Nach dem Debakel der Neustart?

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Das Ergebnis wurde auch hierzulande mit viel Häme aufgenommen. Der Parteitag der österreichischen Sozialdemokraten gab erst bekannt, dass Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlandes, als neuer Parteivorsitzender gewählt wurde. Zwei Tage später kam dann – dank einer kritischen Nachfrage eines Journalisten – die Korrektur. Nicht Doskozil, sondern der Traiskirchner Bürgermeister Andi Babler hat die Wahl gewonnen: Die Wahlkommission hatte die Resultate bei der Auszählung vertauscht.

Den Wahlen war ein jahrelanger Machtkampf vorausgegangen. Die ehemalige Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner wurde 2018 an die Parteispitze gewählt, als Wunschkandidatin des ehemaligen Kanzlers Christian Kern. Hans Peter Doskozil begann schon früh an ihrem Sitz zu sägen und warf ihr Führungsschwäche vor. Die inhaltliche Differenz entzündete sich insbesondere an der Migrationspolitik. Doskozil ist hier der Vertreter einer harten Linie, die Wiener SPÖ hingegen will eine humanitäre Asyl- und Migrationspolitik. Das Vermitteln zwischen beiden Positionen gelang Rendi-Wagner nicht. Die anhaltenden Machtkämpfe lösten eine Mitgliederbefragung aus, in der die Mitglieder sich in einer nicht bindenden Abstimmung dafür aussprechen sollten, wen sie als neuen Vorsitzenden wählen wollen. Auch diese Mitgliederbefragung war von Pannen begleitet. Zuerst wurden keine Hürden zur Zulassung vorgesehen, was dazu führte, dass sich 73 Personen (69 Männer und 4 Frauen) für den Parteivorsitz bewarben. Dann wurden doch noch Hürden eingebaut. Zum Schluss gab es drei Kandidierende: Neben Pamela Rendi-Wagner und Widersacher Hans Peter Doszkozil stieg als Herausforderer Andi Babler ins Rennen. Dieser wurde erst vor allem von den Jungsozialist:innen unterstützt, konnte aber seine Anhängerschaft stetig ausbauen. Die Mitgliederbefragung gewann schliesslich Doskozil, aber relativ knapp: 33,7 Prozent der Mitglieder sprachen sich für ihn aus, 31,51 Prozent für Andi Babler und 31,35 Prozent für Rendi-Wagner, die sich aufgrund des enttäuschenden Resultats zurückzog. Es blieben noch Doskozil und Babler. 

Die entscheidende Frage für die letzte Ausmarchung war dann, wie sich die Stimmen von Rendi-Wagner verteilen. Aufgrund der Feindschaft zwischen Doszkozil und Rendi-Wagner war zu erwarten, dass deren Anhänger:innen gegenüber Doszkozil Vorbehalte haben. Auf der anderen Seite gab es etliche, die Babler als nicht wählbar erachteten: zu links, zu jung, zu unerfahren. Die Auftritte am Parteitag hätten die Wahlkommission bei ihrer Zählung eigentlich etwas ins Grübeln bringen sollen. Der Applausometer war nämlich ziemlich eindeutig. Das lag zum einen an der Art der Rede. «Bablers Kontrahent in diesem Match, der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, mag eine Rede als Kanzlerkandidat gehalten haben, eine Ansprache für die Wählerschaft. Der Traiskirchner Bürgermeister Babler spricht hier als SPÖ-Vorsitzender in spe, seine Zielgruppe ist allein die Sozialdemokratie», schreibt das Nachrichtenmagazin ‹Profil›. Dabei hat Babler gegenüber Doskozil einen weiteren Vorteil, denn Doskozil ist aufgrund von Problemen mit seinen Stimmbändern stimmlich eingeschränkt. Babler hingegen hielt die «Rede seines Lebens», wie es im Nachhinein hiess. Ohne Verschnaufpause und mit hoher Emotionalität peitschte er sich durch sein Programm, durch seine Lebensgeschichte und seine Vorstellung der sozialdemokratischen Bewegung. Und Babler schafft dabei, der zerstrittenen und desorientierten SPÖ wieder etwas Stolz zu geben. «Ich hör dann oft: Ja Andi, alles schön und gut», sagt er. «Das ist alles sozialdemokratisch, aber das ist ja was für Träumer.» Und weiter: «Wir sind also Träumer, wenn wir Kinder aus der Armut holen. Wenn wir für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit sind, für ein Recht auf einen Arzttermin.» Dann ruft Babler in die Menge: «Wisst ihr, Träumer ist ein anderes Wort für Sozialdemokraten!» Der gemeinnützige Wohnungsbau sei auch ein Traum gewesen, bevor er realisiert wurde, ebenso wie der Achtstunden-Tag, der Anspruch auf Ferien. 

