziehungen führen aber dazu, dass die Vorwahl entscheidender ist als die Wahl, weil es in diesen Wahlkreisen nur noch mehrheitlich republikanische WählerInnen hat. So dass man gar nicht die Mitte oder WechselwählerInnen ansprechen muss. Was aber dann im Extremfall dazu führt, dass Knalltüten wie Marjorie Taylor Greene gewählt werden, die beispielsweise glaubt, dass jüdische Weltall-Laser für die Waldbrände in Kalifornien verantwortlich sind. Welche wiederum in Mehrheitswahlen wie der Präsidentschaft und bei den Senatswahlen alle halbnormalen WählerInnen abschrecken. Das heisst, McConnell möchte eigentlich die TrumpwählerInnen, aber nicht deren KandidatInnen, sondern normale Old School-Republikaner, die Arme plagen und die Reiche hätscheln wollen, die Verschwörungstheorien zwar verbreiten, aber sie nicht real glauben.  

 

Ich habe Zweifel, dass das funktioniert. Denn manchmal muss man sich halt für eine Seite entscheiden. Man kann nicht Impfgegner und Impfbefürworterinnen gleichzeitig glücklich machen und auch nicht Klimaskeptikerinnen und Klimaaktivisten.  Gewisse Haltungen sind schlicht nicht vereinbar. Ich habe als Fraktionschefin durchaus auch schon ausweichende Antworten gegeben, wenn ich selbst zu wenig wusste oder mir bekannt war, dass das Thema intern kontrovers sein könnte. Das war dann ein «Einerseits – andererseits»-Geleier, das zwar nicht besonders spannend oder rhetorisch brillant war, aber den Zweck so erfüllte, dass niemand hässig wurde. Nur eben, das mag bei einem Radiointerview zu einem Anliegen, das eh keinen interessiert, wohl gehen, bei einer hochpolarisierten und emotionalen Geschichte eben nicht. Darum bleiben auch alle Zwischentöne in der Burkadebatte auf der Strecke, was ich durchaus auch bedauere, aber letztlich gibt es jetzt nur Ja oder Nein. Natürlich kann man auch leer einlegen, das löst das Dilemma nicht.

 

Das heisst aber nicht zwingend Bad News für die Republikaner und Mitch McConnell, um den Faden zurückzugewinnen. Zum einen ist aus diversen Gründen recht wahrscheinlich, dass die Republikaner in zwei Jahren die Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat zurückgewinnen. Zum anderen ist die Polarisierung und das politisch Extreme weniger schädlich als früher. Im Zeitalter der Massenmedien mussten diese noch eine breite Bevölkerung ansprechen, was automatisch zu einer Position der Mässigung oder der Mitte führte, weil man damit die Leute am wenigsten hässig macht. Heute im Zeitalter des Internets und der Nischenmedien ist das nicht mehr nötig, weil man gezielt jene bedient, die die eigene Meinung teilen. Was die Meinung dann wiederum verstärkt. Was durchaus problematisch ist, weil viele Pro­bleme eine Komplexität haben, die nicht allein durch Lagerdenken gelöst werden können. 

 

Auf der anderen Seite halte ich wenig davon zu glauben, ein rechts-links-Diskurs sei heute überkommen. Schliesslich gibt es nach wie vor Interessenskonflikte: Mieterinnen und Vermieter oder Arbeitgeberinnen und Angestellte haben nicht die gleichen Interessen. Und da muss man sich dann halt auch für eine Seite entscheiden. Figgi oder Müli. Auch wenn es immer wieder ein einer- und andererseits gibt und geben soll.