Die zweite Spalte

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Es gab eine Anekdote, die man sich bei einer Gewerkschaft erzählt. Darin habe man einmal, vor langer Zeit, vielleicht in den 1970er-Jahren, bei der Gewerkschaftszeitung die Idee gehabt, man wolle doch auch mal die Frauen ein wenig besser ansprechen. Mit einer Kolumne mit Themen für die Frau. Sie hiess «Die Spalte der Frau». Sie erschien nur einmal. Die Zweideutigkeit ist den Zeitungsmachern erst nach Erscheinen aufgefallen.

 

Mittlerweile sind die Zeiten anders, Gleichstellungs- und Frauenthemen, die Frauen selbst, sind präsenter. Es gab und gibt Fortschritte. Wir feiern schliesslich auch 50 Jahre Frauenstimmrecht. In vielem sind wir aber noch nicht, wo wir sein könnten. Im Kleinen und im Grossen.

 

Ich habe vor einigen Jahren geheiratet. Mehrheitlich nicht aus rationalen Gründen und das ist ganz gut so und wohl auch der Regelfall. Mit der Heirat änderte sich für uns eigentlich nicht viel. Nur etwas gibt es, das mich immer wieder stört. Weil es so wenig mit mir oder mit uns zu tun hat. Die Steuererklärung wird an uns beide adressiert. Mein Mann ist der obere Empfänger, ich die zweite. Er ist die erste Spalte und ich die zweite. Nun sind wir beide nur mässig administrativ begabt und das Ausfüllen der Steuererklärung gehört auch nicht zu unseren Hobbies, aber es gehört dazu. Nur kann ich die Steuererklärung gar nicht ausfüllen, habe ich gemerkt. Wir füllen sie elektronisch aus, das ist verknüpft mit einem Konto und einer Authentifizierung, und die läuft über meinen Mann. Ich kann sie also nicht bearbeiten, ohne meinen Mann zu sagen, dass er sich einloggen muss. Das ist zwar nur eine kleine Unannehmlichkeit, eine administrative Zusatzhürde, aber dahinter steht ein Konzept, das mir nicht nur fremd ist, sondern aus meiner Sicht auch grundfalsch ist. Die Ehe, so lautet dieses Konzept, ist eine Wirtschaftsgemeinschaft, und der Hauptverantwortliche ist der Mann. Die Frau ist die zweite Spalte.

 

Die FDP-Frauen wollen am 8. März eine Initiative für eine Individualbesteuerung lancieren. Die Individualbesteuerung ist auch ein langes Anliegen der SP und insbesondere der SP-Frauen. Die Besteuerung soll unabhängig vom Zivilstand erfolgen. Familien sind heute vielfältiger, nicht nur verheiratete Paare haben Kinder. Zudem führt die gemeinsame Veranlagung dazu, dass Doppelverdienerpaare in eine höhere Progressionsstufe fallen und damit die Anreize für ein zweites Einkommen sinken. Das System ist eben darauf ausgerichtet, dass es ein Haupteinkommen und ein höchstens kleines zusätzliches gibt. Die zweite Spalte eben. 

 

Eine Feministin kommentierte diese Initiative auf Facebook wütend. Sie fand, es sei eine Frechheit zu glauben, die Frauen seien faul und würden bloss nicht arbeiten, um Steuern zu sparen. Die Frauen arbeiteten nicht, weil sie sich um die Kinder kümmern müssen. Nun glaube ich auch nicht, dass Frauen oder Paare mit dem Taschenrechner und der Steuerrechnung die Arbeitsteilung regeln und dann finden, eine Pensumserhöhung um zehn Prozent rechne sich nicht wirklich. Denn dazu müsste man ja auch eine Vollkostenrechnung machen, die auch künftige allfällige Renten- und Einnahmensverluste einberechnen würde. Die übliche Arbeitsteilung in vielen Familien rührt daher, dass sowohl im System wie auch in den Köpfen das Ernährermodell noch fest verankert ist. 

 

Das zeigt auch eine Umfrage in der Deutschschweiz, die die Frauenzeitschrift ‹Annabelle› durchgeführt hat. Dort zeigt sich, dass die Mehrheit der befragten Frauen mit Kindern im Vorschulalter nicht in der Lage ist, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Selbst bei erwachsenen Kindern ist es nur ein Drittel, die wirtschaftlich unabhängig sind von ihrem Mann. Bei kinderlosen Frauen ist hingegen die grosse Mehrheit unabhängig. Jede fünfte Frau gibt an, sie könne sich eine Trennung nicht leisten. 

 

Die Idealverteilung zwischen Mann und Frau ist nach der Mehrheit der Frauen, wenn die Frau 50 Prozent und der Mann 80 Prozent arbeitet. Bei den Frauen unter 35 ist es egalitärer. Sie finden 60/70 das ideale Modell. 72 Prozent der Frauen glauben, dass Männer mehr Vorteile haben. 60 Prozent sind der Meinung, Gleichstellung sei im Beruf nicht erreicht. Nur 13 Prozent glauben, dass die Gleichstellung im Haushalt erreicht sei.

 

Wie soll aber eine Gleichstellung in Beruf, Haushalt oder Gesellschaft erreicht werden, wenn eine derart grosse finanzielle Abhängigkeit besteht? Eine Scheidung ist für Frauen mit einem grossen Armutsrisiko verbunden. Frauen haben oft eine sehr viel kleinere Rente, was vor allem von der Differenz bei der beruflichen Vorsorge herrührt. Geschiedene Frauen sind daher überproportional oft auf Ergänzungsleistungen im Alter angewiesen. Frauen sind nach Scheidungen auch mit kleinen Kindern schnell angehalten, wieder zu arbeiten. Haben sie Lücken in der Erwerbsbiographie, dann wirkt sich das auch auf den Lohn und die Stellung aus. Das Ernährermodell funktioniert eben nur dann, wenn der Ernährer auch da ist. Und der ist halt nicht immer da. Die Scheidungsrate ist mindestens bei einem Drittel. Und es kann auch keine Lösung sei, in einer unglücklichen oder gar gewaltsamen Ehe zu verbleiben, bloss weil man sich eine Trennung nicht leisten kann.

 

Selbstverständlich bedeutet eine Beziehung auch, dass man eine gegenseitige Verantwortung hat. Dass man auch mal auf seinen Partner oder seine Partnerin zählen kann und das auch finanziell. Aber ein nicht endendes Ungleichgewicht und eine ewige Abhängigkeit mit stetigem Absturzrisiko widerspricht einem gleichgestellten Leben. Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Das Patriarchat hat ausgedient, aber es ist immer noch da, auch in den Köpfen. 

 

Von der verstorbenen US-Bundesrichterin Ruth Bader Ginsburg heisst es, ihre Mutter habe ihr gesagt, sie solle eine Lady sein. Und das heisse, eine eigene Person zu sein, unabhängig. Virginia Woolf meinte einmal, eine Frau brauche ein eigenes Zimmer, ein Zimmer für sich.

 

Frei ist nur, wer seine Freiheit gebraucht, heisst es in der Bundesverfassung. Wir müssen die Bedingungen schaffen, dass die Frauen ihre Freiheit gebrauchen können. Es braucht eine bessere Infrastruktur bei der Kinderbetreuung, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Männer, die die Verantwortung im Haushalt und in der Betreuung mitübernehmen. Und es braucht auch eine Revolution in den Köpfen. Nur so hören Frauen auf, eine Randspalte zu sein. Es gibt viel zu tun.