Doskozil war dazu ein klarer Kontrast. Dabei sprach er durchaus auch sozialdemokratische Kernbereiche wie Mindestlöhne und Pflegefinanzierung an, aber er meinte auch selbstkritisch, die SPÖ habe es verlernt, die Interessen der kleinen Leute zu vertreten, sie habe an Glaubwürdigkeit verloren. Und die Forderungen müssten auch realisierbar sein. Es reiche nicht, Dinge zu plakatieren, man müsse sie auch umsetzen können. Die Mehrheit der Delegierten wollte offensichtlich lieber etwas mutiger träumen.

Der neue SPÖ-Präsident ist durch das Auszähldebakel schlecht gestartet. Mittlerweile scheint die SPÖ in den Umfragen aber wieder zuzulegen. Klar ist, dass Babler einen Teil der Sozialdemokrat:innen begeistern kann. Die SPÖ konnte sich auch über einen grossen Mitgliederzuwachs freuen. Und Babler ist eine Person, die ein Popularitätspotenzial hat. Er ist kein geschliffener Politiker, einer, der nicht nur die Arbeiter vertreten will, sondern auch selber aus einer Arbeiterfamilie stammt und als Schichtarbeiter gearbeitet hat. Er spricht Dialekt und nicht Hochdeutsch, schafft es, zuzuspitzen und zu emotionalisieren. Österreich neige dazu, gewissen Leuten einen Superheldenstatus zuzubilligen, schreibt ‹Profil›-Journalistin Eva Linsinger. «Österreich, das der Altmeister der Politikforschung, Fritz Plasser, einst luzide als ‹Boulevarddemokratie› bezeichnet hat, hat ein seltsames Faible, Politiker zu Megastars hochzujazzen. Das ist kein erstmaliger Andreas-Babler-Effekt, dieses merkwürdige Phänomen fand in der jüngeren Innenpolitik-Geschichte mehrmals statt: Das passierte (kurz) bei Ex-Kanzler Christian Kern, das passierte (länger) bei Ex-Kanzler Sebastian Kurz.» Beide hatten ihre unkritische Anhängerschaft, bei beiden wurde Zweifel und Kritik kaum zugelassen, und bei beiden kam nach dem kometenhaften Aufstieg auch der tiefe Fall.

Wie sich also Babler entwickeln wird, ist offen. In vielem ist sein Programm klassisch sozialdemokratisch, aber in gewissen Themen wird es auch Konflikte geben, nicht nur in der Asylpolitik. Auch in der Aussenpolitik hatte sich Babler Angriffsflächen geschaffen, insbesondere mit scharfer Kritik an der EU sowie altlinken Positionen in der Aussenpolitik. Hier scheint er allerdings eine gewisse Lernbereitschaft zu zeigen. 2024 finden die Europawahlen und damit der erste Stimmungstest statt. Bis dahin muss sich weisen, ob Andi Babler ein Träumer ist oder einer, der Träume wahr werden lassen kann.